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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Versetzen wir uns unter die Herrschaft der Commune zurück, und suchen
wir die Gestalt des Mannes auf, für den man das Mitleid anzurufen und
den man nach seinem Tode mit einem Schwall von rührenden und empfind¬
samen Zügen aus seinen letzten Tagen zu verklären versucht hat.

Das erste Mal, wo er in die Oeffentlichkeit tritt, ist der 19. April. Es
soll ein Kriegsgericht über den Bataillonschef Giraud aburtheilen, welcher an¬
geklagt ist, einem Befehl nicht gehorcht zu haben, der ihn anwies, mit seinen
Leuten in's Feuer zu gehen. Er entschuldigt sich mit der Unmöglichkeit, in
der er sich befunden, seine von Hunger und Strapatzen erschöpften Mann¬
schaften vorwärts zu bringen, und versucht zugleich, den Nutzen der Bewegung
zu bestreiten, welche der Befehl vorgeschrieben. Rössel, welcher die Verhand¬
lungen leitet, unterbricht ihn dabei mehrmals mit einer schneidenden Kälte,
welche diejenigen, die als Beisitzer beim Gericht fungirten, geradezu empören
mußte, und die um so häßlicher aussieht, wenn man mit der in ihr liegenden
Gleichgültigkeit gegen ein fremdes Leben die immerhin etwas süßlichen Aeu¬
ßerungen des Capitäns zusammenhält, die aus den Stunden im Gefängniß
auf der Rue Se. Pierre zu Versailles berichtet werden, in denen es sich um
sein eignes Leben handelte. Immer hatte er die Phrase zur Wiederbelebung
der halb entkräfteter Anklage auf den Lippen-. "Kurz also, Sie haben den
Befehl nicht ausgeführt!" Vergebens machte Giraud auf die Vortrefflichkeit
seiner republikanischen Antecedentien und auf die stets von ihm bewiesene
treue Anhänglichkeit an die Sache des Volkes aufmerksam. Der Prozeß en¬
digte mit einem Todesurtheile, welches Rössel in folgenden sehr bezeichnenden
Worten aussprach:

"Während eines Bürgerkrieges ist die Anwendung des Martialgesetzes
eine unbedingte Nothwendigkeit. Es ist durchaus nicht erlaubt, die
politische Vergangenheit und das private Vorleben des Sol¬
daten anzurufen, um diese Anwendung zu hintertreiben. Der Bataillons¬
chef Giraud war auf dem Vendomeplatze, wo die Reserven für die Vertheidigung
von Paris und der Commune aufgestellt sind. Er bekennt, einen regelrechten
Befehl erhalten zu haben, der ihn anwies, nach der Porte Maillot zu in"r-
schiren, dem Orte, wo der Feind steht. Er hat sich an seinem Theil ge¬
weigert, gegen diesen Feind und die Rebellen, welche Paris angreifen, zu mar-
schiren. Aus diese Gründe hin verurtheilt das Kriegsgericht Giraud zur Todes¬
strafe."

Wir glauben, unter Unbefangenen keinem Widerspruch zu begegnen, wen"
wir der "France", der dies entnommen ist. vollkommen beipflichten, die daran
die Frage knüpft: "Diese Sentenz, in welcher die persönliche Unerbittlichkeit
des Richters sich mit der Unbeugsamkeit des Kriegsgesetzes verbindet, fällt sie
nicht mit ihrem ganzen Gewicht auf den eidbrüchigen Offizier, der sie formu-


Versetzen wir uns unter die Herrschaft der Commune zurück, und suchen
wir die Gestalt des Mannes auf, für den man das Mitleid anzurufen und
den man nach seinem Tode mit einem Schwall von rührenden und empfind¬
samen Zügen aus seinen letzten Tagen zu verklären versucht hat.

Das erste Mal, wo er in die Oeffentlichkeit tritt, ist der 19. April. Es
soll ein Kriegsgericht über den Bataillonschef Giraud aburtheilen, welcher an¬
geklagt ist, einem Befehl nicht gehorcht zu haben, der ihn anwies, mit seinen
Leuten in's Feuer zu gehen. Er entschuldigt sich mit der Unmöglichkeit, in
der er sich befunden, seine von Hunger und Strapatzen erschöpften Mann¬
schaften vorwärts zu bringen, und versucht zugleich, den Nutzen der Bewegung
zu bestreiten, welche der Befehl vorgeschrieben. Rössel, welcher die Verhand¬
lungen leitet, unterbricht ihn dabei mehrmals mit einer schneidenden Kälte,
welche diejenigen, die als Beisitzer beim Gericht fungirten, geradezu empören
mußte, und die um so häßlicher aussieht, wenn man mit der in ihr liegenden
Gleichgültigkeit gegen ein fremdes Leben die immerhin etwas süßlichen Aeu¬
ßerungen des Capitäns zusammenhält, die aus den Stunden im Gefängniß
auf der Rue Se. Pierre zu Versailles berichtet werden, in denen es sich um
sein eignes Leben handelte. Immer hatte er die Phrase zur Wiederbelebung
der halb entkräfteter Anklage auf den Lippen-. „Kurz also, Sie haben den
Befehl nicht ausgeführt!" Vergebens machte Giraud auf die Vortrefflichkeit
seiner republikanischen Antecedentien und auf die stets von ihm bewiesene
treue Anhänglichkeit an die Sache des Volkes aufmerksam. Der Prozeß en¬
digte mit einem Todesurtheile, welches Rössel in folgenden sehr bezeichnenden
Worten aussprach:

