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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Hand läßt, unter der stillschweigenden Bedingung, dafür möglichst wenig mit
solchen Angelegenheiten behelligt zu werden.

Um so ängstlicher ist die Sorgfalt, mit welcher man das persönliche Band
zwischen Regierenden und Regierten zu erhalten und täglich fester zu knüpfen
bemüht ist, verbunden mit dem Anspruch auf eine naive patriarchalische Hin¬
gebung, welche dem heutigen Zeitalter völlig fremd ist. Man fürchtet hierbei
offenbar, der äußere Nimbus des Königthums könnte künftighin durch den
Glanz der kaiserlichen Majestät verdunkelt werden, und mag sich daher am
allerwenigsten in den Gedanken finden, die Huldigungen des Volks mit dem
Kaiser theilen zu müssen oder gar letzteren besonders ausgezeichnet zu sehen.
Man hatte deßhalb in den Septembertagen dieses Jahrs, als unser schwä¬
bisches Byzanz sich bemühte, ein Familienfest des Hofes zu einer ebenso er¬
zwungenen als geschmacklosen Demonstration der ungeschmälerten Unterthanen¬
treue zu benutzen, und, wenn auch mit wenig Erfolg -- eine Orgie des Par-
ticularismus zu feiern, mit sichtbarer Beklemmung nach Gastein geblickt, und
war herzlich froh, als der Kaiser -- der sich nicht aufzudrängen beabsichtigte
-- vermied, den Mittelpunkt unseres Landes zu berühren, so daß bis jetzt den
Schwaben allein die Gelegenheit entzogen wurde, dem neuen Reichsoberhaupt
Persönlich zu huldigen.

Dennoch sind wir weit entfernt, diesem krampfhaften Festhalten an den
äußeren Zeichen des Herrscherthums eine tiefere Bedeutung beizulegen. Man
rechnet in Schwaben heutzutage so viel wie anderwärts mit den Thatsachen:
und die große nationalg^sinnte Mehrheit der Bevölkerung, welche dem König
für so manches große Opfer an seinen Souveränitätsrechten zu Dank ver¬
pflichtet ist, sucht sich diese Vorgänge, so gut es geht, zurecht zu legen, zu¬
mal in den wichtigsten Fragen der praktischen Politik nicht der geringste Grund
zur Unzufriedenheit vorhanden ist. Muß doch schon nach Ablauf eines Jahres
der Standpunkt der Versailler Verträge als ein gänzlich überwundener be¬
zeichnet werden! Um ganz abzusehen von der Erklärung, mit welcher der Mi¬
nister v. Mittnacht diesen Sommer den Juristen tag bezüglich des Standpunkts
der Regierung in der Frage von der Competenzerweiterung überraschte und
von dem neulichen Wettlauf desselben Ministers mit Hölder im Reichstag in
der Frage von dem Vorbehalt der ständischen Einwilligung, so genügt
darauf hinzuweisen, daß, wie wir schon früher angekündigt haben, der Ver¬
sailler Vorbehalt in der Militärfrage bereits thatsächlich beseitigt ist, und wohl
auch in nächster Zeit eine formelle Derogirung erfahren wird. Die Reorga-
nisirung unsres Heeres, welches künftighin das XIII. Corps der deutschen
Armee bilden wird, geht mit Hilfe der aus Preußen gesandten zahlreichen
Officiere und Verwaltungsbeamten ihrer Vollendung entgegen.

Der vom Kaiser geschickte Corpscommandant hat bereits den Oberbefehl


Hand läßt, unter der stillschweigenden Bedingung, dafür möglichst wenig mit
solchen Angelegenheiten behelligt zu werden.

Um so ängstlicher ist die Sorgfalt, mit welcher man das persönliche Band
zwischen Regierenden und Regierten zu erhalten und täglich fester zu knüpfen
bemüht ist, verbunden mit dem Anspruch auf eine naive patriarchalische Hin¬
gebung, welche dem heutigen Zeitalter völlig fremd ist. Man fürchtet hierbei
offenbar, der äußere Nimbus des Königthums könnte künftighin durch den
Glanz der kaiserlichen Majestät verdunkelt werden, und mag sich daher am
allerwenigsten in den Gedanken finden, die Huldigungen des Volks mit dem
Kaiser theilen zu müssen oder gar letzteren besonders ausgezeichnet zu sehen.
Man hatte deßhalb in den Septembertagen dieses Jahrs, als unser schwä¬
bisches Byzanz sich bemühte, ein Familienfest des Hofes zu einer ebenso er¬
zwungenen als geschmacklosen Demonstration der ungeschmälerten Unterthanen¬
treue zu benutzen, und, wenn auch mit wenig Erfolg — eine Orgie des Par-
ticularismus zu feiern, mit sichtbarer Beklemmung nach Gastein geblickt, und
war herzlich froh, als der Kaiser — der sich nicht aufzudrängen beabsichtigte
— vermied, den Mittelpunkt unseres Landes zu berühren, so daß bis jetzt den
Schwaben allein die Gelegenheit entzogen wurde, dem neuen Reichsoberhaupt
Persönlich zu huldigen.

