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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Flotte unter den Gründungsplan von 1867 zurückgehen will. Daß wir eine
Flotte, wie sie dieser Plan in's Auge faßt, nöthig haben, führte aufs Neue
der Kriegsminister aus. Nur zur Erweiterung unserer Marineanstalten dürfen
wir uns nicht fortreißen lassen in einem Augenblick, wo so viele unabweisbare
Erweiterungen unserer Aufgaben vor uns stehen.

In der Sitzung vom 22. November berichtete die Geschäftsordnungs-
commission über eine in Folge der Sitzung vom 9. November ihr unterbreitete
Frage. Es war dies die Sitzung, in welcher der Präsident nach zweimaliger
Rectification des Herrn Bebel das Haus befragte, ob er dem Redner das
Wort entziehen solle, und vom Hause dazu ermächtigt wurde. Herr Bebel
behauptete sogleich, daß gegen ihn wider die Geschäftsordnung verfahren worden
sei. Denn die Wortentziehung sei erfolgt, ohne daß nach Vorschrift der Ge¬
schäftsordnung ein zweimaliger "Ordnungsruf vorausgegangen; er sei nur
zweimal unterbrochen, aber nicht zur Ordnung gerufen worden. Der Präsi¬
dent behauptete, daß die Geschäftsordnung hier nicht den Ordnungsruf im
buchstäblichen Sinne, sondern nur die Rectification verlange. Da Herr Bebel
auf seinem Widerspruch beharrte, so erklärte der Präsident, die Entscheidung
der Geschäftsordnungscommission einholen zu wollen. Demnach richtete er
ein Schreiben an diese Commission mit der Frage, ob der Präsident, bevor er
zur Entziehung des Wortes schreiten dürfe, zweimal die Worte gebraucht
haben müsse: ich rufe Sie zur Ordnung! Gleichzeitig theilte der Präsident
dieses Schreiben Herrn Bebel mit, unter Hinzufügung der Frage, ob er damit
einverstanden sei. Herrn Bebel's Erziehung erlaubte ihm, das Schreiben des
Präsidenten nicht zu beantworten, sondern in der öffentlichen Sitzung mit
nichtigen Ausstellungen zu bekritteln. Die Geschäftsordnungscommission
ihrerseits beantragte: Der Reichstag wolle beschließen: Um das Haus zu dem
in §. 43 der Geschäftsordnung bezeichneten Beschlusse (der Wortentziehung)
auffordern zu dürfen, ist nicht erforderlich, daß die im § 43. vorgeschriebene
zweimalige Hinweisung ausdrücklich in der Formel ""ich rufe den Redner zur
Ordnung"" erfolgt ist.

Unseres Erachtens kann nicht der Schatten eines Zweifels an der Correct-
heit dieses Antrags aufkommen. Die deutlichste Erleuchtung erhielt der Gegen¬
stand durch den Abg. Schwarze mit den Worten: "Nirgends steht geschrieben,
daß der Präsident mit der Formel: ""ich rufe den Redner zur Ordnung,""
ihn zur Ordnung zu rufen hat. Ebensowenig hat je ein Redner behauptet,
daß er nur mit der Formel, ""ich verweise den Redner auf den Gegenstand
der Verhandlung zurück"", auf denselben zurück verwiesen werden könne. Wenn
eine exclusive Formel für den einen Satz nicht gefordert wird, so kann sie
auch nicht für den anderen verlangt werden." Herr Windthorst beantragt"'
indeß, es solle die Frage, ob Herrn Bebel im Sinne der jetzigen Geschäftsord-


Flotte unter den Gründungsplan von 1867 zurückgehen will. Daß wir eine
Flotte, wie sie dieser Plan in's Auge faßt, nöthig haben, führte aufs Neue
der Kriegsminister aus. Nur zur Erweiterung unserer Marineanstalten dürfen
wir uns nicht fortreißen lassen in einem Augenblick, wo so viele unabweisbare
Erweiterungen unserer Aufgaben vor uns stehen.

In der Sitzung vom 22. November berichtete die Geschäftsordnungs-
commission über eine in Folge der Sitzung vom 9. November ihr unterbreitete
Frage. Es war dies die Sitzung, in welcher der Präsident nach zweimaliger
Rectification des Herrn Bebel das Haus befragte, ob er dem Redner das
Wort entziehen solle, und vom Hause dazu ermächtigt wurde. Herr Bebel
behauptete sogleich, daß gegen ihn wider die Geschäftsordnung verfahren worden
sei. Denn die Wortentziehung sei erfolgt, ohne daß nach Vorschrift der Ge¬
schäftsordnung ein zweimaliger "Ordnungsruf vorausgegangen; er sei nur
zweimal unterbrochen, aber nicht zur Ordnung gerufen worden. Der Präsi¬
dent behauptete, daß die Geschäftsordnung hier nicht den Ordnungsruf im
buchstäblichen Sinne, sondern nur die Rectification verlange. Da Herr Bebel
auf seinem Widerspruch beharrte, so erklärte der Präsident, die Entscheidung
der Geschäftsordnungscommission einholen zu wollen. Demnach richtete er
ein Schreiben an diese Commission mit der Frage, ob der Präsident, bevor er
zur Entziehung des Wortes schreiten dürfe, zweimal die Worte gebraucht
haben müsse: ich rufe Sie zur Ordnung! Gleichzeitig theilte der Präsident
dieses Schreiben Herrn Bebel mit, unter Hinzufügung der Frage, ob er damit
einverstanden sei. Herrn Bebel's Erziehung erlaubte ihm, das Schreiben des
Präsidenten nicht zu beantworten, sondern in der öffentlichen Sitzung mit
nichtigen Ausstellungen zu bekritteln. Die Geschäftsordnungscommission
ihrerseits beantragte: Der Reichstag wolle beschließen: Um das Haus zu dem
in §. 43 der Geschäftsordnung bezeichneten Beschlusse (der Wortentziehung)
auffordern zu dürfen, ist nicht erforderlich, daß die im § 43. vorgeschriebene
zweimalige Hinweisung ausdrücklich in der Formel „„ich rufe den Redner zur
Ordnung"" erfolgt ist.

Unseres Erachtens kann nicht der Schatten eines Zweifels an der Correct-
heit dieses Antrags aufkommen. Die deutlichste Erleuchtung erhielt der Gegen¬
stand durch den Abg. Schwarze mit den Worten: „Nirgends steht geschrieben,
daß der Präsident mit der Formel: „„ich rufe den Redner zur Ordnung,""
ihn zur Ordnung zu rufen hat. Ebensowenig hat je ein Redner behauptet,
daß er nur mit der Formel, „„ich verweise den Redner auf den Gegenstand
der Verhandlung zurück"", auf denselben zurück verwiesen werden könne. Wenn
eine exclusive Formel für den einen Satz nicht gefordert wird, so kann sie
auch nicht für den anderen verlangt werden." Herr Windthorst beantragt»'
indeß, es solle die Frage, ob Herrn Bebel im Sinne der jetzigen Geschäftsord-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/400>, abgerufen am 06.02.2025.