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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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der sich's zur Aufgabe gestellt hat, die Polygamie mit allen Mitteln zu för¬
dern, daß Dichterinnen sie preisen, Mütter sie ihren Töchtern als gottgefällig
rühmen, daß ältere Frauen sich glücklich schätzen, wenn sie dem Harem ihres
Gemahls eine neue Hagar oder Bilha zuführen können. Die Nichtmormonen
müssen zugeben, daß Einiges hiervon richtig ist. und daß es namentlich über¬
spannte Frauen in Utah gibt, welche, wie Belinda Pratt, die in einem ge¬
druckten und viel verbreiteten Briefe die Vielweiberei mit feurigen Worten
empfahl, in Wort und Schrift für das System der "Pluralirät" aufgetreten
sind. Die Adresse der dritthalbtausend Frauen, welche jetzt von dem Congreß
Aufrechthaltung des Instituts erbat, mag ebenfalls als Beweis für die Zu¬
friedenheit der Mormoninnen mit dem letzteren gebucht werden, obwohl es
sich fragt, wie viele Unterschriften von der eheherrlicher Gewalt oder der
Furcht vor der Präsidentschaft oder von dem Gedanken an die unsichere Zu¬
kunft, in welche die Betreffenden als zweite, dritte oder vierte Weiber durch
Auslösung des bisherigen Verhältnisses hinausgestoßen werden würden, dictirt
und wie viele von Ueberzeugungswegen erfolgt sind. Im Allgemeinen aber
ist die Polygamie nach allen Berichterstattern, von Gumirson und Schiel an
bis auf Dixon bei den weiblichen Heiligen nicht beliebt, und viele Mädchen
heirathen lieber gar nicht, als daß sie einen alten Oberpriester oder Aeltesten,
der seinen Harem mit ihnen zu vervollständigen wünscht, oder einen jungen
Mann nähmen, der ihnen nicht versprechen will, sich auf sein erstes Ehe¬
gelübde zu beschränken.

Die Vertheidiger der Vielweiberei sagen ferner, dieselbe habe auf die
Frauen einen vortrefflichen Einfluß geübt. Dieselben seien "im Thale" weit
häuslicher, weiblicher und mütterlicher geworden, als sie draußen "unter den
Heiden" gewesen. Auch davon möchte Einiges begründet sein, nur wird es
durch die üblen Wirkungen der Hühnerehe, durch welche das Weib zur
nun eben zur Henne wird, bei Weitem überwogen. Die "Pluralirät" versetzt
sie aus dem Wohnzimmer in die Küche und die Kinderstube. Die verhei-
rathete Frau ist, von den älteren Damen abgesehen, in der Salzsee-Stadt
durch die Eifersucht und das Mißtrauen des Mannes fast ganz von der Ge¬
sellschaft ausgeschlossen. Es ist fast wie unter den Türken, wo es für un¬
schicklich gilt, einen Freund nach dem Befinden seiner Gemahlin zu fragen-
Die Männer sehen einander selten im Hause und dann fast nie in Gesellschaft
ihrer Frauen. So fehlt es für die letzteren an Anregung, und dadurch haben
viele die Fähigkeit eingebüßt, selbst an einem so leichten Gespräche, wie es
den Mittagstisch und das Empfangszimmer belebt, Theil zu nehmen.

"In vielen Häusern", so erzählt Diron, "liefen die Frauen unserer Wirthe
mit ihren Säuglingen in den Stuben umher, holten Champagner, entkorkten
die Flaschen, brachten Kuchen und Früchte, zündeten Fidibusse an, eisten das


der sich's zur Aufgabe gestellt hat, die Polygamie mit allen Mitteln zu för¬
dern, daß Dichterinnen sie preisen, Mütter sie ihren Töchtern als gottgefällig
rühmen, daß ältere Frauen sich glücklich schätzen, wenn sie dem Harem ihres
Gemahls eine neue Hagar oder Bilha zuführen können. Die Nichtmormonen
müssen zugeben, daß Einiges hiervon richtig ist. und daß es namentlich über¬
spannte Frauen in Utah gibt, welche, wie Belinda Pratt, die in einem ge¬
druckten und viel verbreiteten Briefe die Vielweiberei mit feurigen Worten
empfahl, in Wort und Schrift für das System der „Pluralirät" aufgetreten
sind. Die Adresse der dritthalbtausend Frauen, welche jetzt von dem Congreß
Aufrechthaltung des Instituts erbat, mag ebenfalls als Beweis für die Zu¬
friedenheit der Mormoninnen mit dem letzteren gebucht werden, obwohl es
sich fragt, wie viele Unterschriften von der eheherrlicher Gewalt oder der
Furcht vor der Präsidentschaft oder von dem Gedanken an die unsichere Zu¬
kunft, in welche die Betreffenden als zweite, dritte oder vierte Weiber durch
Auslösung des bisherigen Verhältnisses hinausgestoßen werden würden, dictirt
und wie viele von Ueberzeugungswegen erfolgt sind. Im Allgemeinen aber
ist die Polygamie nach allen Berichterstattern, von Gumirson und Schiel an
bis auf Dixon bei den weiblichen Heiligen nicht beliebt, und viele Mädchen
heirathen lieber gar nicht, als daß sie einen alten Oberpriester oder Aeltesten,
der seinen Harem mit ihnen zu vervollständigen wünscht, oder einen jungen
Mann nähmen, der ihnen nicht versprechen will, sich auf sein erstes Ehe¬
gelübde zu beschränken.

Die Vertheidiger der Vielweiberei sagen ferner, dieselbe habe auf die
Frauen einen vortrefflichen Einfluß geübt. Dieselben seien „im Thale" weit
häuslicher, weiblicher und mütterlicher geworden, als sie draußen „unter den
Heiden" gewesen. Auch davon möchte Einiges begründet sein, nur wird es
durch die üblen Wirkungen der Hühnerehe, durch welche das Weib zur
nun eben zur Henne wird, bei Weitem überwogen. Die „Pluralirät" versetzt
sie aus dem Wohnzimmer in die Küche und die Kinderstube. Die verhei-
rathete Frau ist, von den älteren Damen abgesehen, in der Salzsee-Stadt
durch die Eifersucht und das Mißtrauen des Mannes fast ganz von der Ge¬
sellschaft ausgeschlossen. Es ist fast wie unter den Türken, wo es für un¬
schicklich gilt, einen Freund nach dem Befinden seiner Gemahlin zu fragen-
Die Männer sehen einander selten im Hause und dann fast nie in Gesellschaft
ihrer Frauen. So fehlt es für die letzteren an Anregung, und dadurch haben
viele die Fähigkeit eingebüßt, selbst an einem so leichten Gespräche, wie es
den Mittagstisch und das Empfangszimmer belebt, Theil zu nehmen.

„In vielen Häusern", so erzählt Diron, „liefen die Frauen unserer Wirthe
mit ihren Säuglingen in den Stuben umher, holten Champagner, entkorkten
die Flaschen, brachten Kuchen und Früchte, zündeten Fidibusse an, eisten das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/382>, abgerufen am 06.02.2025.