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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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"mein Herr" anreden und würde kaum wagen, sich in seinem Beisein ohne
seine Erlaubniß niederzusetzen/' "Die Weiber", sagte Young zu mir, "wer¬
den leichter selig werden als die Männer; sie haben nicht Verstand genug,
um sehr zu sündigen/' Andere sehr deutlich sprechende Beispiele für die Mi߬
achtung, welche der Mormone vor den weiblichen Mitgliedern seines Haus¬
halts und insbesondere vor seinen hinzugeheiratheten Weibern hegt, wolle
man bei Busch S. 346 bis 360 nachlesen.

Jedes unverheiratete Frauenzimmer hat bei den Mormonen das Recht,
sich bei dem Präsidium durch ihren Bischof Versorgung mit einem Ehemann
auszubitten, und ihr Gesuch darf nicht abgeschlagen werden. Der Prophet
pflegt dann nachzudenken, wer tauglich sein möchte, und hat er den Rechten
gefunden, so wird derselbe citirt, und er muß sehr triftige Gründe anführen
können, wenn er dem ihm angesonncnen Ehebunde mit der Einsamen ent¬
gehen will. Andrerseits kann der Vorsteher der Kirche mißrathenden Ehen
auch abhelfen, indem er die Verheirateten oder Versiegelten, nachdem er sie
zur Eintracht und Geduld ermahnt hat, sie aber in der ihnen dann gesetzten
Probezeit die Unmöglichkeit eingesehen haben, weiter mit einander zu existiren,
von ihren Gelübden losspricht. Aus dieser Gewalt in Ehesachen erwächst
ihm natürlich ein ungemeines Ansehen und eine genaue Kenntniß der ge-
sammten häuslichen Verhältnisse seiner Heiligen.

Ein anderes Mittel, durch welches Aoung und die übrigen Häupter der Kirche
ihr Ansehen und ihre Macht mehren, ist die Annahme mehrerer Personen an
Kindesstatt. Häufig geschieht es, daß Apostel und Hohepriester ganze Fami¬
lien auf diese Weise der ihrigen einverleiben, und der Prophet hat dies eben¬
falls wiederholt gethan. Sehr gern hätte er in den letzten Jahren die ihm
unbequemen Söhne seines Vorgängers Joseph Smith auf diesem Wege um
schädlich gemacht, aber sie wollten nicht. Andere dagegen finden eine Ehre
darin , "Söhne des Sehers" oder "Adoptivkinder des Präsidenten" zu heißen.
Sie wohnen dann entweder bei ihrem Adoptivvater oder doch in seiner Nähe,
arbeiten für ihn, empfangen Nahrung und sonstige Nothdurft von ihm, stehen
ihm bei Streitigkeiten mit Büchse und Bowieknife zur Seite und verhalten
sich überhaupt, obwohl sie überhaupt Männer reiferen Alters sind, vollstän¬
dig als Kinder gegen ihn. Der eigentliche Zweck dieser Einrichtung, die fast
wie Leibeigenschaft aussieht, ist offenbar der gewesen, daß die Führer sich
durch Heranbildung einer starken, durch Dankbarkeit an ihr Interesse gefessel¬
ten Gefolgschaft für alle Fälle ihre Macht zu sichern bestrebt waren. Sie
haben aber diese Absicht, die so wenig mit der Liebe zur Unabhängigkeit und
allen damit zusammenhängenden Reminiscenzen eines Amerikaners und Eng¬
länders harmonirt, geschickt verborgen und der Sache dadurch, daß sie be¬
haupten, das Verhältniß werde sich im Jenseits fortsetzen, eine religiöse Weihe


„mein Herr" anreden und würde kaum wagen, sich in seinem Beisein ohne
seine Erlaubniß niederzusetzen/' „Die Weiber", sagte Young zu mir, „wer¬
den leichter selig werden als die Männer; sie haben nicht Verstand genug,
um sehr zu sündigen/' Andere sehr deutlich sprechende Beispiele für die Mi߬
achtung, welche der Mormone vor den weiblichen Mitgliedern seines Haus¬
halts und insbesondere vor seinen hinzugeheiratheten Weibern hegt, wolle
man bei Busch S. 346 bis 360 nachlesen.

Jedes unverheiratete Frauenzimmer hat bei den Mormonen das Recht,
sich bei dem Präsidium durch ihren Bischof Versorgung mit einem Ehemann
auszubitten, und ihr Gesuch darf nicht abgeschlagen werden. Der Prophet
pflegt dann nachzudenken, wer tauglich sein möchte, und hat er den Rechten
gefunden, so wird derselbe citirt, und er muß sehr triftige Gründe anführen
können, wenn er dem ihm angesonncnen Ehebunde mit der Einsamen ent¬
gehen will. Andrerseits kann der Vorsteher der Kirche mißrathenden Ehen
auch abhelfen, indem er die Verheirateten oder Versiegelten, nachdem er sie
zur Eintracht und Geduld ermahnt hat, sie aber in der ihnen dann gesetzten
Probezeit die Unmöglichkeit eingesehen haben, weiter mit einander zu existiren,
von ihren Gelübden losspricht. Aus dieser Gewalt in Ehesachen erwächst
ihm natürlich ein ungemeines Ansehen und eine genaue Kenntniß der ge-
sammten häuslichen Verhältnisse seiner Heiligen.

