Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.Wahrhaftig nein! Keiner der großen Fragen, die im Reichstag zur Ent¬ Werfen wir nun in Kürze einen Blick auf die wichtigsten Vorlagen, an Mitten hinein in das Sonderleben Bayerns, das von vielen Seiten so Für keinen von allen deutschen Staaten ist dieser Antrag so bedeutungs¬ Wahrhaftig nein! Keiner der großen Fragen, die im Reichstag zur Ent¬ Werfen wir nun in Kürze einen Blick auf die wichtigsten Vorlagen, an Mitten hinein in das Sonderleben Bayerns, das von vielen Seiten so Für keinen von allen deutschen Staaten ist dieser Antrag so bedeutungs¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0432" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192733"/> <p xml:id="ID_1581"> Wahrhaftig nein! Keiner der großen Fragen, die im Reichstag zur Ent¬<lb/> scheidung kamen, stand die Staatsregierung thatenlos gegenüber, keine von ihnen<lb/> hat verfehlt, die öffentliche Meinung des Landes zu voller und lebendiger<lb/> Theilnahme hinzureißen. Und dieß allein schon, nicht blos das Ergebniß der<lb/> Abstimmung ist ein politisches Resultat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1582"> Werfen wir nun in Kürze einen Blick auf die wichtigsten Vorlagen, an<lb/> welchen diese Bemerkung lebendig zur Geltung kam. Es liegt uns<lb/> dabei ferne, eine sachliche Kritik dieser Vorlagen zu wiederholen, die längst nach<lb/> allen Seiten hin beleuchtet und aus dem Bereich der Debatte ins Reich der<lb/> Thatsachen getreten sind; es soll sich lediglich um die Bedeutung handeln,<lb/> welche diese Beschlüsse speciell für Bayern haben, und um die öffentliche Stimmung<lb/> die ihnen entgegenkam.</p><lb/> <p xml:id="ID_1583"> Mitten hinein in das Sonderleben Bayerns, das von vielen Seiten so<lb/> emsig gepflegt wird, griff der Antrag, die Competenz des Reichstags auch<lb/> auf Civil- und Strafrecht nebst Gerichtsverfassung auszudehnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1584" next="#ID_1585"> Für keinen von allen deutschen Staaten ist dieser Antrag so bedeutungs¬<lb/> voll als gerade sür Bayern. Denn durch die Summe kleiner ehemals reichs¬<lb/> ständischer Territorien, aus denen das Königreich im Anfang dieses Jcchrhun-<lb/> hunderts zusammengesetzt war, hat sich eine Summe von Particularstatuten<lb/> eingesiedelt, welche die Rechtspflege ganz kunterbunt erscheinen lassen. Dieser Zu¬<lb/> stand ward noch vermehrt durch die Menge geistlicher Herrschaften, die in dem<lb/> klosterreichen Süden Bayerns bestanden und deren autonome Thätigkeit keine<lb/> geringe war. So ergab sich denn, daß auf einem Gebiete von 1348 Quadrat¬<lb/> meilen wohl ein halbes Hundert Particularrechte in gleichzeitiger Geltung<lb/> stehen, was dem Rechtsbewußtsein des Volkes nicht eben förderlich werden<lb/> kann. Unter diesen Umständen ist eine einheitliche Feststellung des Civilrechts<lb/> nicht blos wünschenswert!), sondern unvermeidlich geworden; allein die Oppo¬<lb/> sition, die sich sofort dieser Reform entgegenwarf, sah die Sache von einem<lb/> anderen Standpunkte an. Den Particularisten wurden mit einem mal die<lb/> Particularrechte so theuer, als ob mit jedem einzelnen ein Hoheitsrecht der<lb/> Krone genommen würde; die politische Seite der Frage, nicht die juristische<lb/> Bedeutung derselben ward in den Vordergrund gestellt. Alle ultramontanen<lb/> Organe sahen schon mit lauter Klage die bayrische Selbständigkeit zu Grabe<lb/> gehen, die Justizhoheit des Königs schien ihnen ganz und gar bedroht.<lb/> Gegen dieses Argument ließ sich natürlich mehr als ein Einwand erheben.<lb/> Denn die Ernennung der Richter erfolgt deshalb nicht minder durch den<lb/> König von Bayern und die Urtheile werden ebenso im Namen des letzteren<lb/> erlassen, ob nun das Recht, welches der Richter seiner Entscheidung zu Grunde<lb/> legt, ein gemeinsames, im Reich geschaffenes, oder ein particuläres, vor 100 Jahren<lb/> vom Würzburger Bischof erlassenes Statut ist. An der Herstellung der Ge-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0432]
Wahrhaftig nein! Keiner der großen Fragen, die im Reichstag zur Ent¬
scheidung kamen, stand die Staatsregierung thatenlos gegenüber, keine von ihnen
hat verfehlt, die öffentliche Meinung des Landes zu voller und lebendiger
Theilnahme hinzureißen. Und dieß allein schon, nicht blos das Ergebniß der
Abstimmung ist ein politisches Resultat.
