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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Nicht so glücklich wirthschafteten Smith und Rigdon in Kirtland, und
im Januar 1838 erlitt die von ihnen hier begründete Bank einen schmäh¬
lichen Bankerott, der dem Propheten gerathen erscheinen ließ, sich eiligst
aus dem Staube zu machen. Er ging nach Far West. Der größte Theil
der in Kirtland ansässigen Mormonen folgte ihm im nächsten Frühling in
großen Zügen, und von jetzt an war das westliche Missouri der Sammelplatz
der Secte, die in dieser Zeit hier gegen zwölftausend, in ganz Amerika aber
mindestens drei Mal so viele Mitglieder zählte.

Als Smith in Missouri eintraf, fand er diese "Kirche" in Verwirrung.
Allerlei zweideutige Persönlichkeiten hatten sich unter die "Heiligen" gemischt,
der Ehrgeiz der Führer hatte zu bitteren Zerwürfnissen geführt. Der Pro¬
phet war der Mann, Ordnung zu stiften, und so wurde sie gestiftet. Mehrere
der Schuldigen wurden von der Gemeinde ausgeschlossen. Für die Beseitigung
der falschen Jünger, die sich in dieselbe eingeschlichen, sorgte eine Art gehei¬
mer Polizei, welche "die Schaar der Daniten" oder, weil sie die Spreu vom
Weizen sondern sollte, "die große Wurfschaufel" hieß und starke Aehnlichkeit
mit den späteren polnischen Hängegendarmen gehabt zu haben scheint.

Weniger gut als die inneren Angelegenheiten wußte der Prophet die
auswärtigen zu ordnen. Auch in dieser Gegend Missouris hatten die Mor¬
monen das anfängliche Wohlwollen der Nachbarn allmählig verscherzt. Es
hieß, sie gedächten sich zunächst der Regierung in den Counties, die sie be¬
wohnten, und dann der Herrschaft im ganzen Staate zu bemächtigen, und sie
hätten erklärt, daß Smiths Offenbarungen über dem Gesetze des Landes stän¬
den. Rigdons Fanatismus riß ihn zu unüberlegten Predigten gegen ab¬
trünnige Mormonen hin, die, wie er sagte, gleich Judas Ischarioth behandelt
werden müßten, dessen Eingeweide die Apostel mit Füßen getreten hätten.
Bei der Feier der Unabhängigkeitserklärung Amerikas kündigte der wilde
Zelot in einem Vortrag, den man "die gesalzene Predigt" nannte, dem Staat
Missouri geradezu den Frieden auf, und rief Wehe über denselben im Namen
des Herrn. Die Folge dieser Reden und der mit denselben parallellaufenden
Hetzartikel in den Zeitungen der Secte war, daß die Nachbarn, die überdieß
über die "große Wurfschaufel," über gelegentliche Viehdiebstähle der Mormo¬
nen, über die ihnen nachgesagten geschlechtlichen Vergehen, Gaunereien u. d.,
namentlich aber wohl auch über das rasche Gedeihen der Secte ergrimmt waren,
ganz wie früher die Nachbarn auf dem andern Ufer des Missouri auf die
Austreibung derselben aus dem Staate dachten. Bei einer Wahl im Städt¬
chen Gallatin kam es zu einer blutigen Rauferei, in welcher die Mormonen
das Feld behaupteten. Sie durchzogen darauf die Umgebung des Ortes. Plün¬
derten die Häuser ihrer Gegner und brachten den Raub in den "Speicher des
Herrn" zu Far West. Die Antimormonen übten Vergeltung. Zuletzt ent-


Nicht so glücklich wirthschafteten Smith und Rigdon in Kirtland, und
im Januar 1838 erlitt die von ihnen hier begründete Bank einen schmäh¬
lichen Bankerott, der dem Propheten gerathen erscheinen ließ, sich eiligst
aus dem Staube zu machen. Er ging nach Far West. Der größte Theil
der in Kirtland ansässigen Mormonen folgte ihm im nächsten Frühling in
großen Zügen, und von jetzt an war das westliche Missouri der Sammelplatz
der Secte, die in dieser Zeit hier gegen zwölftausend, in ganz Amerika aber
mindestens drei Mal so viele Mitglieder zählte.

Als Smith in Missouri eintraf, fand er diese „Kirche" in Verwirrung.
Allerlei zweideutige Persönlichkeiten hatten sich unter die „Heiligen" gemischt,
der Ehrgeiz der Führer hatte zu bitteren Zerwürfnissen geführt. Der Pro¬
phet war der Mann, Ordnung zu stiften, und so wurde sie gestiftet. Mehrere
der Schuldigen wurden von der Gemeinde ausgeschlossen. Für die Beseitigung
der falschen Jünger, die sich in dieselbe eingeschlichen, sorgte eine Art gehei¬
mer Polizei, welche „die Schaar der Daniten" oder, weil sie die Spreu vom
Weizen sondern sollte, „die große Wurfschaufel" hieß und starke Aehnlichkeit
mit den späteren polnischen Hängegendarmen gehabt zu haben scheint.

Weniger gut als die inneren Angelegenheiten wußte der Prophet die
auswärtigen zu ordnen. Auch in dieser Gegend Missouris hatten die Mor¬
monen das anfängliche Wohlwollen der Nachbarn allmählig verscherzt. Es
hieß, sie gedächten sich zunächst der Regierung in den Counties, die sie be¬
wohnten, und dann der Herrschaft im ganzen Staate zu bemächtigen, und sie
hätten erklärt, daß Smiths Offenbarungen über dem Gesetze des Landes stän¬
den. Rigdons Fanatismus riß ihn zu unüberlegten Predigten gegen ab¬
trünnige Mormonen hin, die, wie er sagte, gleich Judas Ischarioth behandelt
werden müßten, dessen Eingeweide die Apostel mit Füßen getreten hätten.
Bei der Feier der Unabhängigkeitserklärung Amerikas kündigte der wilde
Zelot in einem Vortrag, den man „die gesalzene Predigt" nannte, dem Staat
Missouri geradezu den Frieden auf, und rief Wehe über denselben im Namen
des Herrn. Die Folge dieser Reden und der mit denselben parallellaufenden
Hetzartikel in den Zeitungen der Secte war, daß die Nachbarn, die überdieß
über die „große Wurfschaufel," über gelegentliche Viehdiebstähle der Mormo¬
nen, über die ihnen nachgesagten geschlechtlichen Vergehen, Gaunereien u. d.,
namentlich aber wohl auch über das rasche Gedeihen der Secte ergrimmt waren,
ganz wie früher die Nachbarn auf dem andern Ufer des Missouri auf die
Austreibung derselben aus dem Staate dachten. Bei einer Wahl im Städt¬
chen Gallatin kam es zu einer blutigen Rauferei, in welcher die Mormonen
das Feld behaupteten. Sie durchzogen darauf die Umgebung des Ortes. Plün¬
derten die Häuser ihrer Gegner und brachten den Raub in den „Speicher des
Herrn" zu Far West. Die Antimormonen übten Vergeltung. Zuletzt ent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/293>, abgerufen am 06.02.2025.