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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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da alle Rangklassen der Priesterschaft derselben ihre besondern Präsidenten
haben, die erste Präsidentschaft heißt, und deren vornehmstes Mitglied der
Prophet ist. Dieses Collegium soll die höchste Behörde in allen. Glaubens¬
sachen für sämmtliche Mvrmonengemeinden sein, ist aber für die Heiligen in
Deseret zugleich die oberste Autorität in allen weltlichen Fragen. Zwar heißt
es, das Collegium der Apostel solle an Macht und Ansehen der Präsident¬
schaft der Kirche gleichstehen, und das Collegium der Siebzig wieder solle das¬
selbe Ansehen wie das der Apostel haben, auch ist ein aus zwölf Oberprie¬
stern zusammengesetzter "hoher Rath in Zion" der genannten Präsidentschaft
beigegeben. Aber die Apostel und die Siebzig sind selten oder nie alle bei¬
sammen, und der "hohe Rath in Zion" ist bisher immer aus Leuten zusam¬
mengesetzt gewesen, die zu allem, was der Prophet wollte, ja und Amen sagten.
Alle Bestimmungen also, durch welche das "Book of Doctrine and Covenants"
eine Art Gleichberechtigung der Körperschaft der Apostel und der Siebzig so
wie des hohen Rathes mit der Präsidentschaft der Kirche herstellt, sind nur
da, um der Theokratie einen demokratischen Anstrich zu geben, den Mor¬
monenpapst als in seiner Willkür einigermaßen beschränkt erscheinen zu lassen.
Derselbe ist, zumal er im schlimmsten Falle sich das, was ihm beliebt, vom
"großen Jehova" in einer Offenbarung befehlen lassen kann, in Wahrheit
ein ganz ebenso unfehlbarer und uneingeschränkter Autokrat wie sein römischer
College seit dem Siege der Jesuitcnpartei am 1.8, Juli 1870.

Die Aaronspriesterschaft theilt sich in Priester, Lehrer und Diakonen,
über denen früher nur ein Bischof stand, während es deren jetzt mehrere giebt.
Die Bischöfe sollen eigentliche Nachkommen Aarons, also Juden, sein; da sich
indeß keine Jsraeliten der Secte angeschlossen haben, so werden jene vom
Propheten ernannt, und zwar gewöhnlich aus der Melchisedeks-Priesterschaft.
Sie beaufsichtigen die Arbeit, in welcher die Unvermögenden in der Gemeinde
ihren Zehnten entrichten, sind die Nentnuistcr am "Speicher des Herrn," in
Welchen die Wohlhabenden ihn in Gestalt von Geld oder Naturallieferungen
bringen, die Magazinverwalter, die Armenpfleger und die Richter in Processen
untergeordneter Art; denn alle wichtigeren Fälle gehören vor das Forum
der Präsidentschaft der Kirche. Die Priester leiten den Gottesdienst, predigen,
taufen und spenden das heilige Abendmal, wo kein Oberpriester ist. Die
Lehrer und Diakonen sind Gehilfen der Priester, aber nicht zur Handauflegung
und Austheilung der Sacramente berechtigt.

Schließlich sei zu diesem Bericht über die Gliederung der Mormonen-
priesterschast noch bemerkt, daß es künftig auch Priesterinnen geben wird, und
dnß nach dem Glauben der Secte, sobald der Tempel vollendet ist, zahlreiche
Nachkommen Levis den Mormonen beitreten und daß dieselben dann außer
^n jetzt von der aaronischen Priesterschaft besorgten Geschäften auch den


Grenzboten it. 1871. 112

da alle Rangklassen der Priesterschaft derselben ihre besondern Präsidenten
haben, die erste Präsidentschaft heißt, und deren vornehmstes Mitglied der
Prophet ist. Dieses Collegium soll die höchste Behörde in allen. Glaubens¬
sachen für sämmtliche Mvrmonengemeinden sein, ist aber für die Heiligen in
Deseret zugleich die oberste Autorität in allen weltlichen Fragen. Zwar heißt
es, das Collegium der Apostel solle an Macht und Ansehen der Präsident¬
schaft der Kirche gleichstehen, und das Collegium der Siebzig wieder solle das¬
selbe Ansehen wie das der Apostel haben, auch ist ein aus zwölf Oberprie¬
stern zusammengesetzter „hoher Rath in Zion" der genannten Präsidentschaft
beigegeben. Aber die Apostel und die Siebzig sind selten oder nie alle bei¬
sammen, und der „hohe Rath in Zion" ist bisher immer aus Leuten zusam¬
mengesetzt gewesen, die zu allem, was der Prophet wollte, ja und Amen sagten.
Alle Bestimmungen also, durch welche das „Book of Doctrine and Covenants"
eine Art Gleichberechtigung der Körperschaft der Apostel und der Siebzig so
wie des hohen Rathes mit der Präsidentschaft der Kirche herstellt, sind nur
da, um der Theokratie einen demokratischen Anstrich zu geben, den Mor¬
monenpapst als in seiner Willkür einigermaßen beschränkt erscheinen zu lassen.
Derselbe ist, zumal er im schlimmsten Falle sich das, was ihm beliebt, vom
„großen Jehova" in einer Offenbarung befehlen lassen kann, in Wahrheit
ein ganz ebenso unfehlbarer und uneingeschränkter Autokrat wie sein römischer
College seit dem Siege der Jesuitcnpartei am 1.8, Juli 1870.