Werfen wir nun in Kürze einen Blick auf die wichtigsten Vorlagen, an
welchen diese Bemerkung lebendig zur Geltung kam. Es liegt uns
dabei ferne, eine sachliche Kritik dieser Vorlagen zu wiederholen, die längst nach
allen Seiten hin beleuchtet und aus dem Bereich der Debatte ins Reich der
Thatsachen getreten sind; es soll sich lediglich um die Bedeutung handeln,
welche diese Beschlüsse speciell für Bayern haben, und um die öffentliche Stimmung
die ihnen entgegenkam.
Mitten hinein in das Sonderleben Bayerns, das von vielen Seiten so
emsig gepflegt wird, griff der Antrag, die Competenz des Reichstags auch
auf Civil- und Strafrecht nebst Gerichtsverfassung auszudehnen.
Für keinen von allen deutschen Staaten ist dieser Antrag so bedeutungs¬
voll als gerade sür Bayern. Denn durch die Summe kleiner ehemals reichs¬
ständischer Territorien, aus denen das Königreich im Anfang dieses Jcchrhun-
hunderts zusammengesetzt war, hat sich eine Summe von Particularstatuten
eingesiedelt, welche die Rechtspflege ganz kunterbunt erscheinen lassen. Dieser Zu¬
stand ward noch vermehrt durch die Menge geistlicher Herrschaften, die in dem
klosterreichen Süden Bayerns bestanden und deren autonome Thätigkeit keine
geringe war. So ergab sich denn, daß auf einem Gebiete von 1348 Quadrat¬
meilen wohl ein halbes Hundert Particularrechte in gleichzeitiger Geltung
stehen, was dem Rechtsbewußtsein des Volkes nicht eben förderlich werden
kann. Unter diesen Umständen ist eine einheitliche Feststellung des Civilrechts
nicht blos wünschenswert!), sondern unvermeidlich geworden; allein die Oppo¬
sition, die sich sofort dieser Reform entgegenwarf, sah die Sache von einem
anderen Standpunkte an. Den Particularisten wurden mit einem mal die
Particularrechte so theuer, als ob mit jedem einzelnen ein Hoheitsrecht der
Krone genommen würde; die politische Seite der Frage, nicht die juristische
Bedeutung derselben ward in den Vordergrund gestellt. Alle ultramontanen
Organe sahen schon mit lauter Klage die bayrische Selbständigkeit zu Grabe
gehen, die Justizhoheit des Königs schien ihnen ganz und gar bedroht.
Gegen dieses Argument ließ sich natürlich mehr als ein Einwand erheben.
Denn die Ernennung der Richter erfolgt deshalb nicht minder durch den
König von Bayern und die Urtheile werden ebenso im Namen des letzteren
erlassen, ob nun das Recht, welches der Richter seiner Entscheidung zu Grunde
legt, ein gemeinsames, im Reich geschaffenes, oder ein particuläres, vor 100 Jahren
vom Würzburger Bischof erlassenes Statut ist. An der Herstellung der Ge-
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