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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Sandstein erbaut, aus welchem Material auch das Rathhaus und etwa noch
drei oder vier Gebäude dieses Stadttheils bestehen. Weiter vom Mittelpunkte
der Stadt werden die Straßen einsamer, die Häuser seltener, und ganze Stadt¬
vierecke bestehen nur aus großen Obst- und Gemüsegärten, in denen hier und
da eine kleine weiße mit Schlingpflanzen überwachsene Villa sichtbar ist.

In der ersten Straße südlich vom Tempelquadrat begegnen wir der
Stadthalle, wo sich das Untergericht und das Hauptquartier der Polizei be¬
finden, und dem Theater, welches außen dorische Säulen zeigt. Es hat weder
Vorhang noch Logen, noch irgend welche Zierrathen, außer einem Anstrich von
Weiß und Gold. In der Mitte des Parterres steht ein Schaukelstuhl für
den Propheten, um den sich die Sitze derer reihen, welche Anspruch darauf
machen, ihm an Ansehen die Nächsten zu sein. Die Ausstattung mit Cou¬
lissen und Maschinen ist dürftig, dagegen verwendet man ziemlich viel auf das
Costüm. Gewöhnlich giebt es nur kurze Stücke, wie im Tabernakel nur kurze
Predigten, auch zieht man Lustspiele vor. Doch werden auch Rührdramen
aufgeführt, z. B. "InAomg-r tus og.roi'zur>," d. h. auf deutsch: Halms "Sohn
der Wildniß." Nach dem Schlüsse des Stückes folgt in der Regel ein lustiges
Lied, in welches das Publicum einstimmt. Der Prophet hält es nicht für
unpassend, seine Töchter mit Komödie spielen zu lassen, ja er ist der Haupt¬
gönner des Theaters. Das Theaterorchester spielt sehr unvollkommen, aber
das hindert die in musikalischer Hinsicht nicht verwöhnten und bei Schilderung
ihrer Einrichtungen vor Fremden sich gern in Hyperbeln ergehenden Heiligen
nicht, seine Leistungen "die süßeste Musik auf Erden" zu nennen.

Im Ganzen hat Neujerusalem den Charakter eines großen Dorfes. Die
vielen Bäume auf den Straßen, das überall bergabrinnende Wasser, die Vieh-
heerden, die sich zu allen Tageszeiten durch die Stadt bewegen, die Kühe, die
auf den öffentlichen Plätzen gemolken werden, geben ihm das Aussehen einer
Ansiedlung von Hirten. Leichte Bergwagen stehen umher, Gespanne von
Ochsen und Maulthieren werden ausgeschirrt, und sonnenverbrannte Zuwan-
derer, die eben von den Prairien oder aus der Wüste zwischen hier und
Californien hereingekommen sind, sitzen, dankbar für den Schatten und das
Wasser, unter den Akazien zwischen Fahrstraße und Fußweg und plätschern
mit den Füßen in den kühlen Bächen. Gelegentlich zieht ein Trupp lang¬
haariger Snake-Jndianer vorüber. Bisweilen begegnen wir einem Stutzer aus
den benachbarten Diggings mit rother Atlasschärpe und ungeheuren Wasser¬
stiefeln. Jener Bursch mit dem breitrandigen Sombrero, der mit seinem
kleinen sehnigen Pferde den Staub der Straße aufwirbelt, ist vielleicht ein
Wegelagrer aus Neumerico, und dort die beiden blauen Uniformen sind Offi-
ciere aus Camp Douglas, dem Lager "der Heiden." Der Himmel über dem
Allen ist wundervoll klar und rein, und prachtvoll schauen aus der Ferne die


Sandstein erbaut, aus welchem Material auch das Rathhaus und etwa noch
drei oder vier Gebäude dieses Stadttheils bestehen. Weiter vom Mittelpunkte
der Stadt werden die Straßen einsamer, die Häuser seltener, und ganze Stadt¬
vierecke bestehen nur aus großen Obst- und Gemüsegärten, in denen hier und
da eine kleine weiße mit Schlingpflanzen überwachsene Villa sichtbar ist.

In der ersten Straße südlich vom Tempelquadrat begegnen wir der
Stadthalle, wo sich das Untergericht und das Hauptquartier der Polizei be¬
finden, und dem Theater, welches außen dorische Säulen zeigt. Es hat weder
Vorhang noch Logen, noch irgend welche Zierrathen, außer einem Anstrich von
Weiß und Gold. In der Mitte des Parterres steht ein Schaukelstuhl für
den Propheten, um den sich die Sitze derer reihen, welche Anspruch darauf
machen, ihm an Ansehen die Nächsten zu sein. Die Ausstattung mit Cou¬
lissen und Maschinen ist dürftig, dagegen verwendet man ziemlich viel auf das
Costüm. Gewöhnlich giebt es nur kurze Stücke, wie im Tabernakel nur kurze
Predigten, auch zieht man Lustspiele vor. Doch werden auch Rührdramen
aufgeführt, z. B. „InAomg-r tus og.roi'zur>," d. h. auf deutsch: Halms „Sohn
der Wildniß." Nach dem Schlüsse des Stückes folgt in der Regel ein lustiges
Lied, in welches das Publicum einstimmt. Der Prophet hält es nicht für
unpassend, seine Töchter mit Komödie spielen zu lassen, ja er ist der Haupt¬
gönner des Theaters. Das Theaterorchester spielt sehr unvollkommen, aber
das hindert die in musikalischer Hinsicht nicht verwöhnten und bei Schilderung
ihrer Einrichtungen vor Fremden sich gern in Hyperbeln ergehenden Heiligen
nicht, seine Leistungen „die süßeste Musik auf Erden" zu nennen.

