Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.ständlich machen konnte, wenigstens in grinsender Pantomirnik das Menschen¬ Gerade in dieser Beziehung gilt aber das Wort, daß wenn Zwei dasselbe Nun ist es sogar etwas übertrieben, wenn man behauptet, in Deutsch¬ An England rühmt man, daß dem Bürgerthum der Eintritt in die Aristo¬ ständlich machen konnte, wenigstens in grinsender Pantomirnik das Menschen¬ Gerade in dieser Beziehung gilt aber das Wort, daß wenn Zwei dasselbe Nun ist es sogar etwas übertrieben, wenn man behauptet, in Deutsch¬ An England rühmt man, daß dem Bürgerthum der Eintritt in die Aristo¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0388" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192689"/> <p xml:id="ID_1423" prev="#ID_1422"> ständlich machen konnte, wenigstens in grinsender Pantomirnik das Menschen¬<lb/> möglichste. Darin geht ja die Fortschrittspartei im Hause immer bis zu jener<lb/> äußersten Grenze des Anstandes, welche sie in ihren Preßdenunciationen und<lb/> Verleumdungen Andersdenkender vor dem Lande stets zu überschreiten gewohnt<lb/> ist, weil der Geschmack ihrer Leser einmal von ihr so dressirt ist, und kein Prä¬<lb/> sident Simson sie hier über die Grenzen des Schicklichen belehren kann. Aber<lb/> auch viele von Treitschke's Freunden verwahrten sich mit sichtlicher Entrüstung<lb/> gegen seine ketzerische Rede. Sehr zu verwundern ist nur, daß man ihn nicht<lb/> geradezu einen Chauvinisten genannt hat, ein Wort, welches bei uns in<lb/> Deutschland viel mehr als in Frankreich der Inbegriff des bramarbasirenden<lb/> Soldatenthums geworden ist. Und als frivolen Säbelrassler schlechthin wagte<lb/> man ja Treitschke zu bezeichnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1424"> Gerade in dieser Beziehung gilt aber das Wort, daß wenn Zwei dasselbe<lb/> thun, es nicht dasselbe ist. Der Chauvinismus hat in Frankreich die letzte<lb/> Katastrophe zum Theil herbeigeführt, deßhalb ist es aber noch nicht noth¬<lb/> wendig, jede kriegerische Neigung fern zu halten. Man kann eine Suppe<lb/> versalzen, eine ungesalzene ist aber eben so ungenießbar.</p><lb/> <p xml:id="ID_1425"> Nun ist es sogar etwas übertrieben, wenn man behauptet, in Deutsch¬<lb/> land existire kein Chauvinismus. Er existirt wenigstens in Preußen sogar<lb/> recht stark, nur muß man ihn nicht im Parlament, nicht in den Zeitungen,<lb/> nicht in den öffentlichen Versammlungen suchen. Aber man findet ihn bet<lb/> einem großen Theile derjenigen, welche gedient haben, man findet ihn beson¬<lb/> ders auf dem Lande, wo sich die Traditionen von 1813 bis jetzt frisch er¬<lb/> halten haben, man findet ihn bei dem Adel, man findet ihn auch bei jener<lb/> Jugend, welche durch den einjährigen freiwilligen Dienst und sich daranschlie¬<lb/> ßenden Eintritt in das Officiercorps ein ungeheuer wichtiges Mittel ist, um<lb/> bürgerliches und militärisches Wesen, Beamte und Officiere, ja selbst Stadt<lb/> und Hof einander zu nähern und zur Ausgleichung zu bringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1426" next="#ID_1427"> An England rühmt man, daß dem Bürgerthum der Eintritt in die Aristo¬<lb/> kratie eröffnet ist. In dem demokratischen Preußen, wo man freilich so manche<lb/> inhaltreiche und inhaltlose Vorrechte des Adels zu conserviren bemüht ist, geht<lb/> die Mischung der Stände unaufhaltsam vor sich. Dem erworbenen Reichthum<lb/> des Vaters gestattet man sogar, sich einem Berufe zu widmen, der wenig ge¬<lb/> winnbringend, aber glänzender und für den Ehrgeiz verlockender