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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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seine Klauen geriethen, als Geiseln zu behalten. Rössel verstand mich sofort,
schickte meinen Paß durch eine Ordonnanz hinunter nach der Rue de Jerusa¬
lem, und in einer halben Stunde hatte ich ihn gehörig unterzeichnet zurück
und zugleich eine schriftliche Erlaubniß, ein paar werthvolle Pferde aus Paris
wegzuschaffen.

Während wir auf die Rückkehr der Ordonnanz warteten, führte Rossel
mich in ein Nebenbureau. "Lassen Sie uns doch mal sehen, ob es irgend¬
welche Nachrichten von den Vorposten giebt," sagte er, indem er ein Buch mit
telegraphischen Depeschen öffnete. Ich schlug die Blätter auf und sah sofort,
was ich längst vermuthet hatte, daß nämlich die Nachrichten im "Journal
Officiel" -- na, daß diese Nachrichten so wenig die Wahrheit wiedergaben als
französische officielle Nachrichten in der Regel. Ich konnte mich nicht ent¬
halten, meinen Abscheu vor diesem Lügensystem gegen Rössel zu äußern. "Mir
ist es ganz ebenso zuwider wie Ihnen," erwiederte er. "Aber was soll ich
thun. Die Andern bestehen darauf, daß Depeschen zusammengedoctert werden,
und in der That, wenn wir denen in der Stadt wissen lassen wollten, wie es
in Wahrheit steht" -- damit hielt er inne.

Da kam mir plötzlich ein Gedanke. Ich zog den Kriegsdelegirten bei
^>eile in eine Fensternische, und nachdem ich mich entschuldigt, daß ich als ein
Unglücksprophet rede, gab ich ihm meine eigene Karte und Adresse sowie die
eines Freundes, der wie ich eine große Neigung zu Rössel gefaßt und mich
ermächtigt hatte, ihm Schutz und Zuflucht anzubieten, und bat ihn, sich zu
^nem von uns zu flüchten, falls er die Gewalt verlieren und gezwungen sein
^ille, sich vor seinen stets argwöhnischen (sie waren stets an unrechter Stelle
argwöhnisch) Collegen von der Commune zu verbergen. Rössel versprach mir,
von unserm Anerbieten Gebrauch zu machen, falls es nöthig werden sollte,
und von dieser Zeit an behandelte er mich als einen Freund, auf den er sich
verlassen konnte.

Bald nachher hatte ich Gelegenheit, einen Ritt aus Paris hinaus zu un¬
ternehmen, und diese benutzte ich, um einem preußischen Freunde in der Nähe
von Enghien einen Besuch zu machen. Als ich Rössel am nächsten Tage sah,
^wähnte ich gegen ihn, nicht ohne damit stark auf den Busch zu klopfen, da ich
seinen Haß gegen die Deutschen kannte, wo ich gewesen. "Darüber muß ich
wie Ihnen reden," sagte er sehr lebhaft, "und zwar an einem Orte, wo wir
Kilein mit einander sprechen können. (Wir waren in einem Zimmer voll lär¬
mende Nationalgarten-Officiere, unter denen Rössel nur mit einiger Mühe
^en Frieden aufrecht erhielt.) Kommen Sie und frühstücken Sie mit mir um
Swölf Uhr. Es wird Niemand weiter da sein, als DombrowM und vielleicht
ein anderer Freund, dem ich trauen kann. Ich entsprach der Einladung und
fand Dombrowski wartend in dem prachtvollen Speisezimmer des Kriegsmi-


seine Klauen geriethen, als Geiseln zu behalten. Rössel verstand mich sofort,
schickte meinen Paß durch eine Ordonnanz hinunter nach der Rue de Jerusa¬
lem, und in einer halben Stunde hatte ich ihn gehörig unterzeichnet zurück
und zugleich eine schriftliche Erlaubniß, ein paar werthvolle Pferde aus Paris
wegzuschaffen.

Während wir auf die Rückkehr der Ordonnanz warteten, führte Rossel
mich in ein Nebenbureau. „Lassen Sie uns doch mal sehen, ob es irgend¬
welche Nachrichten von den Vorposten giebt," sagte er, indem er ein Buch mit
telegraphischen Depeschen öffnete. Ich schlug die Blätter auf und sah sofort,
was ich längst vermuthet hatte, daß nämlich die Nachrichten im „Journal
Officiel" — na, daß diese Nachrichten so wenig die Wahrheit wiedergaben als
französische officielle Nachrichten in der Regel. Ich konnte mich nicht ent¬
halten, meinen Abscheu vor diesem Lügensystem gegen Rössel zu äußern. „Mir
ist es ganz ebenso zuwider wie Ihnen," erwiederte er. „Aber was soll ich
thun. Die Andern bestehen darauf, daß Depeschen zusammengedoctert werden,
und in der That, wenn wir denen in der Stadt wissen lassen wollten, wie es
in Wahrheit steht" — damit hielt er inne.

