Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.Zitternd mein Haupt gen Himmel erheben und weinen und sterben! -- -- Angeregt durch diese echt Klopstock'schen "Nachtgedanken", "an dem frem¬ Drei auf einmal raubte dein Wink dem seligsten Bunde, Aber wenn er nun kam, so fand er sicher keinen, der gleich fühlte wie er. Von den Naturgaben, die Herder in den Briefen über Ossian von dem Naturgang wendet kein Aber und Wenn; Machte ihn nicht Alles zum naiven Volksdichter geschickt? Konnte er nicht Zu Anfang hatte er Romanzen gedichtet im Gleim'schen Stil, roh, bur¬ Zitternd mein Haupt gen Himmel erheben und weinen und sterben! — — Angeregt durch diese echt Klopstock'schen „Nachtgedanken", „an dem frem¬ Drei auf einmal raubte dein Wink dem seligsten Bunde, Aber wenn er nun kam, so fand er sicher keinen, der gleich fühlte wie er. Von den Naturgaben, die Herder in den Briefen über Ossian von dem Naturgang wendet kein Aber und Wenn; Machte ihn nicht Alles zum naiven Volksdichter geschickt? Konnte er nicht Zu Anfang hatte er Romanzen gedichtet im Gleim'schen Stil, roh, bur¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192328"/> <quote> Zitternd mein Haupt gen Himmel erheben und weinen und sterben! — —<lb/> Furchtbar, wie das Gericht, laß ab! die verstummende Seele<lb/> Faßt dich, Gedanke, nicht mehr!</quote><lb/> <p xml:id="ID_92"> Angeregt durch diese echt Klopstock'schen „Nachtgedanken", „an dem frem¬<lb/> den Feuer gewärmt/', dichtet nun der biedere, hausbackene Voß; die Schablone<lb/> bieten die antiken Elegiker; Ton und Bewegung sein deutsches Borbild. Weil<lb/> ihm nun die Verse gelingen in der Sprache, die „für ihn dichtet und denkt",<lb/> glaubt er Dichter zu sein; er ist Dichter der alten, vorherder'schen Zeit, nach<lb/> Herder nichts weiter als „ein wissenschaftlicher Reimer". Also Voß:</p><lb/> <quote> Drei auf einmal raubte dein Wink dem seligsten Bunde,<lb/> Meine Stolberg' euch, zärtlicher Clauswitz und dich. —<lb/> Und so entfliegen sie alle, von: schicksalschwangeren Wetter<lb/> Hierhin und dorthin wie Spreu unter die Himmel gestürmt. —<lb/> Hölty, du zögerst hier, des Liebenden ängstliches Zögern.<lb/> Ach! du lauschest nicht mehr Nachtigalltönen mit uns,<lb/> Angeblinkt vom grünlichen Schimmer der purpurnen Sonne<lb/> Hinter den Saaten! Der Lenz (1774) raubt dich und Cramer und<lb/> Hahn. —<lb/> Bürger, ich komme nicht mehr von lachenden Freunden begleitet,<lb/> Einsam komm ich und still unter dein ländliches Dach. —</quote><lb/> <p xml:id="ID_93"> Aber wenn er nun kam, so fand er sicher keinen, der gleich fühlte wie er.<lb/> Bürger hat nie in antiken Formen gedichtet. Ihm wollte sogar eine Ueber¬<lb/> setzung der Ilias in Hexametern als „das fatalste Geschleppe" und die „un¬<lb/> angenehmste Ohrenfolter" erscheinen. Sein Streben war nie die Vossische,<lb/> des Studiums bedürftige Dunkelheit und Gesuchtheit. Seit Herder's erstem<lb/> Fragment strebte er in allen seinen Schöpfungen nach der Unmittelbarkeit und Ge¬<lb/> meinverständlichkeit der Volkssprache.</p><lb/> <p xml:id="ID_94"> Von den Naturgaben, die Herder in den Briefen über Ossian von dem<lb/> echten Volkssänger erwartete, besaß er mächtig drängend die Sinnlichkeit.<lb/> Auch sie stand in schroffem Gegensatz zu den Göttingern, zu ihrem verstiege¬<lb/> nen, rigoristischen Tugendheldenthum. Man weiß, wie Bürger zu seinem Un¬<lb/> heil von dieser Sinnlichkeit fessellos, maßlos, fast dämonisch beherrscht ward.<lb/> Er war jedenfalls den „Schwächungen" der modernen Civilisation nicht er¬<lb/> legen.</p><lb/> <quote> Naturgang wendet kein Aber und Wenn;<lb/> O kalte Vcrnünftler, wie zwinget ihr denn,<lb/> Daß Liebe zu lieben verlernet?</quote><lb/> <p xml:id="ID_95"> Machte ihn nicht Alles zum naiven Volksdichter geschickt? Konnte er nicht<lb/> Herder's Ideal am besten verwirklichen?</p><lb/> <p xml:id="ID_96" next="#ID_97"> Zu Anfang hatte er Romanzen gedichtet im Gleim'schen Stil, roh, bur¬<lb/> lesk, voll von Obscönitäten, 1771 auf 1772: Die abenteuerliche, doch wahr-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
Zitternd mein Haupt gen Himmel erheben und weinen und sterben! — —
Furchtbar, wie das Gericht, laß ab! die verstummende Seele
Faßt dich, Gedanke, nicht mehr!
