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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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listik vertraut war> hatte bis zu seiner Entlassung über die gesammte Presse
derselben frei disponirt, so daß letzterer sich längere Zeit ausschließlich auf den
Abdruck von Artikeln der Wiener Tagespresse und der östreichischen Journale
neben einigen inspirirter Wiener Correspondenzen beschränkte. Es konnte daher
nicht ausbleiben, daß der Sturm der öffentlichen Verachtung. der von Wien
ausging, auch hier zu Lande die Männer niederwarf, welche bis zuletzt sich
bemüht hatten, den Czechen in Oestreich zum Siege zu verhelfen, um mit
ihrer und der Welschen Hilfe künftig einmal am Reich dafür Rache nehmen
zu können, daß es sich nicht zur rechten Zeit um ihren Rath und Beistand
beworben hatte.

Doch kehren wir zum Reichstag zurück, so haben bisher vor allem die
Verhandlungen über die Münz- und die Kirchenfrage bei uns das Interesse
in Anspruch genommen. Was erstere betrifft, so wäre durchaus irrig, aus
ein paar vereinzelten Demonstrationen für das Frankensystem, welche von
einigen abgedankter Zollschwaben in Scene gesetzt wurden, eine besondere
Hinneigung des Südens zum französischen Münzfuß folgern zu wollen. Man
legte bei uns. da man sich jedenfalls in ein neues System hineinleben muß,
weit weniger Gewicht auf die Wahl der einen oder der anderen Einheit, als
auf eine möglichst rasche und energische Durchführung der einzuführenden
neuen Münzen unter völliger Einziehung des alten Geldes; denn es läßt sich
nicht verkennen, daß der Süden ganz besonders durch die Uebergangsperiode
belästigt sein wird. Man ist deßhalb nicht nur durch die erfolgte Amendirung
des Entwurfs von Seiten des Reichstags allgemein befriedigt, sondern er¬
wartet vom Reichskanzleramt in Bälde weitere Schritte, um in erster Linie
die süddeutsche Münze aus dem Verkehr zu ziehen.

Was die Kirchenfrage anbelangt, so hat das Vorgehen der bayrischen
Regierung, namentlich aber das energische Auftreten des Cultusministers von
Lutz im Reichstag bei uns in Schwaben einen wahrhaft erfrischenden Eindruck
gemacht. Die Thatsache, daß sämmtliche schwäbische Abgeordnete mit einziger
Ausnahme von Probst dem Gesetz über den Mißbrauch der Kanzel zugestimmt
haben, darunter auch Moritz Mohl, spricht wohl am deutlichsten für die hier
herrschende Stimmung. Im übrigen haben die Bayern auch in dieser Frage
gezeigt, daß sie, was Energie des Entschlusses und überzeugungstreues Fest¬
halten an dem als richtig Erkannten betrifft, den Schwaben weit voran sind.
Man betrachtet eben einmal bei uns die Vorsicht, das fortwährende Laviren
zwischen den verschiedenen Standpuncten als die höchste Regierungsweisheit.
Es war daher auch in der Parallele, welche Herr von Lutz zwischen Würt¬
temberg und Bayern zog, eine gewisse Ironie nicht zu verkennen. Während
Herrn von Lutz der Bannfluch droht, hat dagegen unser Herr von Mittnacht,
der nichts ohne Vorbereitung zu sprechen pflegt, vor nicht langer Zeit in


listik vertraut war> hatte bis zu seiner Entlassung über die gesammte Presse
derselben frei disponirt, so daß letzterer sich längere Zeit ausschließlich auf den
Abdruck von Artikeln der Wiener Tagespresse und der östreichischen Journale
neben einigen inspirirter Wiener Correspondenzen beschränkte. Es konnte daher
nicht ausbleiben, daß der Sturm der öffentlichen Verachtung. der von Wien
ausging, auch hier zu Lande die Männer niederwarf, welche bis zuletzt sich
bemüht hatten, den Czechen in Oestreich zum Siege zu verhelfen, um mit
ihrer und der Welschen Hilfe künftig einmal am Reich dafür Rache nehmen
zu können, daß es sich nicht zur rechten Zeit um ihren Rath und Beistand
beworben hatte.

Doch kehren wir zum Reichstag zurück, so haben bisher vor allem die
Verhandlungen über die Münz- und die Kirchenfrage bei uns das Interesse
in Anspruch genommen. Was erstere betrifft, so wäre durchaus irrig, aus
ein paar vereinzelten Demonstrationen für das Frankensystem, welche von
einigen abgedankter Zollschwaben in Scene gesetzt wurden, eine besondere
Hinneigung des Südens zum französischen Münzfuß folgern zu wollen. Man
legte bei uns. da man sich jedenfalls in ein neues System hineinleben muß,
weit weniger Gewicht auf die Wahl der einen oder der anderen Einheit, als
auf eine möglichst rasche und energische Durchführung der einzuführenden
neuen Münzen unter völliger Einziehung des alten Geldes; denn es läßt sich
nicht verkennen, daß der Süden ganz besonders durch die Uebergangsperiode
belästigt sein wird. Man ist deßhalb nicht nur durch die erfolgte Amendirung
des Entwurfs von Seiten des Reichstags allgemein befriedigt, sondern er¬
wartet vom Reichskanzleramt in Bälde weitere Schritte, um in erster Linie
die süddeutsche Münze aus dem Verkehr zu ziehen.

Was die Kirchenfrage anbelangt, so hat das Vorgehen der bayrischen
Regierung, namentlich aber das energische Auftreten des Cultusministers von
Lutz im Reichstag bei uns in Schwaben einen wahrhaft erfrischenden Eindruck
gemacht. Die Thatsache, daß sämmtliche schwäbische Abgeordnete mit einziger
Ausnahme von Probst dem Gesetz über den Mißbrauch der Kanzel zugestimmt
haben, darunter auch Moritz Mohl, spricht wohl am deutlichsten für die hier
herrschende Stimmung. Im übrigen haben die Bayern auch in dieser Frage
gezeigt, daß sie, was Energie des Entschlusses und überzeugungstreues Fest¬
halten an dem als richtig Erkannten betrifft, den Schwaben weit voran sind.
Man betrachtet eben einmal bei uns die Vorsicht, das fortwährende Laviren
zwischen den verschiedenen Standpuncten als die höchste Regierungsweisheit.
Es war daher auch in der Parallele, welche Herr von Lutz zwischen Würt¬
temberg und Bayern zog, eine gewisse Ironie nicht zu verkennen. Während
Herrn von Lutz der Bannfluch droht, hat dagegen unser Herr von Mittnacht,
der nichts ohne Vorbereitung zu sprechen pflegt, vor nicht langer Zeit in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/394>, abgerufen am 05.02.2025.