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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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wickelten sich förmliche Gefechte, und nun schritt der Staat ein, und der
Gouverneur Lilburn Bogh nahm entschieden Partei gegen die verhaßte Seete.
Die Miliz wurde in der Stärke von ungefähr 10,000 Mann aufgeboten, der
Widerstand der Mormonen niedergeschlagen, der Prophet mit einigen andern
Führern verhaftet, und die ganze übrige Mormonenschaft gezwungen, ohne
Verzug, obwohl der Winter nahe war, den Staat Missouri zu räumen. Eine
große Anzahl der Heiligen war bei diesen Vorgängen grausam umgebracht
worden. Andere erlagen den Mühseligkeiten und Entbehrungen des Zuges
durch die Wildniß, als sie sich nun nach dem Nachbarstaate Illinois wendeten.

Dieß war zu Ende des Jahres 1838 geschehen. In Illinois, wo die
Masse der Mormonen zunächst ein großes Lager bei Quinch am Mississippi
bezog, nahm man die Flüchtigen mit Wohlwollen auf, da man in dem noch
wenig bewohnten Staate fleißige Leute brauchen konnte, und darüber ihre
unbequemen Eigenschaften vergaß, und als Smith, im Frühling 1839 aus
dem Gefängniß in Missouri entwichen, bei den Seinen anlangte und bald
nachher das Städtchen Commerce zum Hauptquartier der Secte machte, ge¬
währte ihm die Legislatur Bedingungen, welche ihn und sein Volk fast un¬
abhängig von der Staatsbehörde hinstellten.

Waren die Mormonen eine Zeitlang in Missouri wohl gediehen, so ge¬
staltete sich ihre Lage in Illinois bald noch weit günstiger. Commerce, von
Smith in Nauvoo umgetauft, "was auf neuägyptisch die Schöne heißt," wurde
im Verlauf von vier Jahren aus einer schmutzigen Gruppe von Blockhütten
zu einer hübschen lebhaften Mittelstadt, und die benachbarte Prairie bedeckte
sich mit freundlichen Farmhäusern, gutbestellten Mais- und Weizenfeldern
und stattlichen Viehheerden, Massenhaft strömten Bekehrte nach dem neuen
Zion, jetzt auch aus England, wo die Apostel der Secte inzwischen besonders
in Wales und in den Fabrikdistricten von Lancashire bedeutenden Erfolg
gehabt hatten. Man schuf in der Stadtverfassung einen Staat im Staate,
und man gewann durch Errichtung einer wohlbewaffneten Legion ein kleines
Heer zur Stütze dieser Unabhängigkeit. Auf Befehl des Mormonengottes
begann man, einen prachtvollen Tempel zu bauen, der, als er fertig war, eine
halbe Million Dollars kostete. Ein anderer Befehl "des großen Jehova"
ordnete den Bau eines Gasthofs an und ernannte den Propheten, der bereits
Bürgermeister von Nauvoo und General der Legion war, zum Wirthe in
demselben, als welcher er und die Seinigen "auf ewige Zeiten" freie Wohnung
darin haben sollten. Noch nie war es den Mormonen so wohl geworden wie
in der Zeit nach den ersten drei oder vier Jahren ihres Aufenthalts in
Illinois.

Allmählig indeß erwies sich auch hier, daß eine Gemeinschaft von Men¬
schen wie die "Heiligen vom jüngsten Tage" sich auf die Dauer nicht mit


wickelten sich förmliche Gefechte, und nun schritt der Staat ein, und der
Gouverneur Lilburn Bogh nahm entschieden Partei gegen die verhaßte Seete.
Die Miliz wurde in der Stärke von ungefähr 10,000 Mann aufgeboten, der
Widerstand der Mormonen niedergeschlagen, der Prophet mit einigen andern
Führern verhaftet, und die ganze übrige Mormonenschaft gezwungen, ohne
Verzug, obwohl der Winter nahe war, den Staat Missouri zu räumen. Eine
große Anzahl der Heiligen war bei diesen Vorgängen grausam umgebracht
worden. Andere erlagen den Mühseligkeiten und Entbehrungen des Zuges
durch die Wildniß, als sie sich nun nach dem Nachbarstaate Illinois wendeten.

Dieß war zu Ende des Jahres 1838 geschehen. In Illinois, wo die
Masse der Mormonen zunächst ein großes Lager bei Quinch am Mississippi
bezog, nahm man die Flüchtigen mit Wohlwollen auf, da man in dem noch
wenig bewohnten Staate fleißige Leute brauchen konnte, und darüber ihre
unbequemen Eigenschaften vergaß, und als Smith, im Frühling 1839 aus
dem Gefängniß in Missouri entwichen, bei den Seinen anlangte und bald
nachher das Städtchen Commerce zum Hauptquartier der Secte machte, ge¬
währte ihm die Legislatur Bedingungen, welche ihn und sein Volk fast un¬
abhängig von der Staatsbehörde hinstellten.