Da kam mir plötzlich ein Gedanke. Ich zog den Kriegsdelegirten bei
^>eile in eine Fensternische, und nachdem ich mich entschuldigt, daß ich als ein
Unglücksprophet rede, gab ich ihm meine eigene Karte und Adresse sowie die
eines Freundes, der wie ich eine große Neigung zu Rössel gefaßt und mich
ermächtigt hatte, ihm Schutz und Zuflucht anzubieten, und bat ihn, sich zu
^nem von uns zu flüchten, falls er die Gewalt verlieren und gezwungen sein
^ille, sich vor seinen stets argwöhnischen (sie waren stets an unrechter Stelle
argwöhnisch) Collegen von der Commune zu verbergen. Rössel versprach mir,
von unserm Anerbieten Gebrauch zu machen, falls es nöthig werden sollte,
und von dieser Zeit an behandelte er mich als einen Freund, auf den er sich
verlassen konnte.

Bald nachher hatte ich Gelegenheit, einen Ritt aus Paris hinaus zu un¬
ternehmen, und diese benutzte ich, um einem preußischen Freunde in der Nähe
von Enghien einen Besuch zu machen. Als ich Rössel am nächsten Tage sah,
^wähnte ich gegen ihn, nicht ohne damit stark auf den Busch zu klopfen, da ich
seinen Haß gegen die Deutschen kannte, wo ich gewesen. „Darüber muß ich
wie Ihnen reden," sagte er sehr lebhaft, „und zwar an einem Orte, wo wir
Kilein mit einander sprechen können. (Wir waren in einem Zimmer voll lär¬
mende Nationalgarten-Officiere, unter denen Rössel nur mit einiger Mühe
^en Frieden aufrecht erhielt.) Kommen Sie und frühstücken Sie mit mir um
Swölf Uhr. Es wird Niemand weiter da sein, als DombrowM und vielleicht
ein anderer Freund, dem ich trauen kann. Ich entsprach der Einladung und
fand Dombrowski wartend in dem prachtvollen Speisezimmer des Kriegsmi-


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[0419] seine Klauen geriethen, als Geiseln zu behalten. Rössel verstand mich sofort, schickte meinen Paß durch eine Ordonnanz hinunter nach der Rue de Jerusa¬ lem, und in einer halben Stunde hatte ich ihn gehörig unterzeichnet zurück und zugleich eine schriftliche Erlaubniß, ein paar werthvolle Pferde aus Paris wegzuschaffen. Während wir auf die Rückkehr der Ordonnanz warteten, führte Rossel mich in ein Nebenbureau. „Lassen Sie uns doch mal sehen, ob es irgend¬ welche Nachrichten von den Vorposten giebt," sagte er, indem er ein Buch mit telegraphischen Depeschen öffnete. Ich schlug die Blätter auf und sah sofort, was ich längst vermuthet hatte, daß nämlich die Nachrichten im „Journal Officiel" — na, daß diese Nachrichten so wenig die Wahrheit wiedergaben als französische officielle Nachrichten in der Regel. Ich konnte mich nicht ent¬ halten, meinen Abscheu vor diesem Lügensystem gegen Rössel zu äußern. „Mir ist es ganz ebenso zuwider wie Ihnen," erwiederte er. „Aber was soll ich thun. Die Andern bestehen darauf, daß Depeschen zusammengedoctert werden, und in der That, wenn wir denen in der Stadt wissen lassen wollten, wie es in Wahrheit steht" — damit hielt er inne. Da kam mir plötzlich ein Gedanke. Ich zog den Kriegsdelegirten bei ^>eile in eine Fensternische, und nachdem ich mich entschuldigt, daß ich als ein Unglücksprophet rede, gab ich ihm meine eigene Karte und Adresse sowie die eines Freundes, der wie ich eine große Neigung zu Rössel gefaßt und mich ermächtigt hatte, ihm Schutz und Zuflucht anzubieten, und bat ihn, sich zu ^nem von uns zu flüchten, falls er die Gewalt verlieren und gezwungen sein ^ille, sich vor seinen stets argwöhnischen (sie waren stets an unrechter Stelle argwöhnisch) Collegen von der Commune zu verbergen. Rössel versprach mir, von unserm Anerbieten Gebrauch zu machen, falls es nöthig werden sollte, und von dieser Zeit an behandelte er mich als einen Freund, auf den er sich verlassen konnte. Bald nachher hatte ich Gelegenheit, einen Ritt aus Paris hinaus zu un¬ ternehmen, und diese benutzte ich, um einem preußischen Freunde in der Nähe von Enghien einen Besuch zu machen. Als ich Rössel am nächsten Tage sah, ^wähnte ich gegen ihn, nicht ohne damit stark auf den Busch zu klopfen, da ich seinen Haß gegen die Deutschen kannte, wo ich gewesen. „Darüber muß ich wie Ihnen reden," sagte er sehr lebhaft, „und zwar an einem Orte, wo wir Kilein mit einander sprechen können. (Wir waren in einem Zimmer voll lär¬ mende Nationalgarten-Officiere, unter denen Rössel nur mit einiger Mühe ^en Frieden aufrecht erhielt.) Kommen Sie und frühstücken Sie mit mir um Swölf Uhr. Es wird Niemand weiter da sein, als DombrowM und vielleicht ein anderer Freund, dem ich trauen kann. Ich entsprach der Einladung und fand Dombrowski wartend in dem prachtvollen Speisezimmer des Kriegsmi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/419>, abgerufen am 06.02.2025.