Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie sind wichtiger als die augenblickliche politische Lage, welche ein paar kleine
Nuancen durchläuft und doch immer dieselbe Farbe behält. Nur ein Unvor¬
hergesehenes, wie man zu sagen pflegt, statt eines wohl Vorherzusehenden
kann diese Nuhe brechen, aber selbst wenn Thiers oder der Papst stürbe, so
würde jetzt und in der nächsten Zeit die Stellung Deutschlands, die nur durch
zwei Dinge -- durch innere Zwietracht und durch eine Koalition mehrer
Großmächte -- gefährdet werden kann, immer noch stark genug sein, eine
K -- 0. ^, - risis zu mildern.




Dom preußischen Landtag.

Wir sehr das Interesse an den Verhandlungen des Reichstags die Theil¬
nahme für alle Sonderlandtage zurückdrängen mag, selbst in den betreffenden
Staaten, geschweige denn im übrigen Reich: mit dem preußischen Landtag
bleibt es doch anders. Das zeigte wieder die Spannung, mit welcher die
Thronrede zur Eröffnung dieser Session erwartet wurde. Der Grund liegt
nicht an den größeren Verhältnissen des preußischen Staates allein. Er liegt
wohl besonders darin, daß die deutschen Staaten, bewußt oder unbewußt,
auch einer Gleichartigkeit der inneren Einrichtungen zustreben, welche der Com-
petenz des Reiches nicht unterliegen. Bei diesem naturgemäßen Drange muß
die innere Gesetzgebung desjenigen Staates die allgemeine Aufmerksamkeit auf
sich ziehen, der die größte Mannigfaltigkeit und Entwickelung der socialen
Elemente besitzt.

Die Erwartung wichtiger Vorlagen, welche sich an die diesjährige Herbst¬
session knüpfte, ist durch die Thronrede nicht getäuscht worden. Nachdem der
König seinem Volke, dessen Vertreter er seit dem Ausbruch des Krieges von
^870 zuerst wieder in Person begrüßte, nochmals seinen Dank für die er¬
hebende Haltung während des großen Kampfes ausgesprochen, wendet er sich
^n inneren Aufgaben zu. Die verfügbar gewordenen Summen des preußi¬
schen Staatsschatzes, den fortan ein Neichskriegsschatz ersetzt, und einige an¬
dere außerordentliche Einnahmen sollen zur Tilgung von Staatsschulden ver¬
wendet werden. Die solchergestalt erwachsende Entlastung des Staatshaus¬
haltes soll zunächst zur Erhöhung der Beamtenbesoldungen dienen. Aber
"Ach einzelne Steuererleichterungen werden in Aussicht gestellt. Neue Anlagen
auf dem Gebiet des Eisenbahnbau.es und der sonstigen Communicationsmittel
sollen hinzutreten. Auf dem Gebiet neuer Verwaltungseinrichtungen wird
das seit Jahren in Frage stehende Gesetz, welches die Befugnisse und den
kschGäftsgang der Oberrechnungskammer regeln soll, für diese Session ver-


Sie sind wichtiger als die augenblickliche politische Lage, welche ein paar kleine
Nuancen durchläuft und doch immer dieselbe Farbe behält. Nur ein Unvor¬
hergesehenes, wie man zu sagen pflegt, statt eines wohl Vorherzusehenden
kann diese Nuhe brechen, aber selbst wenn Thiers oder der Papst stürbe, so
würde jetzt und in der nächsten Zeit die Stellung Deutschlands, die nur durch
zwei Dinge — durch innere Zwietracht und durch eine Koalition mehrer
Großmächte — gefährdet werden kann, immer noch stark genug sein, eine
K — 0. ^, - risis zu mildern.




Dom preußischen Landtag.

