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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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"Nväistk" entdeckt hätte, daß ich nicht eine französische, sondern eine
preußische Krankenpflegerin sei; sie hätte mich vielleicht in einer Anwandlung
von Patriotismus den Händen eines "Nöthen" übergeben. Ueberall herrschte
hier so ein Gefühl der vollständigen Unsicherheit in der Atmosphäre und ich
fühlte ein solches nervöses Zucken und Zittern in allen meinen Gliedern als
ich herumging, wie wenn ich auf dem Rande eines Kraters stände, der jeden
Augenblick ausbrechen könnte und mich verschlingen, so daß ich gar nicht
traurig war, als ich mich endlich (obgleich in einem sehr langsamen Zug)
sicher auf meinem Weg nach Calais befand. Die Reise dauerte statt fünf,
achtzehn Stunden und auch der Kanal war stürmischer als sonst; doch als
ich auf dem klassischen Boden des Friedens, der Policemen und der Extra¬
züge stand, konnte ich mich wirklich nicht jenes landläufigen Aufrufes ent¬
halten -- "DnFlkwcl. >viel M dei^ Knies I love tluze still." Trotz Waller
Fehler, England, lieb' ich Dich.




Mit Stolz darf Bayern auf die jüngste Vergangenheit zurückblicken. Die
Heit, die wir dabei im Auge haben und die seit unsrem letzten Bericht ver¬
strichen ist, zählt freilich nur nach Wochen, allein das Ergebniß, welches sie ge¬
bracht, schließt das Streben und die Thatkraft von Jahren ein. Es hat für¬
wahr den Anschein, als ob die deutsche Entwicklung alles das, was sie seit
1848 schuldig blieb, mit einemmal nachzuholen strebte, so unaufhaltsam schreitet
das Werk der nationalen Eintracht weiter. Mehr als irgendwo im Reiche
empfindet man dieß in Bayern, denn nirgends war der Maßstab der Ent¬
wicklung bedächtiger als dort, nirgends liegt der Gegensatz von damals und
heute weiter auseinander.

Der größte Theil jener Fortschritte, die wir damit constatiren, ward
freilich nicht im eigenen Hause und nicht von eigenen Händen allein verwirk¬
licht. Das geben wir gern zu, allein auch die receptive Seite solcher Borgänge
bleibt noch immer interessant genug. Aus das ist ein Act von politischer Be¬
deutung wie Baiern diesen neuen wichtigen Jdemzuwachs in sein bisheriges
Staatsleben aufnahm: ob die Rolle, die es dabei spielte, eine active war,
oder ob es in machtloser Passivität die Dinge lediglich geschehen ließ..


„Nväistk" entdeckt hätte, daß ich nicht eine französische, sondern eine
preußische Krankenpflegerin sei; sie hätte mich vielleicht in einer Anwandlung
von Patriotismus den Händen eines „Nöthen" übergeben. Ueberall herrschte
hier so ein Gefühl der vollständigen Unsicherheit in der Atmosphäre und ich
fühlte ein solches nervöses Zucken und Zittern in allen meinen Gliedern als
ich herumging, wie wenn ich auf dem Rande eines Kraters stände, der jeden
Augenblick ausbrechen könnte und mich verschlingen, so daß ich gar nicht
traurig war, als ich mich endlich (obgleich in einem sehr langsamen Zug)
sicher auf meinem Weg nach Calais befand. Die Reise dauerte statt fünf,
achtzehn Stunden und auch der Kanal war stürmischer als sonst; doch als
ich auf dem klassischen Boden des Friedens, der Policemen und der Extra¬
züge stand, konnte ich mich wirklich nicht jenes landläufigen Aufrufes ent¬
halten — „DnFlkwcl. >viel M dei^ Knies I love tluze still." Trotz Waller
Fehler, England, lieb' ich Dich.




