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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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halten. Aber der Glaube, der die Schrecken der Wanderung durch die Wüste
überwunden, blieb auch in dieser Versuchung siegreich. Nur einige Hunderte
gingen, und diesen ertheilte man den freundlichen Rath, sich auf Nimmer¬
wiederkehr zu verabschieden.

Als für die ersten Bedürfnisse gesorgt war, wurde zur Regelung des
Verhältnisses der Mormonenkirche zu den Vereinigten Staaten geschritten.
Houng berief im März 1849 eine verfassunggebende Versammlung in die
Stadt am Salzsee, und dieselbe faßte den Beschluß, "eine freie und unab¬
hängige Regierung unter dem Namen des Staates Deseret*) zu errichten,
und entwarf eine Verfassung, welche diesem Staate ein Stück Californiens
zutheilte, das bis an die Küste des Stillen Oceans reichte. Sodann ordnete
dieser Verfassungsentwurf die Wahl eines Senats und eines Repräsentanten¬
hauses, eines Gouverneurs und anderer Staatsbeamten, wie sie die andern
Glieder der Union haben, an, sowie die Vereidigung derselben auf die Ver¬
fassung der Vereinigten Staaten. Endlich untersagte er das Halten von
Sclaven innerhalb der Grenzen von Deseret.

Diese Verfassung ließ man, obwohl sie noch der Genehmigung in Washing¬
ton bedürfte, sogleich in Kraft treten. Bourg wurde als erster Präsident
der Kirche zum Gouverneur, der Nächste in der mormonischen Hierarchie zum
Vicegouverneur, das dritte Mitglied der Präsidentschaft zum Staatssecretär
ernannt, und so war bis auf Weiteres die Theodemokratie fertig, welche zu
allen Zeiten das Ideal der Mormonenführer gewesen war. Die Central-
regierung und der Kongreß gingen indeß darauf nicht ein. Sie lehnten die
Anerkennung der Ansiedlergenossenschaft am Salzsee als eines Staates ab
und organisirten dafür nur ein Territorium, welches Utah, nicht Deseret
heißen sollte. Sie steckten endlich die Grenzen von Utah erheblich enger ab,
als die Mormonen gewünscht hatten, und entzogen ihnen namentlich die in
Anspruch genommene Küstenstrecke. Im October 1850 ernannte dann der
Präsident Fillmore die Beamten für die Regierung des neuen Territoriums,
sieben an der Zahl, von denen außer Uoung, den er zum Gouverneur be¬
stimmte, noch drei aus der Mitte der Mormonen selbst genommen waren.

Im Herbst 1851 trat die erste Versammlung zusammen, die ein Gesetz¬
buch annahm, welches sich nur dadurch wesentlich von denen der nördlichen
Staaten der Union unterschied, daß es keine Strafen für Bigamie kannte,
daß es nach den Grundsätzen, die der Prophet Smith bei seiner Candidatur
für den Präsidentenstuhl in Washington ausgesprochen, andere schwere Ver¬
brechen nicht mit Zuchthaus, sondern mit Zwangsarbeit an öffentlichen Bau¬
ten ahndete, und daß es sich sehr eingehend mit der Errichtung und Ein-



") Deseret "heißt im Neuägyptischen," der heutigen Sprache der Mormonen, die Honig¬
biene, die auch im Wappen des Territoriums figurirt.

halten. Aber der Glaube, der die Schrecken der Wanderung durch die Wüste
überwunden, blieb auch in dieser Versuchung siegreich. Nur einige Hunderte
gingen, und diesen ertheilte man den freundlichen Rath, sich auf Nimmer¬
wiederkehr zu verabschieden.

Als für die ersten Bedürfnisse gesorgt war, wurde zur Regelung des
Verhältnisses der Mormonenkirche zu den Vereinigten Staaten geschritten.
Houng berief im März 1849 eine verfassunggebende Versammlung in die
Stadt am Salzsee, und dieselbe faßte den Beschluß, „eine freie und unab¬
hängige Regierung unter dem Namen des Staates Deseret*) zu errichten,
und entwarf eine Verfassung, welche diesem Staate ein Stück Californiens
zutheilte, das bis an die Küste des Stillen Oceans reichte. Sodann ordnete
dieser Verfassungsentwurf die Wahl eines Senats und eines Repräsentanten¬
hauses, eines Gouverneurs und anderer Staatsbeamten, wie sie die andern
Glieder der Union haben, an, sowie die Vereidigung derselben auf die Ver¬
fassung der Vereinigten Staaten. Endlich untersagte er das Halten von
Sclaven innerhalb der Grenzen von Deseret.

Diese Verfassung ließ man, obwohl sie noch der Genehmigung in Washing¬
ton bedürfte, sogleich in Kraft treten. Bourg wurde als erster Präsident
der Kirche zum Gouverneur, der Nächste in der mormonischen Hierarchie zum
Vicegouverneur, das dritte Mitglied der Präsidentschaft zum Staatssecretär
ernannt, und so war bis auf Weiteres die Theodemokratie fertig, welche zu
allen Zeiten das Ideal der Mormonenführer gewesen war. Die Central-
regierung und der Kongreß gingen indeß darauf nicht ein. Sie lehnten die
Anerkennung der Ansiedlergenossenschaft am Salzsee als eines Staates ab
und organisirten dafür nur ein Territorium, welches Utah, nicht Deseret
heißen sollte. Sie steckten endlich die Grenzen von Utah erheblich enger ab,
als die Mormonen gewünscht hatten, und entzogen ihnen namentlich die in
Anspruch genommene Küstenstrecke. Im October 1850 ernannte dann der
Präsident Fillmore die Beamten für die Regierung des neuen Territoriums,
sieben an der Zahl, von denen außer Uoung, den er zum Gouverneur be¬
stimmte, noch drei aus der Mitte der Mormonen selbst genommen waren.

Im Herbst 1851 trat die erste Versammlung zusammen, die ein Gesetz¬
buch annahm, welches sich nur dadurch wesentlich von denen der nördlichen
Staaten der Union unterschied, daß es keine Strafen für Bigamie kannte,
daß es nach den Grundsätzen, die der Prophet Smith bei seiner Candidatur
für den Präsidentenstuhl in Washington ausgesprochen, andere schwere Ver¬
brechen nicht mit Zuchthaus, sondern mit Zwangsarbeit an öffentlichen Bau¬
ten ahndete, und daß es sich sehr eingehend mit der Errichtung und Ein-



") Deseret „heißt im Neuägyptischen," der heutigen Sprache der Mormonen, die Honig¬
biene, die auch im Wappen des Territoriums figurirt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/298>, abgerufen am 06.02.2025.