Im Ganzen hat Neujerusalem den Charakter eines großen Dorfes. Die
vielen Bäume auf den Straßen, das überall bergabrinnende Wasser, die Vieh-
heerden, die sich zu allen Tageszeiten durch die Stadt bewegen, die Kühe, die
auf den öffentlichen Plätzen gemolken werden, geben ihm das Aussehen einer
Ansiedlung von Hirten. Leichte Bergwagen stehen umher, Gespanne von
Ochsen und Maulthieren werden ausgeschirrt, und sonnenverbrannte Zuwan-
derer, die eben von den Prairien oder aus der Wüste zwischen hier und
Californien hereingekommen sind, sitzen, dankbar für den Schatten und das
Wasser, unter den Akazien zwischen Fahrstraße und Fußweg und plätschern
mit den Füßen in den kühlen Bächen. Gelegentlich zieht ein Trupp lang¬
haariger Snake-Jndianer vorüber. Bisweilen begegnen wir einem Stutzer aus
den benachbarten Diggings mit rother Atlasschärpe und ungeheuren Wasser¬
stiefeln. Jener Bursch mit dem breitrandigen Sombrero, der mit seinem
kleinen sehnigen Pferde den Staub der Straße aufwirbelt, ist vielleicht ein
Wegelagrer aus Neumerico, und dort die beiden blauen Uniformen sind Offi-
ciere aus Camp Douglas, dem Lager „der Heiden." Der Himmel über dem
Allen ist wundervoll klar und rein, und prachtvoll schauen aus der Ferne die


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[0374] Sandstein erbaut, aus welchem Material auch das Rathhaus und etwa noch drei oder vier Gebäude dieses Stadttheils bestehen. Weiter vom Mittelpunkte der Stadt werden die Straßen einsamer, die Häuser seltener, und ganze Stadt¬ vierecke bestehen nur aus großen Obst- und Gemüsegärten, in denen hier und da eine kleine weiße mit Schlingpflanzen überwachsene Villa sichtbar ist. In der ersten Straße südlich vom Tempelquadrat begegnen wir der Stadthalle, wo sich das Untergericht und das Hauptquartier der Polizei be¬ finden, und dem Theater, welches außen dorische Säulen zeigt. Es hat weder Vorhang noch Logen, noch irgend welche Zierrathen, außer einem Anstrich von Weiß und Gold. In der Mitte des Parterres steht ein Schaukelstuhl für den Propheten, um den sich die Sitze derer reihen, welche Anspruch darauf machen, ihm an Ansehen die Nächsten zu sein. Die Ausstattung mit Cou¬ lissen und Maschinen ist dürftig, dagegen verwendet man ziemlich viel auf das Costüm. Gewöhnlich giebt es nur kurze Stücke, wie im Tabernakel nur kurze Predigten, auch zieht man Lustspiele vor. Doch werden auch Rührdramen aufgeführt, z. B. „InAomg-r tus og.roi'zur>," d. h. auf deutsch: Halms „Sohn der Wildniß." Nach dem Schlüsse des Stückes folgt in der Regel ein lustiges Lied, in welches das Publicum einstimmt. Der Prophet hält es nicht für unpassend, seine Töchter mit Komödie spielen zu lassen, ja er ist der Haupt¬ gönner des Theaters. Das Theaterorchester spielt sehr unvollkommen, aber das hindert die in musikalischer Hinsicht nicht verwöhnten und bei Schilderung ihrer Einrichtungen vor Fremden sich gern in Hyperbeln ergehenden Heiligen nicht, seine Leistungen „die süßeste Musik auf Erden" zu nennen. Im Ganzen hat Neujerusalem den Charakter eines großen Dorfes. Die vielen Bäume auf den Straßen, das überall bergabrinnende Wasser, die Vieh- heerden, die sich zu allen Tageszeiten durch die Stadt bewegen, die Kühe, die auf den öffentlichen Plätzen gemolken werden, geben ihm das Aussehen einer Ansiedlung von Hirten. Leichte Bergwagen stehen umher, Gespanne von Ochsen und Maulthieren werden ausgeschirrt, und sonnenverbrannte Zuwan- derer, die eben von den Prairien oder aus der Wüste zwischen hier und Californien hereingekommen sind, sitzen, dankbar für den Schatten und das Wasser, unter den Akazien zwischen Fahrstraße und Fußweg und plätschern mit den Füßen in den kühlen Bächen. Gelegentlich zieht ein Trupp lang¬ haariger Snake-Jndianer vorüber. Bisweilen begegnen wir einem Stutzer aus den benachbarten Diggings mit rother Atlasschärpe und ungeheuren Wasser¬ stiefeln. Jener Bursch mit dem breitrandigen Sombrero, der mit seinem kleinen sehnigen Pferde den Staub der Straße aufwirbelt, ist vielleicht ein Wegelagrer aus Neumerico, und dort die beiden blauen Uniformen sind Offi- ciere aus Camp Douglas, dem Lager „der Heiden." Der Himmel über dem Allen ist wundervoll klar und rein, und prachtvoll schauen aus der Ferne die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/374>, abgerufen am 05.02.2025.