Die Aaronspriesterschaft theilt sich in Priester, Lehrer und Diakonen,
über denen früher nur ein Bischof stand, während es deren jetzt mehrere giebt.
Die Bischöfe sollen eigentliche Nachkommen Aarons, also Juden, sein; da sich
indeß keine Jsraeliten der Secte angeschlossen haben, so werden jene vom
Propheten ernannt, und zwar gewöhnlich aus der Melchisedeks-Priesterschaft.
Sie beaufsichtigen die Arbeit, in welcher die Unvermögenden in der Gemeinde
ihren Zehnten entrichten, sind die Nentnuistcr am „Speicher des Herrn," in
Welchen die Wohlhabenden ihn in Gestalt von Geld oder Naturallieferungen
bringen, die Magazinverwalter, die Armenpfleger und die Richter in Processen
untergeordneter Art; denn alle wichtigeren Fälle gehören vor das Forum
der Präsidentschaft der Kirche. Die Priester leiten den Gottesdienst, predigen,
taufen und spenden das heilige Abendmal, wo kein Oberpriester ist. Die
Lehrer und Diakonen sind Gehilfen der Priester, aber nicht zur Handauflegung
und Austheilung der Sacramente berechtigt.

Schließlich sei zu diesem Bericht über die Gliederung der Mormonen-
priesterschast noch bemerkt, daß es künftig auch Priesterinnen geben wird, und
dnß nach dem Glauben der Secte, sobald der Tempel vollendet ist, zahlreiche
Nachkommen Levis den Mormonen beitreten und daß dieselben dann außer
^n jetzt von der aaronischen Priesterschaft besorgten Geschäften auch den


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[0337] da alle Rangklassen der Priesterschaft derselben ihre besondern Präsidenten haben, die erste Präsidentschaft heißt, und deren vornehmstes Mitglied der Prophet ist. Dieses Collegium soll die höchste Behörde in allen. Glaubens¬ sachen für sämmtliche Mvrmonengemeinden sein, ist aber für die Heiligen in Deseret zugleich die oberste Autorität in allen weltlichen Fragen. Zwar heißt es, das Collegium der Apostel solle an Macht und Ansehen der Präsident¬ schaft der Kirche gleichstehen, und das Collegium der Siebzig wieder solle das¬ selbe Ansehen wie das der Apostel haben, auch ist ein aus zwölf Oberprie¬ stern zusammengesetzter „hoher Rath in Zion" der genannten Präsidentschaft beigegeben. Aber die Apostel und die Siebzig sind selten oder nie alle bei¬ sammen, und der „hohe Rath in Zion" ist bisher immer aus Leuten zusam¬ mengesetzt gewesen, die zu allem, was der Prophet wollte, ja und Amen sagten. Alle Bestimmungen also, durch welche das „Book of Doctrine and Covenants" eine Art Gleichberechtigung der Körperschaft der Apostel und der Siebzig so wie des hohen Rathes mit der Präsidentschaft der Kirche herstellt, sind nur da, um der Theokratie einen demokratischen Anstrich zu geben, den Mor¬ monenpapst als in seiner Willkür einigermaßen beschränkt erscheinen zu lassen. Derselbe ist, zumal er im schlimmsten Falle sich das, was ihm beliebt, vom „großen Jehova" in einer Offenbarung befehlen lassen kann, in Wahrheit ein ganz ebenso unfehlbarer und uneingeschränkter Autokrat wie sein römischer College seit dem Siege der Jesuitcnpartei am 1.8, Juli 1870. Die Aaronspriesterschaft theilt sich in Priester, Lehrer und Diakonen, über denen früher nur ein Bischof stand, während es deren jetzt mehrere giebt. Die Bischöfe sollen eigentliche Nachkommen Aarons, also Juden, sein; da sich indeß keine Jsraeliten der Secte angeschlossen haben, so werden jene vom Propheten ernannt, und zwar gewöhnlich aus der Melchisedeks-Priesterschaft. Sie beaufsichtigen die Arbeit, in welcher die Unvermögenden in der Gemeinde ihren Zehnten entrichten, sind die Nentnuistcr am „Speicher des Herrn," in Welchen die Wohlhabenden ihn in Gestalt von Geld oder Naturallieferungen bringen, die Magazinverwalter, die Armenpfleger und die Richter in Processen untergeordneter Art; denn alle wichtigeren Fälle gehören vor das Forum der Präsidentschaft der Kirche. Die Priester leiten den Gottesdienst, predigen, taufen und spenden das heilige Abendmal, wo kein Oberpriester ist. Die Lehrer und Diakonen sind Gehilfen der Priester, aber nicht zur Handauflegung und Austheilung der Sacramente berechtigt. Schließlich sei zu diesem Bericht über die Gliederung der Mormonen- priesterschast noch bemerkt, daß es künftig auch Priesterinnen geben wird, und dnß nach dem Glauben der Secte, sobald der Tempel vollendet ist, zahlreiche Nachkommen Levis den Mormonen beitreten und daß dieselben dann außer ^n jetzt von der aaronischen Priesterschaft besorgten Geschäften auch den Grenzboten it. 1871. 112

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/337>, abgerufen am 06.02.2025.