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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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erstreckte sich der Beifall, den man allgemein Kampschülte's Ausführungen
zollen mußte, auch auf Strauß' verwandte Resultate. Und die freudige An¬
erkennung, die man fast von allen Seiten der kräftigen, ächt deutschen und
ächt patriotischen Darstellung zollte, hob dieses Buch vor allen seinen Rivalen
in der Kenntniß des allgemeinen Publikums noch höher empor. In der That,
wir meinen der Biograph hat hier mit seinem Helden einige seelische Ver¬
wandtschaft; er ist beanlagt mit Hütten mitzufühlen und anzudeuten: er ist
der Mann, Huttens Charakter zu erfassen. Den kecken, zuversichtlichen dreisten
Ton Huttens, sein energisches Gefühl für Recht und Wahrheit, feinen haßdurch¬
glühten Zorn über die ultramontanen Papisten, seinen Enthusiasmus für die
deutsche Sache und die deutsche Freiheit, auch seine ablehnende Haltung gegen
den kirchlicheren Protestantismus, -- alle diese Züge im Bilde Huttens prägt
Strauß deutlich aus: man fühlt, daß hier des Darstellers Herz von seinem
Gegenstande erwärmt und erfüllt ist. Und wenn Huttens ganzes Streben
mehr negative wie positive Seiten gehabt, wenn seine tumultuarischen Angriffe
auf die bestehenden Zustände als Zerstörer ihn gewaltig groß gezeigt haben,
wenn dagegen alles was vielleicht von positiven Zielen in Staat und Kirche
von ihm ausgesagt werden könnte, weit, sehr weit hinter seinen negativen
Verdiensten zurückbleibt, -- wir fürchten nicht Strauß ein Unrecht zuzufügen,
wenn wir urtheilen, gerade dies Negative in Hütten mache ihm den Mann
so werth, auf das Positive entspreche es seiner eigenen Ansicht, gar nicht so
großen Nachdruck zu legen. Und wenn seine Kritik Huttens in diesem Punkte
lückenhaft geblieben, wenn oft der Biograph allzusehr sich mit dem Helden
selbst deckte, für viele seiner Leser war das eine Empfehlung des Buches! Wie
dem ober auch sein mag, unzweifelhaft ist die Harmonie der Auffassung, der
einheitliche Guß der Ausführung, die vollendete Kunst der Formung; und un¬
zweifelhaft ist auch der große und verdiente Erfolg dieser Darstellung gewesen.

Einwendungen gegen Einzelnes, Ausstellungen gegen die doch etwas allzu
einseitig biographische Behandlung des Stoffes wären allerdings zu begründen
gewesen: jedoch mußte die Freude an dieser Leistung mit Recht größer sein
als etwaiger Tadel: der in's Panegyrische oft sich erhebende Ton fand Nachhall
und Echo in dem Gefühle weiterer Kreise. --

Heute nach vierzehn Jahren erscheint dies uns schon bekannte und auch
schon liebgewordene Buch in neuem Gewände, in "zweiter verbesserter Auflage"-
Ist auch Geist und Charakter des Buches derselbe geblieben, so finden wir im
Aeußerlichen doch manches geändert. Der ganze gelehrte Apparat, ohne dest
die erste Auflage die Reise zu uns gar nicht hätte unternehmen dürfen, ist
jetzt weggefallen: "Diesmal durch kein Gepäck beschwert, tritt der Ritter seinen
zweiten Ausritt an." Inder zweiten Auflage ist das Ganze in einen Band
von 582 Seiten zusammengedrückt, also um etwa 170 Seiten verkürzt worden-


erstreckte sich der Beifall, den man allgemein Kampschülte's Ausführungen
zollen mußte, auch auf Strauß' verwandte Resultate. Und die freudige An¬
erkennung, die man fast von allen Seiten der kräftigen, ächt deutschen und
ächt patriotischen Darstellung zollte, hob dieses Buch vor allen seinen Rivalen
in der Kenntniß des allgemeinen Publikums noch höher empor. In der That,
wir meinen der Biograph hat hier mit seinem Helden einige seelische Ver¬
wandtschaft; er ist beanlagt mit Hütten mitzufühlen und anzudeuten: er ist
der Mann, Huttens Charakter zu erfassen. Den kecken, zuversichtlichen dreisten
Ton Huttens, sein energisches Gefühl für Recht und Wahrheit, feinen haßdurch¬
glühten Zorn über die ultramontanen Papisten, seinen Enthusiasmus für die
deutsche Sache und die deutsche Freiheit, auch seine ablehnende Haltung gegen
den kirchlicheren Protestantismus, — alle diese Züge im Bilde Huttens prägt
Strauß deutlich aus: man fühlt, daß hier des Darstellers Herz von seinem
Gegenstande erwärmt und erfüllt ist. Und wenn Huttens ganzes Streben
mehr negative wie positive Seiten gehabt, wenn seine tumultuarischen Angriffe
auf die bestehenden Zustände als Zerstörer ihn gewaltig groß gezeigt haben,
wenn dagegen alles was vielleicht von positiven Zielen in Staat und Kirche
von ihm ausgesagt werden könnte, weit, sehr weit hinter seinen negativen
Verdiensten zurückbleibt, — wir fürchten nicht Strauß ein Unrecht zuzufügen,
wenn wir urtheilen, gerade dies Negative in Hütten mache ihm den Mann
so werth, auf das Positive entspreche es seiner eigenen Ansicht, gar nicht so
großen Nachdruck zu legen. Und wenn seine Kritik Huttens in diesem Punkte
lückenhaft geblieben, wenn oft der Biograph allzusehr sich mit dem Helden
selbst deckte, für viele seiner Leser war das eine Empfehlung des Buches! Wie
dem ober auch sein mag, unzweifelhaft ist die Harmonie der Auffassung, der
einheitliche Guß der Ausführung, die vollendete Kunst der Formung; und un¬
zweifelhaft ist auch der große und verdiente Erfolg dieser Darstellung gewesen.

Einwendungen gegen Einzelnes, Ausstellungen gegen die doch etwas allzu
einseitig biographische Behandlung des Stoffes wären allerdings zu begründen
gewesen: jedoch mußte die Freude an dieser Leistung mit Recht größer sein
als etwaiger Tadel: der in's Panegyrische oft sich erhebende Ton fand Nachhall
und Echo in dem Gefühle weiterer Kreise. —

Heute nach vierzehn Jahren erscheint dies uns schon bekannte und auch
schon liebgewordene Buch in neuem Gewände, in „zweiter verbesserter Auflage"-
Ist auch Geist und Charakter des Buches derselbe geblieben, so finden wir im
Aeußerlichen doch manches geändert. Der ganze gelehrte Apparat, ohne dest
die erste Auflage die Reise zu uns gar nicht hätte unternehmen dürfen, ist
jetzt weggefallen: „Diesmal durch kein Gepäck beschwert, tritt der Ritter seinen
zweiten Ausritt an." Inder zweiten Auflage ist das Ganze in einen Band
von 582 Seiten zusammengedrückt, also um etwa 170 Seiten verkürzt worden-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/454>, abgerufen am 05.02.2025.