Ein anderes Mittel, durch welches Aoung und die übrigen Häupter der Kirche
ihr Ansehen und ihre Macht mehren, ist die Annahme mehrerer Personen an
Kindesstatt. Häufig geschieht es, daß Apostel und Hohepriester ganze Fami¬
lien auf diese Weise der ihrigen einverleiben, und der Prophet hat dies eben¬
falls wiederholt gethan. Sehr gern hätte er in den letzten Jahren die ihm
unbequemen Söhne seines Vorgängers Joseph Smith auf diesem Wege um
schädlich gemacht, aber sie wollten nicht. Andere dagegen finden eine Ehre
darin , „Söhne des Sehers" oder „Adoptivkinder des Präsidenten" zu heißen.
Sie wohnen dann entweder bei ihrem Adoptivvater oder doch in seiner Nähe,
arbeiten für ihn, empfangen Nahrung und sonstige Nothdurft von ihm, stehen
ihm bei Streitigkeiten mit Büchse und Bowieknife zur Seite und verhalten
sich überhaupt, obwohl sie überhaupt Männer reiferen Alters sind, vollstän¬
dig als Kinder gegen ihn. Der eigentliche Zweck dieser Einrichtung, die fast
wie Leibeigenschaft aussieht, ist offenbar der gewesen, daß die Führer sich
durch Heranbildung einer starken, durch Dankbarkeit an ihr Interesse gefessel¬
ten Gefolgschaft für alle Fälle ihre Macht zu sichern bestrebt waren. Sie
haben aber diese Absicht, die so wenig mit der Liebe zur Unabhängigkeit und
allen damit zusammenhängenden Reminiscenzen eines Amerikaners und Eng¬
länders harmonirt, geschickt verborgen und der Sache dadurch, daß sie be¬
haupten, das Verhältniß werde sich im Jenseits fortsetzen, eine religiöse Weihe


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[0384] „mein Herr" anreden und würde kaum wagen, sich in seinem Beisein ohne seine Erlaubniß niederzusetzen/' „Die Weiber", sagte Young zu mir, „wer¬ den leichter selig werden als die Männer; sie haben nicht Verstand genug, um sehr zu sündigen/' Andere sehr deutlich sprechende Beispiele für die Mi߬ achtung, welche der Mormone vor den weiblichen Mitgliedern seines Haus¬ halts und insbesondere vor seinen hinzugeheiratheten Weibern hegt, wolle man bei Busch S. 346 bis 360 nachlesen. Jedes unverheiratete Frauenzimmer hat bei den Mormonen das Recht, sich bei dem Präsidium durch ihren Bischof Versorgung mit einem Ehemann auszubitten, und ihr Gesuch darf nicht abgeschlagen werden. Der Prophet pflegt dann nachzudenken, wer tauglich sein möchte, und hat er den Rechten gefunden, so wird derselbe citirt, und er muß sehr triftige Gründe anführen können, wenn er dem ihm angesonncnen Ehebunde mit der Einsamen ent¬ gehen will. Andrerseits kann der Vorsteher der Kirche mißrathenden Ehen auch abhelfen, indem er die Verheirateten oder Versiegelten, nachdem er sie zur Eintracht und Geduld ermahnt hat, sie aber in der ihnen dann gesetzten Probezeit die Unmöglichkeit eingesehen haben, weiter mit einander zu existiren, von ihren Gelübden losspricht. Aus dieser Gewalt in Ehesachen erwächst ihm natürlich ein ungemeines Ansehen und eine genaue Kenntniß der ge- sammten häuslichen Verhältnisse seiner Heiligen. Ein anderes Mittel, durch welches Aoung und die übrigen Häupter der Kirche ihr Ansehen und ihre Macht mehren, ist die Annahme mehrerer Personen an Kindesstatt. Häufig geschieht es, daß Apostel und Hohepriester ganze Fami¬ lien auf diese Weise der ihrigen einverleiben, und der Prophet hat dies eben¬ falls wiederholt gethan. Sehr gern hätte er in den letzten Jahren die ihm unbequemen Söhne seines Vorgängers Joseph Smith auf diesem Wege um schädlich gemacht, aber sie wollten nicht. Andere dagegen finden eine Ehre darin , „Söhne des Sehers" oder „Adoptivkinder des Präsidenten" zu heißen. Sie wohnen dann entweder bei ihrem Adoptivvater oder doch in seiner Nähe, arbeiten für ihn, empfangen Nahrung und sonstige Nothdurft von ihm, stehen ihm bei Streitigkeiten mit Büchse und Bowieknife zur Seite und verhalten sich überhaupt, obwohl sie überhaupt Männer reiferen Alters sind, vollstän¬ dig als Kinder gegen ihn. Der eigentliche Zweck dieser Einrichtung, die fast wie Leibeigenschaft aussieht, ist offenbar der gewesen, daß die Führer sich durch Heranbildung einer starken, durch Dankbarkeit an ihr Interesse gefessel¬ ten Gefolgschaft für alle Fälle ihre Macht zu sichern bestrebt waren. Sie haben aber diese Absicht, die so wenig mit der Liebe zur Unabhängigkeit und allen damit zusammenhängenden Reminiscenzen eines Amerikaners und Eng¬ länders harmonirt, geschickt verborgen und der Sache dadurch, daß sie be¬ haupten, das Verhältniß werde sich im Jenseits fortsetzen, eine religiöse Weihe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/384>, abgerufen am 05.02.2025.