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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Minister des Landes, zu dem fraglichen Gesetzentwurfe einnahm. Diese Folge
(um nicht zu sagen, diese Ursache) des vielbesprochenen Paragraphen ist ent¬
scheidend für die, Zukunft der bayrischen Politik; denn sie schließt jeden Rück¬
weg aus, sie verbindet nicht allein moralisch, sondern sachlich. Der Bruch mit
den Ultramontanen, der seit der Antwort auf die Herz'sche Jnterpellation
zum Schlagwort geworden ist, hat nun seine feierliche und definitive Be¬
stätigung erfahren und wird zur Basis aller Verhandlungen des bayrischen
Landtages gemacht werden.

Den mindesten Beifall unter allen Beschlüssen des Reichstages fand in
Bayern die Annahme des Militäretats, wie ihn das Bundeskanzleramt bean¬
tragt hatte. Denn die Meinungsverschiedenheit, die selbst unter den Mitglie¬
dern jeder einzelnen Partei hervortrat, berührte nicht angenehm, und die Ver¬
zögerung der Vorlage bis zum letzten Momente brachte manche Verstimmung.
Außer den Gründen, die an Ort und Stelle dagegen vorgebracht wurden,
gab es noch mancherlei geheime Gedanken und diese waren es, die in Bayern
mehrfach zum Ausdruck kamen. Durch blinden Zufall trafen fast in derselben
Zeit verschiedene Umstände zusammen, die sich leicht im Sinne einer kriegerischen
Zukunft erklären ließen, so daß sich eine gewisse Besorgniß vorübergehend auch
der öffentlichen Stimmung bemächtigte.

Greifen wir noch einmal zurück auf die Verhandlungen in Berlin, so ist
das Gesammtergebniß derselben für Bayern trotz alledem ein sehr erfreuliches.
Denn einerseits erhöhte es die Ueberzeugung, daß auch die innersten und
eigensten Angelegenheiten Baierns nicht dem großen Ganzen gegenüberstehen,
sondern ihre wahre und richtigste Lösung nur auf dem Boden des Reiches
finden; andererseits hoben sich auf diesem breiteren Hintergrunde die Partei¬
verhältnisse und die Persönlichkeiten unendlich viel schlagender ab, als in dem
engeren Rahmen des bayrischen Landtages. Die Niederlagen der Ultramon¬
tanen in Berlin verhalten sich zu denen von München wie die beiden Städte
selber; erst dort konnte der Schlag gegen die klerikale Treulosigkeit sich zu
einem großen geschichtlichen Acte gestalten.

Alle politischen Factoren in Bayern, die für die nationale Entwickelung
eintreten, haben im Verlaufe der Session an Autorität gewonnen. Die Ge¬
sinnung des hochherzigen Monarchen, der für die deutsche Sache schon so viel
geleistet, hat einen neuen Triumph gefeiert, indem er Hrn. v. Lutz ausdrücklich
ermächtigte, die berühmte Strafbestimmung zu beantragen; die Anerkennung
und Achtung, die dem bayrischen Ministerium dadurch zufiel, daß es für eine
Nationale Politik das Schwert erhob, wer jedenfalls größer als wenn es par-
ticuläre Interessen vertreten hätte.

Die liberalen Deputirten aber, welche Bayern in den Reichstag gesendet
^t, wußten eine so ungeheure Überlegenheit über ihre klerikalen Collegen


Minister des Landes, zu dem fraglichen Gesetzentwurfe einnahm. Diese Folge
(um nicht zu sagen, diese Ursache) des vielbesprochenen Paragraphen ist ent¬
scheidend für die, Zukunft der bayrischen Politik; denn sie schließt jeden Rück¬
weg aus, sie verbindet nicht allein moralisch, sondern sachlich. Der Bruch mit
den Ultramontanen, der seit der Antwort auf die Herz'sche Jnterpellation
zum Schlagwort geworden ist, hat nun seine feierliche und definitive Be¬
stätigung erfahren und wird zur Basis aller Verhandlungen des bayrischen
Landtages gemacht werden.

Den mindesten Beifall unter allen Beschlüssen des Reichstages fand in
Bayern die Annahme des Militäretats, wie ihn das Bundeskanzleramt bean¬
tragt hatte. Denn die Meinungsverschiedenheit, die selbst unter den Mitglie¬
dern jeder einzelnen Partei hervortrat, berührte nicht angenehm, und die Ver¬
zögerung der Vorlage bis zum letzten Momente brachte manche Verstimmung.
Außer den Gründen, die an Ort und Stelle dagegen vorgebracht wurden,
gab es noch mancherlei geheime Gedanken und diese waren es, die in Bayern
mehrfach zum Ausdruck kamen. Durch blinden Zufall trafen fast in derselben
Zeit verschiedene Umstände zusammen, die sich leicht im Sinne einer kriegerischen
Zukunft erklären ließen, so daß sich eine gewisse Besorgniß vorübergehend auch
der öffentlichen Stimmung bemächtigte.

