Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.O ihr, wem freie Seele Gott gab, Daß dergleichen schwülstige Tiraden bloße Grimasse und Anstellerei, Mum¬ Ganz Ramler ist der derbe, eckige Mecklenburger, der "sassische Bauer" Jene Nacht, in der die jugendlichen Deutschthümler in die breit verästele Urplötzlich trug uns feuriger Ungestüm Man begreift Herder's Abneigung gegen solche Poesie; man begreift den In antiken Distichen, also "classisch", besingt Boß die Wehmuth jener Ebert, was sind wir alsdann? O ihr, wem freie Seele Gott gab, Daß dergleichen schwülstige Tiraden bloße Grimasse und Anstellerei, Mum¬ Ganz Ramler ist der derbe, eckige Mecklenburger, der „sassische Bauer" Jene Nacht, in der die jugendlichen Deutschthümler in die breit verästele Urplötzlich trug uns feuriger Ungestüm Man begreift Herder's Abneigung gegen solche Poesie; man begreift den In antiken Distichen, also „classisch", besingt Boß die Wehmuth jener Ebert, was sind wir alsdann? <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0027" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192327"/> <quote> O ihr, wem freie Seele Gott gab,<lb/> Flammend in's eherne Herz gegraben.</quote><lb/> <p xml:id="ID_87"> Daß dergleichen schwülstige Tiraden bloße Grimasse und Anstellerei, Mum¬<lb/> merei und Lüge waren, hat das spätere Leben des Mannes bewiesen; er<lb/> ward „Höfling" wie einer und konnte endlich seiner erschlafften Seele nur<lb/> Festigkeit und Ruhe schaffen im altverbrieften Katholicismus.</p><lb/> <p xml:id="ID_88"> Ganz Ramler ist der derbe, eckige Mecklenburger, der „sassische Bauer"<lb/> Boß. Er machte seine Oden absichtlich dunkel: „Warum sollte die Poesie,<lb/> diese Schatzkammer der Sprache und erhabener Gedanken (!) nicht auch<lb/> Studium verdienen?" Und die Gedanken, die er in dieses Schema hinein¬<lb/> preßte, waren manchmal erstaunlich erhaben. Nein! dem Plattesten und Fa¬<lb/> desten verlieh der Wortschwall der poetisch aufgethürmten Umschreibung den<lb/> trügerischen Schein der Erhabenheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_89"> Jene Nacht, in der die jugendlichen Deutschthümler in die breit verästele<lb/> Krone einer deutschen Eiche kletterten, um sich Laub zur Bekränzung ihres<lb/> Bardenhauptes zu holen, in der sie dann also geschmückt um die „Bundes¬<lb/> eiche" tanzten, wird in einer Ode mit alkäischem Maß „poetisch" beschrieben;<lb/> etwa so:</p><lb/> <quote> Urplötzlich trug uns feuriger Ungestüm<lb/> Zum weiten Obdach, und von gccichcltcn<lb/> Laubkränzen all' umhüllt die Scheitel,<lb/> Fügten wir Bund mit getreuem Handschlag. —</quote><lb/> <p xml:id="ID_90"> Man begreift Herder's Abneigung gegen solche Poesie; man begreift den<lb/> Wunsch, dies geschraubte und doch hohle, platte Zeug durch das einfach „ge¬<lb/> sungene Lied" zu verdrängen.</p><lb/> <p xml:id="ID_91"> In antiken Distichen, also „classisch", besingt Boß die Wehmuth jener<lb/> Septembernacht des Jahres 1773, welche die beiden Stolberge und Claus¬<lb/> witz aus Göttingen entführte. Vorschwebt, wie es scheint, Klopstock's Ode<lb/> „an Ebert", in der er dem schwermuthsvollen, gewaltig in ihm lebenden Ge¬<lb/> danken nachhängt, was einst sein wird, wenn all die Freunde, all die Lieben:<lb/> der zärtliche Giseke, der redliche Cramer, der edelmüthige Gellert, der freie,<lb/> gesellige Rothe, der erfindende Schlegel, der geliebteste Schmidt nicht mehr<lb/> sein werden — wenn einschlummernd sich Vater Hagedorn entfernt, —</p><lb/> <quote> Ebert, was sind wir alsdann?<lb/> Stirbt dann auch Einer von uns, und bleibt nur Einer noch übrig;<lb/> Bin der Eine dann ich; — —<lb/> Hat mich dann auch die schon geliebt, die künftig mich liebet,<lb/> Ruhe auch sie in der Gruft---<lb/> Leitet den sterbenden Greis! Ich will mit behenden Fuße<lb/> Gehn, auf jegliches Grab<lb/> Eine Cypresse pflanzen — — — —</quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0027]
O ihr, wem freie Seele Gott gab,
Flammend in's eherne Herz gegraben.
Daß dergleichen schwülstige Tiraden bloße Grimasse und Anstellerei, Mum¬
merei und Lüge waren, hat das spätere Leben des Mannes bewiesen; er
ward „Höfling" wie einer und konnte endlich seiner erschlafften Seele nur
Festigkeit und Ruhe schaffen im altverbrieften Katholicismus.
Ganz Ramler ist der derbe, eckige Mecklenburger, der „sassische Bauer"
Boß. Er machte seine Oden absichtlich dunkel: „Warum sollte die Poesie,
diese Schatzkammer der Sprache und erhabener Gedanken (!) nicht auch
Studium verdienen?" Und die Gedanken, die er in dieses Schema hinein¬
preßte, waren manchmal erstaunlich erhaben. Nein! dem Plattesten und Fa¬
desten verlieh der Wortschwall der poetisch aufgethürmten Umschreibung den
trügerischen Schein der Erhabenheit.
Jene Nacht, in der die jugendlichen Deutschthümler in die breit verästele
Krone einer deutschen Eiche kletterten, um sich Laub zur Bekränzung ihres
Bardenhauptes zu holen, in der sie dann also geschmückt um die „Bundes¬
eiche" tanzten, wird in einer Ode mit alkäischem Maß „poetisch" beschrieben;
etwa so:
Urplötzlich trug uns feuriger Ungestüm
Zum weiten Obdach, und von gccichcltcn
Laubkränzen all' umhüllt die Scheitel,
Fügten wir Bund mit getreuem Handschlag. —
Man begreift Herder's Abneigung gegen solche Poesie; man begreift den
Wunsch, dies geschraubte und doch hohle, platte Zeug durch das einfach „ge¬
sungene Lied" zu verdrängen.
In antiken Distichen, also „classisch", besingt Boß die Wehmuth jener
Septembernacht des Jahres 1773, welche die beiden Stolberge und Claus¬
witz aus Göttingen entführte. Vorschwebt, wie es scheint, Klopstock's Ode
„an Ebert", in der er dem schwermuthsvollen, gewaltig in ihm lebenden Ge¬
danken nachhängt, was einst sein wird, wenn all die Freunde, all die Lieben:
der zärtliche Giseke, der redliche Cramer, der edelmüthige Gellert, der freie,
gesellige Rothe, der erfindende Schlegel, der geliebteste Schmidt nicht mehr
sein werden — wenn einschlummernd sich Vater Hagedorn entfernt, —
Ebert, was sind wir alsdann?
Stirbt dann auch Einer von uns, und bleibt nur Einer noch übrig;
Bin der Eine dann ich; — —
Hat mich dann auch die schon geliebt, die künftig mich liebet,
Ruhe auch sie in der Gruft---
Leitet den sterbenden Greis! Ich will mit behenden Fuße
Gehn, auf jegliches Grab
Eine Cypresse pflanzen — — — —
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