Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.dachte, die Sache sei rein militärischer Natur, und es werde wenig nützen, Ich glaube nicht, daß er sich sehr um Politik kümmerte, oder auch nur "Rössel war ein Mann von Mittelgröße, schwächlich, aber sonst gut ge¬ Es ist hart, wenn ich meine Feder niederlegen muß mit dem Gedanken, So der englische Correspondent. Sein Bericht ist interessant. Was wir dachte, die Sache sei rein militärischer Natur, und es werde wenig nützen, Ich glaube nicht, daß er sich sehr um Politik kümmerte, oder auch nur „Rössel war ein Mann von Mittelgröße, schwächlich, aber sonst gut ge¬ Es ist hart, wenn ich meine Feder niederlegen muß mit dem Gedanken, So der englische Correspondent. Sein Bericht ist interessant. Was wir <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0422" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192723"/> <p xml:id="ID_1552" prev="#ID_1551"> dachte, die Sache sei rein militärischer Natur, und es werde wenig nützen,<lb/> wenn er den Patriotismus betone, der ihn zu dem tollen Schritt bewogen,<lb/> Revers zu verlassen und sich der Jnsurrection anzuschließen. „Ich erwarte,<lb/> zum Tode verurtheilt zu werden", sagte er, „und Alles in Allem betrachtet,<lb/> ziehe ich das vor. Vielleicht indeß werden sie mich nicht erschießen", setzte er<lb/> hinzu, als er meine trübe Miene bei diesen Worten sah. Dann sprach er<lb/> ziemlich aufgeräumt von einigen seiner Verwandten in Brighton und von<lb/> seinem Buche: „Die Kriegskunst", welches damals im Druck war. „Nicht<lb/> wahr, Sie werden mir alle englischen Recensionen darüber senden? Schicke»<lb/> Sie die Blätter an Herrn Joly (sein beredter und geschickter Vertheidiger»,<lb/> er wird sie mir geben. Ich liebe Alles, was von England kommt." Er war<lb/> ein so eifriger Bücherleser, wie nur ein Deutscher sein kann, und selbst als er<lb/> Kriegsdelegat war, und Tag und Nacht keine Ruhe hatte, fuhr er fort, sich<lb/> selbst von seinen Mahlzeiten Momente abzusparen, um mit seinen geliebten<lb/> Büchern zu verkehren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1553"> Ich glaube nicht, daß er sich sehr um Politik kümmerte, oder auch nur<lb/> viel davon verstand, obwohl ich mich erinnere, gesehen zu haben, daß er mit<lb/> Interesse während seines kurzen Regiments im Kriegsministerium Frederic<lb/> Harrison's Artikel über die Commune im „Fortnightly Review" las. Auch<lb/> Oberst Owen's Werk über die Artillerie lieh ihm ein englischer Freund wäh¬<lb/> rend derselben Zeit, und ich entsinne mich, daß er mir in Betreff dieses letzte¬<lb/> ren Buches erzählte, wie er Woolwich besucht, und das dortige Arsenal in<lb/> Gesellschaft englischer Artillerieoffiziere in allen Einzelheiten in Augenschein ge¬<lb/> nommen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1554"> „Rössel war ein Mann von Mittelgröße, schwächlich, aber sonst gut ge¬<lb/> wachsen, für einen Soldaten etwas zu sehr nach vorn übergebeugt, was ohne<lb/> Zweifel davon herrührte, daß er zuviel studirt. Er hatte ein wundervoll in¬<lb/> telligentes graues Auge und ein Gesicht, welches in jedem Zuge gedrungene<lb/> Thatkraft und Fähigkeit zu harter Arbeit ausdrückte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1555"> Es ist hart, wenn ich meine Feder niederlegen muß mit dem Gedanken,<lb/> nicht blos an die blutübergossene Leiche meines armen Freundes, sondern<lb/> auch an seine zum Tode betrübte Mutter, an seine Schwestern und seinen<lb/> unglücklichen Vater, der jüngst erst zu einem Freunde sagte: „Ach, meo<lb/> Herr, mein Herr, Bazaine ist noch nicht vor Gericht gestellt, und sie wollen<lb/> meinen armen Jungen erschießen!" Bazaine in Freiheit und der Patriot<lb/> Rössel erschossen; er, der vielleicht in seiner Vaterlandsliebe auf falsche Wege<lb/> gerieth. aber treu und ehrlich war wie die Sonne am Himmel — wahrlich-<lb/> es gibt nicht wenige von uns hier, denen es schwer fällt, zu glauben, daß ^<lb/> noch etwas der Art wie Gerechtigkeit in Frankreich gibt!"