Mit Stolz darf Bayern auf die jüngste Vergangenheit zurückblicken. Die
Heit, die wir dabei im Auge haben und die seit unsrem letzten Bericht ver¬
strichen ist, zählt freilich nur nach Wochen, allein das Ergebniß, welches sie ge¬
bracht, schließt das Streben und die Thatkraft von Jahren ein. Es hat für¬
wahr den Anschein, als ob die deutsche Entwicklung alles das, was sie seit
1848 schuldig blieb, mit einemmal nachzuholen strebte, so unaufhaltsam schreitet
das Werk der nationalen Eintracht weiter. Mehr als irgendwo im Reiche
empfindet man dieß in Bayern, denn nirgends war der Maßstab der Ent¬
wicklung bedächtiger als dort, nirgends liegt der Gegensatz von damals und
heute weiter auseinander.

Der größte Theil jener Fortschritte, die wir damit constatiren, ward
freilich nicht im eigenen Hause und nicht von eigenen Händen allein verwirk¬
licht. Das geben wir gern zu, allein auch die receptive Seite solcher Borgänge
bleibt noch immer interessant genug. Aus das ist ein Act von politischer Be¬
deutung wie Baiern diesen neuen wichtigen Jdemzuwachs in sein bisheriges
Staatsleben aufnahm: ob die Rolle, die es dabei spielte, eine active war,
oder ob es in machtloser Passivität die Dinge lediglich geschehen ließ..


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[0431] „Nväistk" entdeckt hätte, daß ich nicht eine französische, sondern eine preußische Krankenpflegerin sei; sie hätte mich vielleicht in einer Anwandlung von Patriotismus den Händen eines „Nöthen" übergeben. Ueberall herrschte hier so ein Gefühl der vollständigen Unsicherheit in der Atmosphäre und ich fühlte ein solches nervöses Zucken und Zittern in allen meinen Gliedern als ich herumging, wie wenn ich auf dem Rande eines Kraters stände, der jeden Augenblick ausbrechen könnte und mich verschlingen, so daß ich gar nicht traurig war, als ich mich endlich (obgleich in einem sehr langsamen Zug) sicher auf meinem Weg nach Calais befand. Die Reise dauerte statt fünf, achtzehn Stunden und auch der Kanal war stürmischer als sonst; doch als ich auf dem klassischen Boden des Friedens, der Policemen und der Extra¬ züge stand, konnte ich mich wirklich nicht jenes landläufigen Aufrufes ent¬ halten — „DnFlkwcl. >viel M dei^ Knies I love tluze still." Trotz Waller Fehler, England, lieb' ich Dich. Mit Stolz darf Bayern auf die jüngste Vergangenheit zurückblicken. Die Heit, die wir dabei im Auge haben und die seit unsrem letzten Bericht ver¬ strichen ist, zählt freilich nur nach Wochen, allein das Ergebniß, welches sie ge¬ bracht, schließt das Streben und die Thatkraft von Jahren ein. Es hat für¬ wahr den Anschein, als ob die deutsche Entwicklung alles das, was sie seit 1848 schuldig blieb, mit einemmal nachzuholen strebte, so unaufhaltsam schreitet das Werk der nationalen Eintracht weiter. Mehr als irgendwo im Reiche empfindet man dieß in Bayern, denn nirgends war der Maßstab der Ent¬ wicklung bedächtiger als dort, nirgends liegt der Gegensatz von damals und heute weiter auseinander. Der größte Theil jener Fortschritte, die wir damit constatiren, ward freilich nicht im eigenen Hause und nicht von eigenen Händen allein verwirk¬ licht. Das geben wir gern zu, allein auch die receptive Seite solcher Borgänge bleibt noch immer interessant genug. Aus das ist ein Act von politischer Be¬ deutung wie Baiern diesen neuen wichtigen Jdemzuwachs in sein bisheriges Staatsleben aufnahm: ob die Rolle, die es dabei spielte, eine active war, oder ob es in machtloser Passivität die Dinge lediglich geschehen ließ..

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/431>, abgerufen am 05.02.2025.