Waren die Mormonen eine Zeitlang in Missouri wohl gediehen, so ge¬
staltete sich ihre Lage in Illinois bald noch weit günstiger. Commerce, von
Smith in Nauvoo umgetauft, „was auf neuägyptisch die Schöne heißt," wurde
im Verlauf von vier Jahren aus einer schmutzigen Gruppe von Blockhütten
zu einer hübschen lebhaften Mittelstadt, und die benachbarte Prairie bedeckte
sich mit freundlichen Farmhäusern, gutbestellten Mais- und Weizenfeldern
und stattlichen Viehheerden, Massenhaft strömten Bekehrte nach dem neuen
Zion, jetzt auch aus England, wo die Apostel der Secte inzwischen besonders
in Wales und in den Fabrikdistricten von Lancashire bedeutenden Erfolg
gehabt hatten. Man schuf in der Stadtverfassung einen Staat im Staate,
und man gewann durch Errichtung einer wohlbewaffneten Legion ein kleines
Heer zur Stütze dieser Unabhängigkeit. Auf Befehl des Mormonengottes
begann man, einen prachtvollen Tempel zu bauen, der, als er fertig war, eine
halbe Million Dollars kostete. Ein anderer Befehl „des großen Jehova"
ordnete den Bau eines Gasthofs an und ernannte den Propheten, der bereits
Bürgermeister von Nauvoo und General der Legion war, zum Wirthe in
demselben, als welcher er und die Seinigen „auf ewige Zeiten" freie Wohnung
darin haben sollten. Noch nie war es den Mormonen so wohl geworden wie
in der Zeit nach den ersten drei oder vier Jahren ihres Aufenthalts in
Illinois.

Allmählig indeß erwies sich auch hier, daß eine Gemeinschaft von Men¬
schen wie die „Heiligen vom jüngsten Tage" sich auf die Dauer nicht mit


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[0294] wickelten sich förmliche Gefechte, und nun schritt der Staat ein, und der Gouverneur Lilburn Bogh nahm entschieden Partei gegen die verhaßte Seete. Die Miliz wurde in der Stärke von ungefähr 10,000 Mann aufgeboten, der Widerstand der Mormonen niedergeschlagen, der Prophet mit einigen andern Führern verhaftet, und die ganze übrige Mormonenschaft gezwungen, ohne Verzug, obwohl der Winter nahe war, den Staat Missouri zu räumen. Eine große Anzahl der Heiligen war bei diesen Vorgängen grausam umgebracht worden. Andere erlagen den Mühseligkeiten und Entbehrungen des Zuges durch die Wildniß, als sie sich nun nach dem Nachbarstaate Illinois wendeten. Dieß war zu Ende des Jahres 1838 geschehen. In Illinois, wo die Masse der Mormonen zunächst ein großes Lager bei Quinch am Mississippi bezog, nahm man die Flüchtigen mit Wohlwollen auf, da man in dem noch wenig bewohnten Staate fleißige Leute brauchen konnte, und darüber ihre unbequemen Eigenschaften vergaß, und als Smith, im Frühling 1839 aus dem Gefängniß in Missouri entwichen, bei den Seinen anlangte und bald nachher das Städtchen Commerce zum Hauptquartier der Secte machte, ge¬ währte ihm die Legislatur Bedingungen, welche ihn und sein Volk fast un¬ abhängig von der Staatsbehörde hinstellten. Waren die Mormonen eine Zeitlang in Missouri wohl gediehen, so ge¬ staltete sich ihre Lage in Illinois bald noch weit günstiger. Commerce, von Smith in Nauvoo umgetauft, „was auf neuägyptisch die Schöne heißt," wurde im Verlauf von vier Jahren aus einer schmutzigen Gruppe von Blockhütten zu einer hübschen lebhaften Mittelstadt, und die benachbarte Prairie bedeckte sich mit freundlichen Farmhäusern, gutbestellten Mais- und Weizenfeldern und stattlichen Viehheerden, Massenhaft strömten Bekehrte nach dem neuen Zion, jetzt auch aus England, wo die Apostel der Secte inzwischen besonders in Wales und in den Fabrikdistricten von Lancashire bedeutenden Erfolg gehabt hatten. Man schuf in der Stadtverfassung einen Staat im Staate, und man gewann durch Errichtung einer wohlbewaffneten Legion ein kleines Heer zur Stütze dieser Unabhängigkeit. Auf Befehl des Mormonengottes begann man, einen prachtvollen Tempel zu bauen, der, als er fertig war, eine halbe Million Dollars kostete. Ein anderer Befehl „des großen Jehova" ordnete den Bau eines Gasthofs an und ernannte den Propheten, der bereits Bürgermeister von Nauvoo und General der Legion war, zum Wirthe in demselben, als welcher er und die Seinigen „auf ewige Zeiten" freie Wohnung darin haben sollten. Noch nie war es den Mormonen so wohl geworden wie in der Zeit nach den ersten drei oder vier Jahren ihres Aufenthalts in Illinois. Allmählig indeß erwies sich auch hier, daß eine Gemeinschaft von Men¬ schen wie die „Heiligen vom jüngsten Tage" sich auf die Dauer nicht mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/294>, abgerufen am 06.02.2025.