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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Übung der militärischen Corps beschäftigte, welche das Territorium vertheidigen
sollten. Bald war in Folge dessen die Legion wieder organisirt, und im
Stillen wirkte, wie behauptet wird, auch die "Große Wurfschaufel" wieder,
die jetzt den Namen der "Gideonsbrüder" führen soll.

Mit den Indianern, welche den Nordosten von Utah bewohnten, hatten
die Mormonen wiederholt zu kämpfen. Der Punkt, wo diese sich zuerst nieder¬
ließen, lag auf den "Kriegsgründen" der Wurzelgräber (liook-viggors) und
somit auf niemand gehörigem Boden, Als die Eingewanderten sich aber wei¬
ter nach Süden und Norden ausbreiteten, kamen sie auf Stellen, welche die
Indianer als ihr Eigenthum betrachteten. Die Shoshones drohten mit einem
Angriffe, überlegten sich's aber dann eines Bessern und hielten Frieden. Die
Utahs zeigten sich bösartiger, beraubten einzelne Farmhäuser, erschossen mehrere
Stücke Vieh und nöthigten endlich die Kolonisten der Gegend zur Flucht.
Nachdem man sie vom Hauptquartier der Seete aus vergeblich durch gütliche
Mittel davon abzubringen versucht, wurden sie mit den Waffen zur Raison
gebracht, wobei viele derselben umkamen. Im nächsten Winter bedurften die
Rothhäute eine neue Züchtigung, die ihnen denn so gründlich zu Theil wurde,
daß sie auf geraume Zeit Vernunft annahmen. Der Versuch aber, sie an ein
civilisirtes Leben zu gewöhnen, schlug gänzlich fehl, und das mußte den
Heiligen besonders schmerzlich sein, da die Indianer, nach dem Buche Mor-
mons und der Lehre Smiths, Nachkommen des auserwählten Volkes und ein
zwar von Gott abgefallenes, aber der Barmherzigkeit des Himmels noch nicht
entrücktes Geschlecht sind, welches vielmehr meist sich zur wahren Kirche be¬
kehren und dann in sein Erbtheil wieder eingesetzt werden wird. Sogar ihre
schmutzig rothe Hautfarbe wird sich dann ändern und einer schönen weißen
Platz machen, heißt es in der betreffenden Offenbarung.

Inzwischen wuchs die Stadt am Salzsee immer mehr und enthielt auch
mehrere öffentliche Gebäude, ein "Tabernakel", wo bis zue Vollendung eines
neuen großen Tempels der Gottesdienst abgehalten wurde, einen "Speicher
des Herrn" für die Zehnten der Gemeine, eine Gerichtshalle und ein State-
house, endlich sogar ein Ballhaus und ein Theater.

Als die Mormonen sich auf diese Weise in der neuen Heimath vorläufig
eingerichtet hatten, trat Zoung mit einer Neuerung hervor, welche für das
Schicksal der Seete verhängnißvoll werden sollte: er erklärte die Polygamie
auf Grund der oben erwähnten Offenbarung Joseph Smith's vom Jahre 1843
nicht nur für erlaubt, sondern für ein Mittel, höhere Seligkeit zu gewinnen.
Das war allerdings nur in so fern etwas Neues, als diese Lehre bis dahin
nur im Kreise der am tiefsten in die Geheimnisse der Seete Eingeweihten be¬
kannt gewesen und nur von einzelnen Aposteln und Aeltesten befolgt worden
war, während sie jetzt in die Oeffentlichkeit trat.


Übung der militärischen Corps beschäftigte, welche das Territorium vertheidigen
sollten. Bald war in Folge dessen die Legion wieder organisirt, und im
Stillen wirkte, wie behauptet wird, auch die „Große Wurfschaufel" wieder,
die jetzt den Namen der „Gideonsbrüder" führen soll.

Mit den Indianern, welche den Nordosten von Utah bewohnten, hatten
die Mormonen wiederholt zu kämpfen. Der Punkt, wo diese sich zuerst nieder¬
ließen, lag auf den „Kriegsgründen" der Wurzelgräber (liook-viggors) und
somit auf niemand gehörigem Boden, Als die Eingewanderten sich aber wei¬
ter nach Süden und Norden ausbreiteten, kamen sie auf Stellen, welche die
Indianer als ihr Eigenthum betrachteten. Die Shoshones drohten mit einem
Angriffe, überlegten sich's aber dann eines Bessern und hielten Frieden. Die
Utahs zeigten sich bösartiger, beraubten einzelne Farmhäuser, erschossen mehrere
Stücke Vieh und nöthigten endlich die Kolonisten der Gegend zur Flucht.
Nachdem man sie vom Hauptquartier der Seete aus vergeblich durch gütliche
Mittel davon abzubringen versucht, wurden sie mit den Waffen zur Raison
gebracht, wobei viele derselben umkamen. Im nächsten Winter bedurften die
Rothhäute eine neue Züchtigung, die ihnen denn so gründlich zu Theil wurde,
daß sie auf geraume Zeit Vernunft annahmen. Der Versuch aber, sie an ein
civilisirtes Leben zu gewöhnen, schlug gänzlich fehl, und das mußte den
Heiligen besonders schmerzlich sein, da die Indianer, nach dem Buche Mor-
mons und der Lehre Smiths, Nachkommen des auserwählten Volkes und ein
zwar von Gott abgefallenes, aber der Barmherzigkeit des Himmels noch nicht
entrücktes Geschlecht sind, welches vielmehr meist sich zur wahren Kirche be¬
kehren und dann in sein Erbtheil wieder eingesetzt werden wird. Sogar ihre
schmutzig rothe Hautfarbe wird sich dann ändern und einer schönen weißen
Platz machen, heißt es in der betreffenden Offenbarung.

