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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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ein wahres Bild der Verhandlungen geben könne, während es gegenwärtig
nur ein verzerrtes besitze, von welchem die Worte des Dichters gelten:


"Von der Parteien Haß und Gunst verwirrt ze."

Das Ergebniß dieser Berathungen und Verhandlungen ist das Buch,
dessen Titel wir unserem Aufsatze vorgesetzt haben.

Hören wir, wie sich Herr Bamberger selbst über die Aufgabe äußert, die
er sich gesetzt hat.

"In England und Frankreich," sagt er, "geben die großen Zeitungen die
Verhandlungen richtig und vollständig wieder. Man braucht sich daher nur
die Blätter zu sammeln. Dann hat man einen richtigen Text. Nichtsdesto¬
weniger hat sich auch dort das Bedürfniß geltend gemacht, den Wortlaut
der Erörterungen in geordneter und handlicher Buchform zu
erhalten, und die Sammlungen dieser Art fehlen in keiner den Staatsange¬
legenheiten gewidmeten Privatbibliothek. -- Um so mehr darf angenommen
werden, daß in Deutschland, wo das einfache Ansammeln der wenigsten Tages¬
blätter solchen Dienst zu leisten im Stande ist, ein Unternehmen dieser Art
seinen Platz finden werde. Diese Voraussetzung ist um so eher gestattet, als
authentische Zeugnisse für die Entstehungsgeschichte des geltenden Rechts auf
anderem Boden als auf dem parlamentarischen auch nicht gewonnen werden
können. Die Verhandlungen des Bundesraths, welcher als erster Conzipient
der Gesetzgebung arbeitet, sind geheim und reflectiren sich nur zu einem ge¬
ringen Theil und sehr summarischer Weise in den mit den Entwürfen ver¬
öffentlichten Motiven. Dadurch fällt auch jene Ursprungsgeschichte weg,
welche beispielsweise in den Archiven des französischen Staatsraths aus der
Zeit seiner größten legislatorischen Thätigkeit erwachsen ist, und welche sowol
für die praktische Auslegung als für die historische Beobachtung des Rechts
kostbares Material zurückgelassen hat. Je mehr der Einwand berechtigt ge¬
wesen sein mag, daß unsere eigenthümliche Zeitungswelt weder Geduld, noch
Muße, noch Mittel für eine sorgfältige Aufzeichnung der parlamentarischen
Verhandlungen übrig habe, desto deutlicher scheint es angezeigt, in einer an¬
deren, ruhigeren und bequemeren Form die Verbindung herzustellen,
ohne welche eine volle und fruchtbare W ces selwirk u n g zwischen
Volk und Volksvertretung nicht gedacht werden kann.

Geleitet von diesen Betrachtungen vermochte ich nicht dem oben erwähn¬
ten Antrage zu widerstehen, welcher durch die zahlreichen der Ausführung
sichtbar drohenden Schwierigkeiten sich nicht abschrecken lassen wollte.

Zahlreich sind in der That die Schwierigkeiten. Die einfachste Lösung
der Aufgabe hätte darin bestanden, daß die Verhandlungen des Reichstags
den amtlichen stenographischen Aufzeichnungen entnommen, nach Materien syste¬
matisch zusammengestellt, in gewöhnlichem Oktavformat herausgegeben und


ein wahres Bild der Verhandlungen geben könne, während es gegenwärtig
nur ein verzerrtes besitze, von welchem die Worte des Dichters gelten:


„Von der Parteien Haß und Gunst verwirrt ze."

Das Ergebniß dieser Berathungen und Verhandlungen ist das Buch,
dessen Titel wir unserem Aufsatze vorgesetzt haben.

Hören wir, wie sich Herr Bamberger selbst über die Aufgabe äußert, die
er sich gesetzt hat.

„In England und Frankreich," sagt er, „geben die großen Zeitungen die
Verhandlungen richtig und vollständig wieder. Man braucht sich daher nur
die Blätter zu sammeln. Dann hat man einen richtigen Text. Nichtsdesto¬
weniger hat sich auch dort das Bedürfniß geltend gemacht, den Wortlaut
der Erörterungen in geordneter und handlicher Buchform zu
erhalten, und die Sammlungen dieser Art fehlen in keiner den Staatsange¬
legenheiten gewidmeten Privatbibliothek. — Um so mehr darf angenommen
werden, daß in Deutschland, wo das einfache Ansammeln der wenigsten Tages¬
blätter solchen Dienst zu leisten im Stande ist, ein Unternehmen dieser Art
seinen Platz finden werde. Diese Voraussetzung ist um so eher gestattet, als
authentische Zeugnisse für die Entstehungsgeschichte des geltenden Rechts auf
anderem Boden als auf dem parlamentarischen auch nicht gewonnen werden
können. Die Verhandlungen des Bundesraths, welcher als erster Conzipient
der Gesetzgebung arbeitet, sind geheim und reflectiren sich nur zu einem ge¬
ringen Theil und sehr summarischer Weise in den mit den Entwürfen ver¬
öffentlichten Motiven. Dadurch fällt auch jene Ursprungsgeschichte weg,
welche beispielsweise in den Archiven des französischen Staatsraths aus der
Zeit seiner größten legislatorischen Thätigkeit erwachsen ist, und welche sowol
für die praktische Auslegung als für die historische Beobachtung des Rechts
kostbares Material zurückgelassen hat. Je mehr der Einwand berechtigt ge¬
wesen sein mag, daß unsere eigenthümliche Zeitungswelt weder Geduld, noch
Muße, noch Mittel für eine sorgfältige Aufzeichnung der parlamentarischen
Verhandlungen übrig habe, desto deutlicher scheint es angezeigt, in einer an¬
deren, ruhigeren und bequemeren Form die Verbindung herzustellen,
ohne welche eine volle und fruchtbare W ces selwirk u n g zwischen
Volk und Volksvertretung nicht gedacht werden kann.

Geleitet von diesen Betrachtungen vermochte ich nicht dem oben erwähn¬
ten Antrage zu widerstehen, welcher durch die zahlreichen der Ausführung
sichtbar drohenden Schwierigkeiten sich nicht abschrecken lassen wollte.

Zahlreich sind in der That die Schwierigkeiten. Die einfachste Lösung
der Aufgabe hätte darin bestanden, daß die Verhandlungen des Reichstags
den amtlichen stenographischen Aufzeichnungen entnommen, nach Materien syste¬
matisch zusammengestellt, in gewöhnlichem Oktavformat herausgegeben und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/467>, abgerufen am 11.02.2025.