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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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versuchen. -- "Und Sie" sagte darauf der Delegirte zu mir, "könnten die
..Haushaltung" zweier Lazarethe übernehmen, da Sie Französisch können
und ohne Zweifel auch im decimalen Münz- und Gewichtwesen bewandert
sind. Es steht nämlich da so: Wir haben die zwei nebeneinanderliegenden
Schlösser, etwa vier Meilen von der Stadt, zu zwei Spitälern für Kranke
d. h. für Fieber- und Ruhrkranke gemacht, welche die Schwerkrankenlazarethe
verlassen und sich hier herstellen, ehe sie in ihr Regiment zurückkehren. Es sind
außer dem "Verwalter" noch einige "Krankenpfleger" da; aber der
Chirurg beklagt sich immer darüber, wie schlecht die Nahrung für die Kran¬
ken zubereitet wird; und auch die Spitäler sehen traurig aus, da es an weib¬
licher Einwirkung fehlt, um System, Ordnung und Reinlichkeit hinein zu
bringen; wollen Sie das übernehmen?" "Gewiß, wenigstens will ich mein
Bestes versuchen," antwortete ich. "Sie kommen mir beide wie gerufen," sagte
er dann, "denn ich war in großer Verlegenheit, die richtigen Frauen zu fin¬
den, und diesen Morgen schrieb ich in meiner Verzweiflung nach Berlin. Doch
jetzt ist alles gut. Morgen kommt der "Verwalter" um Sie zu holen und
nach Bellegarde zu fahren, wo ich Sie morgen besuchen werde, um nachzusehen,
ob Sie auch gut und bequem einlogirt sind."

Unsere Wirthe, Monsieur und Madame Herbert, waren ein neuverhei-
rathetes Paar, "dessen Flitterwochen durch die Ankunft as ces briMiiäs 6e
?rü88ion8 gestört worden waren." Der Mann, Imitier as son peat, dachte
die Occupation würde nur von kurzer Dauer sein und blieb daher auf seinem
Posten; aber als er die gegentheiligen Gerüchte aus den Zeitungen vernahm,
schickte er seine junge Frau zu ihrer Mutter, die in einem so entlegenen Dorfe
wohnte, daß, wie er dachte, die Preußen es wohl nie erreichen würden. Je¬
doch selbst dieser entlegene District blieb von den Ulanen nicht verschont. "Ich
würde viel besser daran gethan haben, zu Hause zu bleiben" sagte Frau Her¬
bert; "denn mein Mann, der Officiere zur Einquartierung bekam, mußte sich
eine Frau miethen, die kochte und das Haus reinigte. Meine Mutter und
ich lebten währenddessen in steter Furcht und Angst, denn wir waren ganz
allein in ihrem kleinen Hause." "Und wie benahmen sich die "Brigands"
fragte ich? "In der Nacht als sie ankamen, nahmen 40 unsere Küche in Be¬
schlag; wir saßen zitternd in einem der oberen Zimmer. Plötzlich kam ein
Unterofficier herauf, klopfte an unsere Thüre, streckte seinen Kopf herein und
rief nur: "Nix avoir peur, marum"/ dann verschwand er. Aber sie machten
solchen schrecklichen Lärm unten, daß wir nicht wagten zu Bette zu gehen.
Am nächsten Morgen kam der Feldwebel wieder. Als er meine Photographie
auf dem Kamine sah, ging er durch das Zimmer, nahm sie zu sich und als
^ sie ganz ruhig in seine Tasche steckte, sagteer: "Loutsmr, madame, merci!"
Dann ging er fort und mit ihm auch alle andern. -- "Und haben sie etwas


versuchen. — „Und Sie" sagte darauf der Delegirte zu mir, „könnten die
..Haushaltung" zweier Lazarethe übernehmen, da Sie Französisch können
und ohne Zweifel auch im decimalen Münz- und Gewichtwesen bewandert
sind. Es steht nämlich da so: Wir haben die zwei nebeneinanderliegenden
Schlösser, etwa vier Meilen von der Stadt, zu zwei Spitälern für Kranke
d. h. für Fieber- und Ruhrkranke gemacht, welche die Schwerkrankenlazarethe
verlassen und sich hier herstellen, ehe sie in ihr Regiment zurückkehren. Es sind
außer dem „Verwalter" noch einige „Krankenpfleger" da; aber der
Chirurg beklagt sich immer darüber, wie schlecht die Nahrung für die Kran¬
ken zubereitet wird; und auch die Spitäler sehen traurig aus, da es an weib¬
licher Einwirkung fehlt, um System, Ordnung und Reinlichkeit hinein zu
bringen; wollen Sie das übernehmen?" „Gewiß, wenigstens will ich mein
Bestes versuchen," antwortete ich. „Sie kommen mir beide wie gerufen," sagte
er dann, „denn ich war in großer Verlegenheit, die richtigen Frauen zu fin¬
den, und diesen Morgen schrieb ich in meiner Verzweiflung nach Berlin. Doch
jetzt ist alles gut. Morgen kommt der „Verwalter" um Sie zu holen und
nach Bellegarde zu fahren, wo ich Sie morgen besuchen werde, um nachzusehen,
ob Sie auch gut und bequem einlogirt sind."

Unsere Wirthe, Monsieur und Madame Herbert, waren ein neuverhei-
rathetes Paar, „dessen Flitterwochen durch die Ankunft as ces briMiiäs 6e
?rü88ion8 gestört worden waren." Der Mann, Imitier as son peat, dachte
die Occupation würde nur von kurzer Dauer sein und blieb daher auf seinem
Posten; aber als er die gegentheiligen Gerüchte aus den Zeitungen vernahm,
schickte er seine junge Frau zu ihrer Mutter, die in einem so entlegenen Dorfe
wohnte, daß, wie er dachte, die Preußen es wohl nie erreichen würden. Je¬
doch selbst dieser entlegene District blieb von den Ulanen nicht verschont. „Ich
würde viel besser daran gethan haben, zu Hause zu bleiben" sagte Frau Her¬
bert; „denn mein Mann, der Officiere zur Einquartierung bekam, mußte sich
eine Frau miethen, die kochte und das Haus reinigte. Meine Mutter und
ich lebten währenddessen in steter Furcht und Angst, denn wir waren ganz
allein in ihrem kleinen Hause." „Und wie benahmen sich die „Brigands"
fragte ich? „In der Nacht als sie ankamen, nahmen 40 unsere Küche in Be¬
schlag; wir saßen zitternd in einem der oberen Zimmer. Plötzlich kam ein
Unterofficier herauf, klopfte an unsere Thüre, streckte seinen Kopf herein und
rief nur: „Nix avoir peur, marum«/ dann verschwand er. Aber sie machten
solchen schrecklichen Lärm unten, daß wir nicht wagten zu Bette zu gehen.
Am nächsten Morgen kam der Feldwebel wieder. Als er meine Photographie
auf dem Kamine sah, ging er durch das Zimmer, nahm sie zu sich und als
^ sie ganz ruhig in seine Tasche steckte, sagteer: „Loutsmr, madame, merci!"
Dann ging er fort und mit ihm auch alle andern. — „Und haben sie etwas


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/307>, abgerufen am 06.02.2025.