Inzwischen wuchs die Stadt am Salzsee immer mehr und enthielt auch
mehrere öffentliche Gebäude, ein „Tabernakel", wo bis zue Vollendung eines
neuen großen Tempels der Gottesdienst abgehalten wurde, einen „Speicher
des Herrn" für die Zehnten der Gemeine, eine Gerichtshalle und ein State-
house, endlich sogar ein Ballhaus und ein Theater.

Als die Mormonen sich auf diese Weise in der neuen Heimath vorläufig
eingerichtet hatten, trat Zoung mit einer Neuerung hervor, welche für das
Schicksal der Seete verhängnißvoll werden sollte: er erklärte die Polygamie
auf Grund der oben erwähnten Offenbarung Joseph Smith's vom Jahre 1843
nicht nur für erlaubt, sondern für ein Mittel, höhere Seligkeit zu gewinnen.
Das war allerdings nur in so fern etwas Neues, als diese Lehre bis dahin
nur im Kreise der am tiefsten in die Geheimnisse der Seete Eingeweihten be¬
kannt gewesen und nur von einzelnen Aposteln und Aeltesten befolgt worden
war, während sie jetzt in die Oeffentlichkeit trat.


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[0299] Übung der militärischen Corps beschäftigte, welche das Territorium vertheidigen sollten. Bald war in Folge dessen die Legion wieder organisirt, und im Stillen wirkte, wie behauptet wird, auch die „Große Wurfschaufel" wieder, die jetzt den Namen der „Gideonsbrüder" führen soll. Mit den Indianern, welche den Nordosten von Utah bewohnten, hatten die Mormonen wiederholt zu kämpfen. Der Punkt, wo diese sich zuerst nieder¬ ließen, lag auf den „Kriegsgründen" der Wurzelgräber (liook-viggors) und somit auf niemand gehörigem Boden, Als die Eingewanderten sich aber wei¬ ter nach Süden und Norden ausbreiteten, kamen sie auf Stellen, welche die Indianer als ihr Eigenthum betrachteten. Die Shoshones drohten mit einem Angriffe, überlegten sich's aber dann eines Bessern und hielten Frieden. Die Utahs zeigten sich bösartiger, beraubten einzelne Farmhäuser, erschossen mehrere Stücke Vieh und nöthigten endlich die Kolonisten der Gegend zur Flucht. Nachdem man sie vom Hauptquartier der Seete aus vergeblich durch gütliche Mittel davon abzubringen versucht, wurden sie mit den Waffen zur Raison gebracht, wobei viele derselben umkamen. Im nächsten Winter bedurften die Rothhäute eine neue Züchtigung, die ihnen denn so gründlich zu Theil wurde, daß sie auf geraume Zeit Vernunft annahmen. Der Versuch aber, sie an ein civilisirtes Leben zu gewöhnen, schlug gänzlich fehl, und das mußte den Heiligen besonders schmerzlich sein, da die Indianer, nach dem Buche Mor- mons und der Lehre Smiths, Nachkommen des auserwählten Volkes und ein zwar von Gott abgefallenes, aber der Barmherzigkeit des Himmels noch nicht entrücktes Geschlecht sind, welches vielmehr meist sich zur wahren Kirche be¬ kehren und dann in sein Erbtheil wieder eingesetzt werden wird. Sogar ihre schmutzig rothe Hautfarbe wird sich dann ändern und einer schönen weißen Platz machen, heißt es in der betreffenden Offenbarung. Inzwischen wuchs die Stadt am Salzsee immer mehr und enthielt auch mehrere öffentliche Gebäude, ein „Tabernakel", wo bis zue Vollendung eines neuen großen Tempels der Gottesdienst abgehalten wurde, einen „Speicher des Herrn" für die Zehnten der Gemeine, eine Gerichtshalle und ein State- house, endlich sogar ein Ballhaus und ein Theater. Als die Mormonen sich auf diese Weise in der neuen Heimath vorläufig eingerichtet hatten, trat Zoung mit einer Neuerung hervor, welche für das Schicksal der Seete verhängnißvoll werden sollte: er erklärte die Polygamie auf Grund der oben erwähnten Offenbarung Joseph Smith's vom Jahre 1843 nicht nur für erlaubt, sondern für ein Mittel, höhere Seligkeit zu gewinnen. Das war allerdings nur in so fern etwas Neues, als diese Lehre bis dahin nur im Kreise der am tiefsten in die Geheimnisse der Seete Eingeweihten be¬ kannt gewesen und nur von einzelnen Aposteln und Aeltesten befolgt worden war, während sie jetzt in die Oeffentlichkeit trat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/299>, abgerufen am 06.02.2025.