</p><lb/> <p xml:id="ID_1556" next="#ID_1557"> So der englische Correspondent. Sein Bericht ist interessant. Was wir</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0422]
dachte, die Sache sei rein militärischer Natur, und es werde wenig nützen,
wenn er den Patriotismus betone, der ihn zu dem tollen Schritt bewogen,
Revers zu verlassen und sich der Jnsurrection anzuschließen. „Ich erwarte,
zum Tode verurtheilt zu werden", sagte er, „und Alles in Allem betrachtet,
ziehe ich das vor. Vielleicht indeß werden sie mich nicht erschießen", setzte er
hinzu, als er meine trübe Miene bei diesen Worten sah. Dann sprach er
ziemlich aufgeräumt von einigen seiner Verwandten in Brighton und von
seinem Buche: „Die Kriegskunst", welches damals im Druck war. „Nicht
wahr, Sie werden mir alle englischen Recensionen darüber senden? Schicke»
Sie die Blätter an Herrn Joly (sein beredter und geschickter Vertheidiger»,
er wird sie mir geben. Ich liebe Alles, was von England kommt." Er war
ein so eifriger Bücherleser, wie nur ein Deutscher sein kann, und selbst als er
Kriegsdelegat war, und Tag und Nacht keine Ruhe hatte, fuhr er fort, sich
selbst von seinen Mahlzeiten Momente abzusparen, um mit seinen geliebten
Büchern zu verkehren.
Ich glaube nicht, daß er sich sehr um Politik kümmerte, oder auch nur
viel davon verstand, obwohl ich mich erinnere, gesehen zu haben, daß er mit
Interesse während seines kurzen Regiments im Kriegsministerium Frederic
Harrison's Artikel über die Commune im „Fortnightly Review" las. Auch
Oberst Owen's Werk über die Artillerie lieh ihm ein englischer Freund wäh¬
rend derselben Zeit, und ich entsinne mich, daß er mir in Betreff dieses letzte¬
ren Buches erzählte, wie er Woolwich besucht, und das dortige Arsenal in
Gesellschaft englischer Artillerieoffiziere in allen Einzelheiten in Augenschein ge¬
nommen."
„Rössel war ein Mann von Mittelgröße, schwächlich, aber sonst gut ge¬
wachsen, für einen Soldaten etwas zu sehr nach vorn übergebeugt, was ohne
Zweifel davon herrührte, daß er zuviel studirt. Er hatte ein wundervoll in¬
telligentes graues Auge und ein Gesicht, welches in jedem Zuge gedrungene
Thatkraft und Fähigkeit zu harter Arbeit ausdrückte.
Es ist hart, wenn ich meine Feder niederlegen muß mit dem Gedanken,
nicht blos an die blutübergossene Leiche meines armen Freundes, sondern
auch an seine zum Tode betrübte Mutter, an seine Schwestern und seinen
unglücklichen Vater, der jüngst erst zu einem Freunde sagte: „Ach, meo
Herr, mein Herr, Bazaine ist noch nicht vor Gericht gestellt, und sie wollen
meinen armen Jungen erschießen!" Bazaine in Freiheit und der Patriot
Rössel erschossen; er, der vielleicht in seiner Vaterlandsliebe auf falsche Wege
gerieth. aber treu und ehrlich war wie die Sonne am Himmel — wahrlich-
es gibt nicht wenige von uns hier, denen es schwer fällt, zu glauben, daß ^
noch etwas der Art wie Gerechtigkeit in Frankreich gibt!"
So der englische Correspondent. Sein Bericht ist interessant. Was wir
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