Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.deutschen Liberalen: Gneist verhält sich skeptisch und kritisch dagegen, ja wir Wie verhält sich nun, so zu fragen wird von großem Interesse sein, zu deutschen Liberalen: Gneist verhält sich skeptisch und kritisch dagegen, ja wir Wie verhält sich nun, so zu fragen wird von großem Interesse sein, zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0347" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192648"/> <p xml:id="ID_1295" prev="#ID_1294"> deutschen Liberalen: Gneist verhält sich skeptisch und kritisch dagegen, ja wir<lb/> meinen, der mißbilligende Ton seiner Darstellung hat mit jeder neuen Aus¬<lb/> gabe seiner Anschauungen in den verschiedenen Werken und Auflagen an<lb/> Schärfe und Bitterkeit noch zugenommen. Wir verstehen dies Gefühl des<lb/> Forschers, der die historische Größe Englands nicht nur gelobt, sondern auch<lb/> studirt hat, vollkommen und können unsere eigenen Gneist zustimmenden<lb/> Sympathien nicht verbergen. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1296" next="#ID_1297"> Wie verhält sich nun, so zu fragen wird von großem Interesse sein, zu<lb/> diesen Resultaten deutscher Wissenschaft die Stimme der Engländer selbst?<lb/> Natürlich fragen wir hier nur nach der Stimme wissenschaftlicher Politiker<lb/> und Publicisten. Man muß mit einiger Verwunderung bekennen, daß die<lb/> Engländer den Ausführungen Gneist's bisher nur äußerst wenig Einfluß aus<lb/> ihre Auffassung zugestanden haben. Man verharrt dort mit seltenen Auf¬<lb/> nahmen in der schon früher gewonnenen, nach Montesquieu's Recepte fabri-<lb/> cirten Schablone und isolirt sich gegen Strömungen anderer Art noch immer<lb/> fast systematisch. Noch immer gelten Hallam und May als die Autoritäten<lb/> der Verfassungsgeschichte in England; noch immer beschränkt sich die litera¬<lb/> rische Behandlung des Selfgovernment auf Handbücher und Anleitungen zu<lb/> Praktischen Gebrauch: zu einer wirklich wissenschaftlichen Darstellung des ge-<lb/> sammten politischen Lebens hat bis jetzt nur Homersham Cox einen An¬<lb/> lauf genommen und doch hat er von dem grundlegenden Verhältniß des Self¬<lb/> government zur politischen Verfassung kaum etwas zu sagen. Gneist's Arbeiten<lb/> haben in England kaum Eingang gefunden. Und auch jenseit des Welt-<lb/> Meeres hat man aus Gneist noch nicht viel Belehrung geschöpft. Es ist sehr<lb/> auffallend, daß das oben genannte Werk von Todd über den Parlamenta¬<lb/> rismus von Gneist's Buch niemals etwas gehört zu haben scheint. Sonst<lb/> ist gerade dies Werk eines canadischen Beamten über die politischen Zustände<lb/> des Mutterlandes eine hervorragende Erscheinung; und es ist sehr erfreulich,<lb/> daß wir aus sachverständiger Feder eine deutsche Uebersetzung sofort erhalten<lb/> haben, die zur weitesten Verbreitung im Kreise aller Politiker Deutschlands<lb/> warm empfohlen werden darf. Von dem praktischen Zwecke, eine Anleitung<lb/> an schreiben für die parlamentarischen Gebräuche in Canada ausgehend, wurde<lb/> der Verfasser zu einer vollständig in alle Details eingehenden Zeichnung des<lb/> parlamentarischen Zustandes in England hingeführt; und nach jahrelangen<lb/> Studien in allen Präcedenzfällen und allem parlamentarischen Materiale<lb/> entwirft er nun ein bis in's kleinste Detail ausgeführtes Bild des englischen<lb/> Verfassungslebens der Gegenwart, soweit wie nöthig durch die Vergangenheit<lb/> die vorhandenen Zustände erläuternd. Den thatsächlichen Vorgang dieser<lb/> parlamentarischen Maschinerie, die ganze Leitung und Handhabung der Ver-<lb/> ^ssung und Verwaltung durch das Parlament und seine Organe weiß der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0347]
deutschen Liberalen: Gneist verhält sich skeptisch und kritisch dagegen, ja wir
meinen, der mißbilligende Ton seiner Darstellung hat mit jeder neuen Aus¬
gabe seiner Anschauungen in den verschiedenen Werken und Auflagen an
Schärfe und Bitterkeit noch zugenommen. Wir verstehen dies Gefühl des
Forschers, der die historische Größe Englands nicht nur gelobt, sondern auch
studirt hat, vollkommen und können unsere eigenen Gneist zustimmenden
Sympathien nicht verbergen. —
Wie verhält sich nun, so zu fragen wird von großem Interesse sein, zu
diesen Resultaten deutscher Wissenschaft die Stimme der Engländer selbst?
Natürlich fragen wir hier nur nach der Stimme wissenschaftlicher Politiker
und Publicisten. Man muß mit einiger Verwunderung bekennen, daß die
Engländer den Ausführungen Gneist's bisher nur äußerst wenig Einfluß aus
ihre Auffassung zugestanden haben. Man verharrt dort mit seltenen Auf¬
nahmen in der schon früher gewonnenen, nach Montesquieu's Recepte fabri-
cirten Schablone und isolirt sich gegen Strömungen anderer Art noch immer
fast systematisch. Noch immer gelten Hallam und May als die Autoritäten
der Verfassungsgeschichte in England; noch immer beschränkt sich die litera¬
rische Behandlung des Selfgovernment auf Handbücher und Anleitungen zu
Praktischen Gebrauch: zu einer wirklich wissenschaftlichen Darstellung des ge-
sammten politischen Lebens hat bis jetzt nur Homersham Cox einen An¬
lauf genommen und doch hat er von dem grundlegenden Verhältniß des Self¬
government zur politischen Verfassung kaum etwas zu sagen. Gneist's Arbeiten
haben in England kaum Eingang gefunden. Und auch jenseit des Welt-
Meeres hat man aus Gneist noch nicht viel Belehrung geschöpft. Es ist sehr
auffallend, daß das oben genannte Werk von Todd über den Parlamenta¬
rismus von Gneist's Buch niemals etwas gehört zu haben scheint. Sonst
ist gerade dies Werk eines canadischen Beamten über die politischen Zustände
des Mutterlandes eine hervorragende Erscheinung; und es ist sehr erfreulich,
daß wir aus sachverständiger Feder eine deutsche Uebersetzung sofort erhalten
haben, die zur weitesten Verbreitung im Kreise aller Politiker Deutschlands
warm empfohlen werden darf. Von dem praktischen Zwecke, eine Anleitung
an schreiben für die parlamentarischen Gebräuche in Canada ausgehend, wurde
der Verfasser zu einer vollständig in alle Details eingehenden Zeichnung des
parlamentarischen Zustandes in England hingeführt; und nach jahrelangen
Studien in allen Präcedenzfällen und allem parlamentarischen Materiale
entwirft er nun ein bis in's kleinste Detail ausgeführtes Bild des englischen
Verfassungslebens der Gegenwart, soweit wie nöthig durch die Vergangenheit
die vorhandenen Zustände erläuternd. Den thatsächlichen Vorgang dieser
parlamentarischen Maschinerie, die ganze Leitung und Handhabung der Ver-
^ssung und Verwaltung durch das Parlament und seine Organe weiß der
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