Greifen wir noch einmal zurück auf die Verhandlungen in Berlin, so ist
das Gesammtergebniß derselben für Bayern trotz alledem ein sehr erfreuliches.
Denn einerseits erhöhte es die Ueberzeugung, daß auch die innersten und
eigensten Angelegenheiten Baierns nicht dem großen Ganzen gegenüberstehen,
sondern ihre wahre und richtigste Lösung nur auf dem Boden des Reiches
finden; andererseits hoben sich auf diesem breiteren Hintergrunde die Partei¬
verhältnisse und die Persönlichkeiten unendlich viel schlagender ab, als in dem
engeren Rahmen des bayrischen Landtages. Die Niederlagen der Ultramon¬
tanen in Berlin verhalten sich zu denen von München wie die beiden Städte
selber; erst dort konnte der Schlag gegen die klerikale Treulosigkeit sich zu
einem großen geschichtlichen Acte gestalten.

Alle politischen Factoren in Bayern, die für die nationale Entwickelung
eintreten, haben im Verlaufe der Session an Autorität gewonnen. Die Ge¬
sinnung des hochherzigen Monarchen, der für die deutsche Sache schon so viel
geleistet, hat einen neuen Triumph gefeiert, indem er Hrn. v. Lutz ausdrücklich
ermächtigte, die berühmte Strafbestimmung zu beantragen; die Anerkennung
und Achtung, die dem bayrischen Ministerium dadurch zufiel, daß es für eine
Nationale Politik das Schwert erhob, wer jedenfalls größer als wenn es par-
ticuläre Interessen vertreten hätte.

Die liberalen Deputirten aber, welche Bayern in den Reichstag gesendet
^t, wußten eine so ungeheure Überlegenheit über ihre klerikalen Collegen


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[0435] Minister des Landes, zu dem fraglichen Gesetzentwurfe einnahm. Diese Folge (um nicht zu sagen, diese Ursache) des vielbesprochenen Paragraphen ist ent¬ scheidend für die, Zukunft der bayrischen Politik; denn sie schließt jeden Rück¬ weg aus, sie verbindet nicht allein moralisch, sondern sachlich. Der Bruch mit den Ultramontanen, der seit der Antwort auf die Herz'sche Jnterpellation zum Schlagwort geworden ist, hat nun seine feierliche und definitive Be¬ stätigung erfahren und wird zur Basis aller Verhandlungen des bayrischen Landtages gemacht werden. Den mindesten Beifall unter allen Beschlüssen des Reichstages fand in Bayern die Annahme des Militäretats, wie ihn das Bundeskanzleramt bean¬ tragt hatte. Denn die Meinungsverschiedenheit, die selbst unter den Mitglie¬ dern jeder einzelnen Partei hervortrat, berührte nicht angenehm, und die Ver¬ zögerung der Vorlage bis zum letzten Momente brachte manche Verstimmung. Außer den Gründen, die an Ort und Stelle dagegen vorgebracht wurden, gab es noch mancherlei geheime Gedanken und diese waren es, die in Bayern mehrfach zum Ausdruck kamen. Durch blinden Zufall trafen fast in derselben Zeit verschiedene Umstände zusammen, die sich leicht im Sinne einer kriegerischen Zukunft erklären ließen, so daß sich eine gewisse Besorgniß vorübergehend auch der öffentlichen Stimmung bemächtigte. Greifen wir noch einmal zurück auf die Verhandlungen in Berlin, so ist das Gesammtergebniß derselben für Bayern trotz alledem ein sehr erfreuliches. Denn einerseits erhöhte es die Ueberzeugung, daß auch die innersten und eigensten Angelegenheiten Baierns nicht dem großen Ganzen gegenüberstehen, sondern ihre wahre und richtigste Lösung nur auf dem Boden des Reiches finden; andererseits hoben sich auf diesem breiteren Hintergrunde die Partei¬ verhältnisse und die Persönlichkeiten unendlich viel schlagender ab, als in dem engeren Rahmen des bayrischen Landtages. Die Niederlagen der Ultramon¬ tanen in Berlin verhalten sich zu denen von München wie die beiden Städte selber; erst dort konnte der Schlag gegen die klerikale Treulosigkeit sich zu einem großen geschichtlichen Acte gestalten. Alle politischen Factoren in Bayern, die für die nationale Entwickelung eintreten, haben im Verlaufe der Session an Autorität gewonnen. Die Ge¬ sinnung des hochherzigen Monarchen, der für die deutsche Sache schon so viel geleistet, hat einen neuen Triumph gefeiert, indem er Hrn. v. Lutz ausdrücklich ermächtigte, die berühmte Strafbestimmung zu beantragen; die Anerkennung und Achtung, die dem bayrischen Ministerium dadurch zufiel, daß es für eine Nationale Politik das Schwert erhob, wer jedenfalls größer als wenn es par- ticuläre Interessen vertreten hätte. Die liberalen Deputirten aber, welche Bayern in den Reichstag gesendet ^t, wußten eine so ungeheure Überlegenheit über ihre klerikalen Collegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/435>, abgerufen am 06.02.2025.