Wir sehr das Interesse an den Verhandlungen des Reichstags die Theil¬
nahme für alle Sonderlandtage zurückdrängen mag, selbst in den betreffenden
Staaten, geschweige denn im übrigen Reich: mit dem preußischen Landtag
bleibt es doch anders. Das zeigte wieder die Spannung, mit welcher die
Thronrede zur Eröffnung dieser Session erwartet wurde. Der Grund liegt
nicht an den größeren Verhältnissen des preußischen Staates allein. Er liegt
wohl besonders darin, daß die deutschen Staaten, bewußt oder unbewußt,
auch einer Gleichartigkeit der inneren Einrichtungen zustreben, welche der Com-
petenz des Reiches nicht unterliegen. Bei diesem naturgemäßen Drange muß
die innere Gesetzgebung desjenigen Staates die allgemeine Aufmerksamkeit auf
sich ziehen, der die größte Mannigfaltigkeit und Entwickelung der socialen
Elemente besitzt.

Die Erwartung wichtiger Vorlagen, welche sich an die diesjährige Herbst¬
session knüpfte, ist durch die Thronrede nicht getäuscht worden. Nachdem der
König seinem Volke, dessen Vertreter er seit dem Ausbruch des Krieges von
^870 zuerst wieder in Person begrüßte, nochmals seinen Dank für die er¬
hebende Haltung während des großen Kampfes ausgesprochen, wendet er sich
^n inneren Aufgaben zu. Die verfügbar gewordenen Summen des preußi¬
schen Staatsschatzes, den fortan ein Neichskriegsschatz ersetzt, und einige an¬
dere außerordentliche Einnahmen sollen zur Tilgung von Staatsschulden ver¬
wendet werden. Die solchergestalt erwachsende Entlastung des Staatshaus¬
haltes soll zunächst zur Erhöhung der Beamtenbesoldungen dienen. Aber
"Ach einzelne Steuererleichterungen werden in Aussicht gestellt. Neue Anlagen
auf dem Gebiet des Eisenbahnbau.es und der sonstigen Communicationsmittel
sollen hinzutreten. Auf dem Gebiet neuer Verwaltungseinrichtungen wird
das seit Jahren in Frage stehende Gesetz, welches die Befugnisse und den
kschGäftsgang der Oberrechnungskammer regeln soll, für diese Session ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0367" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192668"/>
          <p xml:id="ID_1352" prev="#ID_1351"> Sie sind wichtiger als die augenblickliche politische Lage, welche ein paar kleine<lb/>
Nuancen durchläuft und doch immer dieselbe Farbe behält. Nur ein Unvor¬<lb/>
hergesehenes, wie man zu sagen pflegt, statt eines wohl Vorherzusehenden<lb/>
kann diese Nuhe brechen, aber selbst wenn Thiers oder der Papst stürbe, so<lb/>
würde jetzt und in der nächsten Zeit die Stellung Deutschlands, die nur durch<lb/>
zwei Dinge &#x2014; durch innere Zwietracht und durch eine Koalition mehrer<lb/>
Großmächte &#x2014; gefährdet werden kann, immer noch stark genug sein, eine<lb/>
K<note type="byline"> &#x2014; 0. ^, -</note> risis zu mildern. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Dom preußischen Landtag.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1353"> Wir sehr das Interesse an den Verhandlungen des Reichstags die Theil¬<lb/>
nahme für alle Sonderlandtage zurückdrängen mag, selbst in den betreffenden<lb/>
Staaten, geschweige denn im übrigen Reich: mit dem preußischen Landtag<lb/>
bleibt es doch anders. Das zeigte wieder die Spannung, mit welcher die<lb/>
Thronrede zur Eröffnung dieser Session erwartet wurde. Der Grund liegt<lb/>
nicht an den größeren Verhältnissen des preußischen Staates allein. Er liegt<lb/>
wohl besonders darin, daß die deutschen Staaten, bewußt oder unbewußt,<lb/>
auch einer Gleichartigkeit der inneren Einrichtungen zustreben, welche der Com-<lb/>
petenz des Reiches nicht unterliegen. Bei diesem naturgemäßen Drange muß<lb/>
die innere Gesetzgebung desjenigen Staates die allgemeine Aufmerksamkeit auf<lb/>
sich ziehen, der die größte Mannigfaltigkeit und Entwickelung der socialen<lb/>
Elemente besitzt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1354" next="#ID_1355"> Die Erwartung wichtiger Vorlagen, welche sich an die diesjährige Herbst¬<lb/>