Dennoch sind wir weit entfernt, diesem krampfhaften Festhalten an den
äußeren Zeichen des Herrscherthums eine tiefere Bedeutung beizulegen. Man
rechnet in Schwaben heutzutage so viel wie anderwärts mit den Thatsachen:
und die große nationalg^sinnte Mehrheit der Bevölkerung, welche dem König
für so manches große Opfer an seinen Souveränitätsrechten zu Dank ver¬
pflichtet ist, sucht sich diese Vorgänge, so gut es geht, zurecht zu legen, zu¬
mal in den wichtigsten Fragen der praktischen Politik nicht der geringste Grund
zur Unzufriedenheit vorhanden ist. Muß doch schon nach Ablauf eines Jahres
der Standpunkt der Versailler Verträge als ein gänzlich überwundener be¬
zeichnet werden! Um ganz abzusehen von der Erklärung, mit welcher der Mi¬
nister v. Mittnacht diesen Sommer den Juristen tag bezüglich des Standpunkts
der Regierung in der Frage von der Competenzerweiterung überraschte und
von dem neulichen Wettlauf desselben Ministers mit Hölder im Reichstag in
der Frage von dem Vorbehalt der ständischen Einwilligung, so genügt
darauf hinzuweisen, daß, wie wir schon früher angekündigt haben, der Ver¬
sailler Vorbehalt in der Militärfrage bereits thatsächlich beseitigt ist, und wohl
auch in nächster Zeit eine formelle Derogirung erfahren wird. Die Reorga-
nisirung unsres Heeres, welches künftighin das XIII. Corps der deutschen
Armee bilden wird, geht mit Hilfe der aus Preußen gesandten zahlreichen
Officiere und Verwaltungsbeamten ihrer Vollendung entgegen.

Der vom Kaiser geschickte Corpscommandant hat bereits den Oberbefehl


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[0391] Hand läßt, unter der stillschweigenden Bedingung, dafür möglichst wenig mit solchen Angelegenheiten behelligt zu werden. Um so ängstlicher ist die Sorgfalt, mit welcher man das persönliche Band zwischen Regierenden und Regierten zu erhalten und täglich fester zu knüpfen bemüht ist, verbunden mit dem Anspruch auf eine naive patriarchalische Hin¬ gebung, welche dem heutigen Zeitalter völlig fremd ist. Man fürchtet hierbei offenbar, der äußere Nimbus des Königthums könnte künftighin durch den Glanz der kaiserlichen Majestät verdunkelt werden, und mag sich daher am allerwenigsten in den Gedanken finden, die Huldigungen des Volks mit dem Kaiser theilen zu müssen oder gar letzteren besonders ausgezeichnet zu sehen. Man hatte deßhalb in den Septembertagen dieses Jahrs, als unser schwä¬ bisches Byzanz sich bemühte, ein Familienfest des Hofes zu einer ebenso er¬ zwungenen als geschmacklosen Demonstration der ungeschmälerten Unterthanen¬ treue zu benutzen, und, wenn auch mit wenig Erfolg — eine Orgie des Par- ticularismus zu feiern, mit sichtbarer Beklemmung nach Gastein geblickt, und war herzlich froh, als der Kaiser — der sich nicht aufzudrängen beabsichtigte — vermied, den Mittelpunkt unseres Landes zu berühren, so daß bis jetzt den Schwaben allein die Gelegenheit entzogen wurde, dem neuen Reichsoberhaupt Persönlich zu huldigen. Dennoch sind wir weit entfernt, diesem krampfhaften Festhalten an den äußeren Zeichen des Herrscherthums eine tiefere Bedeutung beizulegen. Man rechnet in Schwaben heutzutage so viel wie anderwärts mit den Thatsachen: und die große nationalg^sinnte Mehrheit der Bevölkerung, welche dem König für so manches große Opfer an seinen Souveränitätsrechten zu Dank ver¬ pflichtet ist, sucht sich diese Vorgänge, so gut es geht, zurecht zu legen, zu¬ mal in den wichtigsten Fragen der praktischen Politik nicht der geringste Grund zur Unzufriedenheit vorhanden ist. Muß doch schon nach Ablauf eines Jahres der Standpunkt der Versailler Verträge als ein gänzlich überwundener be¬ zeichnet werden! Um ganz abzusehen von der Erklärung, mit welcher der Mi¬ nister v. Mittnacht diesen Sommer den Juristen tag bezüglich des Standpunkts der Regierung in der Frage von der Competenzerweiterung überraschte und von dem neulichen Wettlauf desselben Ministers mit Hölder im Reichstag in der Frage von dem Vorbehalt der ständischen Einwilligung, so genügt darauf hinzuweisen, daß, wie wir schon früher angekündigt haben, der Ver¬ sailler Vorbehalt in der Militärfrage bereits thatsächlich beseitigt ist, und wohl auch in nächster Zeit eine formelle Derogirung erfahren wird. Die Reorga- nisirung unsres Heeres, welches künftighin das XIII. Corps der deutschen Armee bilden wird, geht mit Hilfe der aus Preußen gesandten zahlreichen Officiere und Verwaltungsbeamten ihrer Vollendung entgegen. Der vom Kaiser geschickte Corpscommandant hat bereits den Oberbefehl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/391>, abgerufen am 05.02.2025.