Angeregt durch diese echt Klopstock'schen „Nachtgedanken", „an dem frem¬
den Feuer gewärmt/', dichtet nun der biedere, hausbackene Voß; die Schablone
bieten die antiken Elegiker; Ton und Bewegung sein deutsches Borbild. Weil
ihm nun die Verse gelingen in der Sprache, die „für ihn dichtet und denkt",
glaubt er Dichter zu sein; er ist Dichter der alten, vorherder'schen Zeit, nach
Herder nichts weiter als „ein wissenschaftlicher Reimer". Also Voß:
Drei auf einmal raubte dein Wink dem seligsten Bunde,
Meine Stolberg' euch, zärtlicher Clauswitz und dich. —
Und so entfliegen sie alle, von: schicksalschwangeren Wetter
Hierhin und dorthin wie Spreu unter die Himmel gestürmt. —
Hölty, du zögerst hier, des Liebenden ängstliches Zögern.
Ach! du lauschest nicht mehr Nachtigalltönen mit uns,
Angeblinkt vom grünlichen Schimmer der purpurnen Sonne
Hinter den Saaten! Der Lenz (1774) raubt dich und Cramer und
Hahn. —
Bürger, ich komme nicht mehr von lachenden Freunden begleitet,
Einsam komm ich und still unter dein ländliches Dach. —
Aber wenn er nun kam, so fand er sicher keinen, der gleich fühlte wie er.
Bürger hat nie in antiken Formen gedichtet. Ihm wollte sogar eine Ueber¬
setzung der Ilias in Hexametern als „das fatalste Geschleppe" und die „un¬
angenehmste Ohrenfolter" erscheinen. Sein Streben war nie die Vossische,
des Studiums bedürftige Dunkelheit und Gesuchtheit. Seit Herder's erstem
Fragment strebte er in allen seinen Schöpfungen nach der Unmittelbarkeit und Ge¬
meinverständlichkeit der Volkssprache.
Von den Naturgaben, die Herder in den Briefen über Ossian von dem
echten Volkssänger erwartete, besaß er mächtig drängend die Sinnlichkeit.
Auch sie stand in schroffem Gegensatz zu den Göttingern, zu ihrem verstiege¬
nen, rigoristischen Tugendheldenthum. Man weiß, wie Bürger zu seinem Un¬
heil von dieser Sinnlichkeit fessellos, maßlos, fast dämonisch beherrscht ward.
Er war jedenfalls den „Schwächungen" der modernen Civilisation nicht er¬
legen.
Naturgang wendet kein Aber und Wenn;
O kalte Vcrnünftler, wie zwinget ihr denn,
Daß Liebe zu lieben verlernet?
Machte ihn nicht Alles zum naiven Volksdichter geschickt? Konnte er nicht
Herder's Ideal am besten verwirklichen?
Zu Anfang hatte er Romanzen gedichtet im Gleim'schen Stil, roh, bur¬
lesk, voll von Obscönitäten, 1771 auf 1772: Die abenteuerliche, doch wahr-
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