session knüpfte, ist durch die Thronrede nicht getäuscht worden. Nachdem der<lb/>
König seinem Volke, dessen Vertreter er seit dem Ausbruch des Krieges von<lb/>
^870 zuerst wieder in Person begrüßte, nochmals seinen Dank für die er¬<lb/>
hebende Haltung während des großen Kampfes ausgesprochen, wendet er sich<lb/>
^n inneren Aufgaben zu. Die verfügbar gewordenen Summen des preußi¬<lb/>
schen Staatsschatzes, den fortan ein Neichskriegsschatz ersetzt, und einige an¬<lb/>
dere außerordentliche Einnahmen sollen zur Tilgung von Staatsschulden ver¬<lb/>
wendet werden. Die solchergestalt erwachsende Entlastung des Staatshaus¬<lb/>
haltes soll zunächst zur Erhöhung der Beamtenbesoldungen dienen. Aber<lb/>
"Ach einzelne Steuererleichterungen werden in Aussicht gestellt. Neue Anlagen<lb/>
auf dem Gebiet des Eisenbahnbau.es und der sonstigen Communicationsmittel<lb/>
sollen hinzutreten. Auf dem Gebiet neuer Verwaltungseinrichtungen wird<lb/>
das seit Jahren in Frage stehende Gesetz, welches die Befugnisse und den<lb/>
kschGäftsgang der Oberrechnungskammer regeln soll, für diese Session ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0367] Sie sind wichtiger als die augenblickliche politische Lage, welche ein paar kleine Nuancen durchläuft und doch immer dieselbe Farbe behält. Nur ein Unvor¬ hergesehenes, wie man zu sagen pflegt, statt eines wohl Vorherzusehenden kann diese Nuhe brechen, aber selbst wenn Thiers oder der Papst stürbe, so würde jetzt und in der nächsten Zeit die Stellung Deutschlands, die nur durch zwei Dinge — durch innere Zwietracht und durch eine Koalition mehrer Großmächte — gefährdet werden kann, immer noch stark genug sein, eine K — 0. ^, - risis zu mildern. Dom preußischen Landtag. Wir sehr das Interesse an den Verhandlungen des Reichstags die Theil¬ nahme für alle Sonderlandtage zurückdrängen mag, selbst in den betreffenden Staaten, geschweige denn im übrigen Reich: mit dem preußischen Landtag bleibt es doch anders. Das zeigte wieder die Spannung, mit welcher die Thronrede zur Eröffnung dieser Session erwartet wurde. Der Grund liegt nicht an den größeren Verhältnissen des preußischen Staates allein. Er liegt wohl besonders darin, daß die deutschen Staaten, bewußt oder unbewußt, auch einer Gleichartigkeit der inneren Einrichtungen zustreben, welche der Com- petenz des Reiches nicht unterliegen. Bei diesem naturgemäßen Drange muß die innere Gesetzgebung desjenigen Staates die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, der die größte Mannigfaltigkeit und Entwickelung der socialen Elemente besitzt. Die Erwartung wichtiger Vorlagen, welche sich an die diesjährige Herbst¬ session knüpfte, ist durch die Thronrede nicht getäuscht worden. Nachdem der König seinem Volke, dessen Vertreter er seit dem Ausbruch des Krieges von ^870 zuerst wieder in Person begrüßte, nochmals seinen Dank für die er¬ hebende Haltung während des großen Kampfes ausgesprochen, wendet er sich ^n inneren Aufgaben zu. Die verfügbar gewordenen Summen des preußi¬ schen Staatsschatzes, den fortan ein Neichskriegsschatz ersetzt, und einige an¬ dere außerordentliche Einnahmen sollen zur Tilgung von Staatsschulden ver¬ wendet werden. Die solchergestalt erwachsende Entlastung des Staatshaus¬ haltes soll zunächst zur Erhöhung der Beamtenbesoldungen dienen. Aber "Ach einzelne Steuererleichterungen werden in Aussicht gestellt. Neue Anlagen auf dem Gebiet des Eisenbahnbau.es und der sonstigen Communicationsmittel sollen hinzutreten. Auf dem Gebiet neuer Verwaltungseinrichtungen wird das seit Jahren in Frage stehende Gesetz, welches die Befugnisse und den kschGäftsgang der Oberrechnungskammer regeln soll, für diese Session ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/367
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/367>, abgerufen am 05.02.2025.