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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Die in Nauvoo Zurückgebliebenen hatten Mitte Mai den eben fertig ge-
wordenen Tempel mit einem großen Feste eingeweiht, und daraufhin behaup¬
teten die Gegner, sie wollten in der Stadt bleiben. Pöbelrotten sammelten
sich, rückten gegen Nciuvoo mit Kanonen, beschossen es und trieben die gesammte
Einwohnerschaft nach Iowa hinüber, von wo sie den vorausgegangenen
Brüdern nachzog. Die Stadt verfiel, und ist noch heute ein unbedeutender
Ort. Der Tempel wurde, nachdem die Jesuiten von Se. Louis in Verhand¬
lungen eingetreten waren, um ihn zu einem Seminar anzukaufen, im Novem¬
ber 1848 von einem Nichtswürdigen in Brand gesteckt und bis auf die
Außenwände vom Feuer verzehrt. Später erwarb der Communist Cabet die
Ruinen für die Jcarier, mit denen er hierher ausgewandert war, und eben
war man dabei, den Tempel in eine Phalanstere umzubauen, als im Mai
1850 ein furchtbarer Orkan die stehengebliebenen Mauern desselben zum
größern Theil niederwarf. Der metallne Engel mit der Posaune oben, welcher die
Thurmspitze des Gebäudes als Wetterfahne geschmückt hatte, wird jetzt in
Barnums Newyorker Raritäten-Museum gezeigt.

Die nach dem fernen Westen abgezogenen Mormonen blieben monate¬
lang so gut wie verschollen. Endlich erfuhr man, daß sie nach unsäglichen
Leiden und nach Ueberwindung von tausend Hindernissen, die ihnen die Winter¬
stürme, die furchtbare Sommersgluth und die tödtliche Fieberluft dieser un¬
wirthlichen Gegend, sowie die Raubsucht der dort hausenden Jndianerstämme
bereitet, ihr Ziel, das Becken des großen Salzsee's im Lande der Utahs
erreicht und sich dort angesiedelt hatten. Der Vortrab der Emigranten kam
in der vorletzten Juniwoche des Jahres 1847 hier an, und einer der nächsten
Tage sah nun den Propheten der Heiligen den Boden segnen, wo der Grund
Zu einem dritten "Neujerusalem im Westen" gelegt wurde. Im folgenden
Jahre trafen die Uebrigen, die in verschiedenen Lagern am obern Missouri
den Winter verbracht hatten, ebenfalls in Utah ein, und bald erhob sich nun
wieder in der Wildniß unter den Schneegipfeln des Gebirges eine Stadt, der
später in andern günstig gelegenen Thälern des Landes eine Anzahl anderer
kleinerer Ansiedlungen folgten. Man errichtete ein Fort zum Schutz gegen
die Rothhäute, legte eine Anzahl Mahl- und Sägemühlen an, machte den
Anfang mit Herstellung verschiedener Straßen, bäumte einen Fluß ein und
bestellte weite Strecken des Prairiebodens mit Getreide. Eine schwere Heim¬
suchung durch Heuschreckenschwärme wurde mit dem Beistand von Möven
überwunden, die, wie die Chronisten der Secte sagen, "von der Kraft des
Gebetes" herbeigeführt wurden, um die gefräßigen Jnsecten zu vertilgen. Eine
andere Prüfung kam über die Heiligen mit der Entdeckung des Goldes im
benachbarten Californien. Die Lockung war stark, die Führer der Kirche
hatten Mühe, ihr Volk durch Ermahnungen und Warnungen zusammenzu-


Grenzbotm II. 1871. 107

Die in Nauvoo Zurückgebliebenen hatten Mitte Mai den eben fertig ge-
wordenen Tempel mit einem großen Feste eingeweiht, und daraufhin behaup¬
teten die Gegner, sie wollten in der Stadt bleiben. Pöbelrotten sammelten
sich, rückten gegen Nciuvoo mit Kanonen, beschossen es und trieben die gesammte
Einwohnerschaft nach Iowa hinüber, von wo sie den vorausgegangenen
Brüdern nachzog. Die Stadt verfiel, und ist noch heute ein unbedeutender
Ort. Der Tempel wurde, nachdem die Jesuiten von Se. Louis in Verhand¬
lungen eingetreten waren, um ihn zu einem Seminar anzukaufen, im Novem¬
ber 1848 von einem Nichtswürdigen in Brand gesteckt und bis auf die
Außenwände vom Feuer verzehrt. Später erwarb der Communist Cabet die
Ruinen für die Jcarier, mit denen er hierher ausgewandert war, und eben
war man dabei, den Tempel in eine Phalanstere umzubauen, als im Mai
1850 ein furchtbarer Orkan die stehengebliebenen Mauern desselben zum
größern Theil niederwarf. Der metallne Engel mit der Posaune oben, welcher die
Thurmspitze des Gebäudes als Wetterfahne geschmückt hatte, wird jetzt in
Barnums Newyorker Raritäten-Museum gezeigt.

Die nach dem fernen Westen abgezogenen Mormonen blieben monate¬
lang so gut wie verschollen. Endlich erfuhr man, daß sie nach unsäglichen
Leiden und nach Ueberwindung von tausend Hindernissen, die ihnen die Winter¬
stürme, die furchtbare Sommersgluth und die tödtliche Fieberluft dieser un¬
wirthlichen Gegend, sowie die Raubsucht der dort hausenden Jndianerstämme
bereitet, ihr Ziel, das Becken des großen Salzsee's im Lande der Utahs
erreicht und sich dort angesiedelt hatten. Der Vortrab der Emigranten kam
in der vorletzten Juniwoche des Jahres 1847 hier an, und einer der nächsten
Tage sah nun den Propheten der Heiligen den Boden segnen, wo der Grund
Zu einem dritten „Neujerusalem im Westen" gelegt wurde. Im folgenden
Jahre trafen die Uebrigen, die in verschiedenen Lagern am obern Missouri
den Winter verbracht hatten, ebenfalls in Utah ein, und bald erhob sich nun
wieder in der Wildniß unter den Schneegipfeln des Gebirges eine Stadt, der
später in andern günstig gelegenen Thälern des Landes eine Anzahl anderer
kleinerer Ansiedlungen folgten. Man errichtete ein Fort zum Schutz gegen
die Rothhäute, legte eine Anzahl Mahl- und Sägemühlen an, machte den
Anfang mit Herstellung verschiedener Straßen, bäumte einen Fluß ein und
bestellte weite Strecken des Prairiebodens mit Getreide. Eine schwere Heim¬
suchung durch Heuschreckenschwärme wurde mit dem Beistand von Möven
überwunden, die, wie die Chronisten der Secte sagen, „von der Kraft des
Gebetes" herbeigeführt wurden, um die gefräßigen Jnsecten zu vertilgen. Eine
andere Prüfung kam über die Heiligen mit der Entdeckung des Goldes im
benachbarten Californien. Die Lockung war stark, die Führer der Kirche
hatten Mühe, ihr Volk durch Ermahnungen und Warnungen zusammenzu-


Grenzbotm II. 1871. 107
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/297>, abgerufen am 06.02.2025.