„Während eines Bürgerkrieges ist die Anwendung des Martialgesetzes
eine unbedingte Nothwendigkeit. Es ist durchaus nicht erlaubt, die
politische Vergangenheit und das private Vorleben des Sol¬
daten anzurufen, um diese Anwendung zu hintertreiben. Der Bataillons¬
chef Giraud war auf dem Vendomeplatze, wo die Reserven für die Vertheidigung
von Paris und der Commune aufgestellt sind. Er bekennt, einen regelrechten
Befehl erhalten zu haben, der ihn anwies, nach der Porte Maillot zu in«r-
schiren, dem Orte, wo der Feind steht. Er hat sich an seinem Theil ge¬
weigert, gegen diesen Feind und die Rebellen, welche Paris angreifen, zu mar-
schiren. Aus diese Gründe hin verurtheilt das Kriegsgericht Giraud zur Todes¬
strafe."

Wir glauben, unter Unbefangenen keinem Widerspruch zu begegnen, wen«
wir der „France", der dies entnommen ist. vollkommen beipflichten, die daran
die Frage knüpft: „Diese Sentenz, in welcher die persönliche Unerbittlichkeit
des Richters sich mit der Unbeugsamkeit des Kriegsgesetzes verbindet, fällt sie
nicht mit ihrem ganzen Gewicht auf den eidbrüchigen Offizier, der sie formu-


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[0414] Versetzen wir uns unter die Herrschaft der Commune zurück, und suchen wir die Gestalt des Mannes auf, für den man das Mitleid anzurufen und den man nach seinem Tode mit einem Schwall von rührenden und empfind¬ samen Zügen aus seinen letzten Tagen zu verklären versucht hat. Das erste Mal, wo er in die Oeffentlichkeit tritt, ist der 19. April. Es soll ein Kriegsgericht über den Bataillonschef Giraud aburtheilen, welcher an¬ geklagt ist, einem Befehl nicht gehorcht zu haben, der ihn anwies, mit seinen Leuten in's Feuer zu gehen. Er entschuldigt sich mit der Unmöglichkeit, in der er sich befunden, seine von Hunger und Strapatzen erschöpften Mann¬ schaften vorwärts zu bringen, und versucht zugleich, den Nutzen der Bewegung zu bestreiten, welche der Befehl vorgeschrieben. Rössel, welcher die Verhand¬ lungen leitet, unterbricht ihn dabei mehrmals mit einer schneidenden Kälte, welche diejenigen, die als Beisitzer beim Gericht fungirten, geradezu empören mußte, und die um so häßlicher aussieht, wenn man mit der in ihr liegenden Gleichgültigkeit gegen ein fremdes Leben die immerhin etwas süßlichen Aeu¬ ßerungen des Capitäns zusammenhält, die aus den Stunden im Gefängniß auf der Rue Se. Pierre zu Versailles berichtet werden, in denen es sich um sein eignes Leben handelte. Immer hatte er die Phrase zur Wiederbelebung der halb entkräfteter Anklage auf den Lippen-. „Kurz also, Sie haben den Befehl nicht ausgeführt!" Vergebens machte Giraud auf die Vortrefflichkeit seiner republikanischen Antecedentien und auf die stets von ihm bewiesene treue Anhänglichkeit an die Sache des Volkes aufmerksam. Der Prozeß en¬ digte mit einem Todesurtheile, welches Rössel in folgenden sehr bezeichnenden Worten aussprach: „Während eines Bürgerkrieges ist die Anwendung des Martialgesetzes eine unbedingte Nothwendigkeit. Es ist durchaus nicht erlaubt, die politische Vergangenheit und das private Vorleben des Sol¬ daten anzurufen, um diese Anwendung zu hintertreiben. Der Bataillons¬ chef Giraud war auf dem Vendomeplatze, wo die Reserven für die Vertheidigung von Paris und der Commune aufgestellt sind. Er bekennt, einen regelrechten Befehl erhalten zu haben, der ihn anwies, nach der Porte Maillot zu in«r- schiren, dem Orte, wo der Feind steht. Er hat sich an seinem Theil ge¬ weigert, gegen diesen Feind und die Rebellen, welche Paris angreifen, zu mar- schiren. Aus diese Gründe hin verurtheilt das Kriegsgericht Giraud zur Todes¬ strafe." Wir glauben, unter Unbefangenen keinem Widerspruch zu begegnen, wen« wir der „France", der dies entnommen ist. vollkommen beipflichten, die daran die Frage knüpft: „Diese Sentenz, in welcher die persönliche Unerbittlichkeit des Richters sich mit der Unbeugsamkeit des Kriegsgesetzes verbindet, fällt sie nicht mit ihrem ganzen Gewicht auf den eidbrüchigen Offizier, der sie formu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/414>, abgerufen am 05.02.2025.