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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Dissensus, welcher in den Vvrberathungen zu Tage trat, bedeutend erweitert
und daß Döllinger nun gar im Glaspalaste fehlte, sowie daß das angenom¬
mene Programm nicht mehr mit seinem Namen unterzeichnet war, das Alles
kam dieser tendenziösen Nachricht außerordentlich zu statten. Man übersah
dabei nur, daß der Antrag an eine Versammlung eben von den Antragstel¬
lern und der Beschluß derselben von den Beschließenden (das ist von dem sie
vertretenden Präsidium) unterzeichnet wird, man übersieht einfach die Mitthei¬
lung derjenigen, die mit Döllinger bereits an der Pforte des Glaspalastes
gesprochen und sich durch den Augenschein überzeugt haben, daß nur die
wahrhaft demonstrativen Beifallsrufe den berühmten Meister zurückgeschreckt
haben, plötzlich mitten in das unvermeidliche Hoch von 7000 Kehlen hinein¬
zutreten. Vor Allem aber darf man nicht übersehen, daß Döllinger zur Ver¬
wirklichung der gefaßten Beschlüsse nun selber die Hand bietet. In seiner
Wohnung kamen die Männer zusammen, die gegen ihn gestimmt haben, ja
sogar in der Redaction der stenographischen Berichte strich Döllinger man¬
ches mit eigener Hand was ihn gereute, weil es zu stark gegen die jetzigen
Beschlüsse des Congresses hervortrat. Es ist wahr, daß er nach seiner Per¬
sönlichkeit nicht sehr zu einem acuten und energischen Vorgehen geneigt ist,
aber er weiß auch das Gewicht von 400 gewiegten Stimmen zu schätzen und
hat auch jener Politik, die sie ihm vorschlugen, seine volle thätige Unterstützung
verbürgt. So und nicht anders liegt der vielbesprochene Conflict mit
Döllinger.

Sehr interessante Details traten bisweilen über die intolerante und sit¬
tenlose Haltung der Geistlichkeit zu Tage, ohne daß man darauf erpicht ge¬
wesen wäre, solche Fälle gerade hervorzukehren. Man konnte sie nur nicht
absolut verbergen: im Ganzen aber muß unbestreitbar die außergewöhnliche
Decenz und Mäßigung gerühmt werden, mit welcher man so viel scanda-
löses und effectvolles Material bei Seite schob. Man überließ getrost der
Presse, dem Volk zu zeigen, welch traurige Beispiele moralischer Verkommen¬
heit fast täglich unter dem Priesterstande vorkommen, die Versammlung aber
berührte dieselben nur vorübergehend, wo sie auf den für die Altkatholiken
bestehenden Nothstand hinwies.

Dem großen Congreß im Glaspalaste folgten noch einige Vorträge, die
ausschließlich für Damen gehalten wurden. Auch hier fanden sich zahlreiche
Frauen aus dem Bürgerstande ein, auch hier war von den vier Rednern,
welche auftraten. Prof. Reinkens schnell der Liebling geworden. Sie alle
schilderten den tiefen Einfluß, den die Corruption der Kirche auf die Familie
üben müsse, aber die wenigsten trafen hier den völlig rechten Ton, und vor
allem die rechte Mitte dessen, was man den Frauen geistig zutrauen und
was man ihnen vorenthalten dürfe. Reinkens setzte am meisten voraus.


Dissensus, welcher in den Vvrberathungen zu Tage trat, bedeutend erweitert
und daß Döllinger nun gar im Glaspalaste fehlte, sowie daß das angenom¬
mene Programm nicht mehr mit seinem Namen unterzeichnet war, das Alles
kam dieser tendenziösen Nachricht außerordentlich zu statten. Man übersah
dabei nur, daß der Antrag an eine Versammlung eben von den Antragstel¬
lern und der Beschluß derselben von den Beschließenden (das ist von dem sie
vertretenden Präsidium) unterzeichnet wird, man übersieht einfach die Mitthei¬
lung derjenigen, die mit Döllinger bereits an der Pforte des Glaspalastes
gesprochen und sich durch den Augenschein überzeugt haben, daß nur die
wahrhaft demonstrativen Beifallsrufe den berühmten Meister zurückgeschreckt
haben, plötzlich mitten in das unvermeidliche Hoch von 7000 Kehlen hinein¬
zutreten. Vor Allem aber darf man nicht übersehen, daß Döllinger zur Ver¬
wirklichung der gefaßten Beschlüsse nun selber die Hand bietet. In seiner
Wohnung kamen die Männer zusammen, die gegen ihn gestimmt haben, ja
sogar in der Redaction der stenographischen Berichte strich Döllinger man¬
ches mit eigener Hand was ihn gereute, weil es zu stark gegen die jetzigen
Beschlüsse des Congresses hervortrat. Es ist wahr, daß er nach seiner Per¬
sönlichkeit nicht sehr zu einem acuten und energischen Vorgehen geneigt ist,
aber er weiß auch das Gewicht von 400 gewiegten Stimmen zu schätzen und
hat auch jener Politik, die sie ihm vorschlugen, seine volle thätige Unterstützung
verbürgt. So und nicht anders liegt der vielbesprochene Conflict mit
Döllinger.

Sehr interessante Details traten bisweilen über die intolerante und sit¬
tenlose Haltung der Geistlichkeit zu Tage, ohne daß man darauf erpicht ge¬
wesen wäre, solche Fälle gerade hervorzukehren. Man konnte sie nur nicht
absolut verbergen: im Ganzen aber muß unbestreitbar die außergewöhnliche
Decenz und Mäßigung gerühmt werden, mit welcher man so viel scanda-
löses und effectvolles Material bei Seite schob. Man überließ getrost der
Presse, dem Volk zu zeigen, welch traurige Beispiele moralischer Verkommen¬
heit fast täglich unter dem Priesterstande vorkommen, die Versammlung aber
berührte dieselben nur vorübergehend, wo sie auf den für die Altkatholiken
bestehenden Nothstand hinwies.

Dem großen Congreß im Glaspalaste folgten noch einige Vorträge, die
ausschließlich für Damen gehalten wurden. Auch hier fanden sich zahlreiche
Frauen aus dem Bürgerstande ein, auch hier war von den vier Rednern,
welche auftraten. Prof. Reinkens schnell der Liebling geworden. Sie alle
schilderten den tiefen Einfluß, den die Corruption der Kirche auf die Familie
üben müsse, aber die wenigsten trafen hier den völlig rechten Ton, und vor
allem die rechte Mitte dessen, was man den Frauen geistig zutrauen und
was man ihnen vorenthalten dürfe. Reinkens setzte am meisten voraus.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/83>, abgerufen am 05.02.2025.