ist. Man<lb/> wendet außerordentlich wenig Aufmerksamkeit auf diese allerdings nicht aus¬<lb/> fallende Bewegung. Die Tausende von Reserve- und Landwehrofficieren, Juristen,<lb/> Lehrern, Banquiers, Kaufleuten u. f. w. wetteifern mit dem Berufsofficier an<lb/> Pflege des Ehrbegriffs, welcher im preußischen Heere von je so scharf ausge¬<lb/> prägt war und jetzt nach drei Kriegen haben sie sein Element in die Bevöl¬<lb/> kerung gebracht, welches derselben früher fehlte. Es giebt unter Denen, welche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0388]
ständlich machen konnte, wenigstens in grinsender Pantomirnik das Menschen¬
möglichste. Darin geht ja die Fortschrittspartei im Hause immer bis zu jener
äußersten Grenze des Anstandes, welche sie in ihren Preßdenunciationen und
Verleumdungen Andersdenkender vor dem Lande stets zu überschreiten gewohnt
ist, weil der Geschmack ihrer Leser einmal von ihr so dressirt ist, und kein Prä¬
sident Simson sie hier über die Grenzen des Schicklichen belehren kann. Aber
auch viele von Treitschke's Freunden verwahrten sich mit sichtlicher Entrüstung
gegen seine ketzerische Rede. Sehr zu verwundern ist nur, daß man ihn nicht
geradezu einen Chauvinisten genannt hat, ein Wort, welches bei uns in
Deutschland viel mehr als in Frankreich der Inbegriff des bramarbasirenden
Soldatenthums geworden ist. Und als frivolen Säbelrassler schlechthin wagte
man ja Treitschke zu bezeichnen.
Gerade in dieser Beziehung gilt aber das Wort, daß wenn Zwei dasselbe
thun, es nicht dasselbe ist. Der Chauvinismus hat in Frankreich die letzte
Katastrophe zum Theil herbeigeführt, deßhalb ist es aber noch nicht noth¬
wendig, jede kriegerische Neigung fern zu halten. Man kann eine Suppe
versalzen, eine ungesalzene ist aber eben so ungenießbar.
Nun ist es sogar etwas übertrieben, wenn man behauptet, in Deutsch¬
land existire kein Chauvinismus. Er existirt wenigstens in Preußen sogar
recht stark, nur muß man ihn nicht im Parlament, nicht in den Zeitungen,
nicht in den öffentlichen Versammlungen suchen. Aber man findet ihn bet
einem großen Theile derjenigen, welche gedient haben, man findet ihn beson¬
ders auf dem Lande, wo sich die Traditionen von 1813 bis jetzt frisch er¬
halten haben, man findet ihn bei dem Adel, man findet ihn auch bei jener
Jugend, welche durch den einjährigen freiwilligen Dienst und sich daranschlie¬
ßenden Eintritt in das Officiercorps ein ungeheuer wichtiges Mittel ist, um
bürgerliches und militärisches Wesen, Beamte und Officiere, ja selbst Stadt
und Hof einander zu nähern und zur Ausgleichung zu bringen.
An England rühmt man, daß dem Bürgerthum der Eintritt in die Aristo¬
kratie eröffnet ist. In dem demokratischen Preußen, wo man freilich so manche
inhaltreiche und inhaltlose Vorrechte des Adels zu conserviren bemüht ist, geht
die Mischung der Stände unaufhaltsam vor sich. Dem erworbenen Reichthum
des Vaters gestattet man sogar, sich einem Berufe zu widmen, der wenig ge¬
winnbringend, aber glänzender und für den Ehrgeiz verlockender ist. Man
wendet außerordentlich wenig Aufmerksamkeit auf diese allerdings nicht aus¬
fallende Bewegung. Die Tausende von Reserve- und Landwehrofficieren, Juristen,
Lehrern, Banquiers, Kaufleuten u. f. w. wetteifern mit dem Berufsofficier an
Pflege des Ehrbegriffs, welcher im preußischen Heere von je so scharf ausge¬
prägt war und jetzt nach drei Kriegen haben sie sein Element in die Bevöl¬
kerung gebracht, welches derselben früher fehlte. Es giebt unter Denen, welche
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