Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.Herder s Linwirliung auf die deutsche Lyrik von 177V-1775. Von E. Laas. (Fortsetzung.) Es ist kein Wunder, wenn diese Ansichten Herders eine radikale Umänderung Die Frühlingssonne will Alles beleben, überall regt sich Streben und Fade Anakreontiker, wüthige Barden, verzückte Seraphiker, die verschie¬ Einmal aufgeweckt durch des Frühlings holden, belebenden Blick, wer Den Umschwung veranschaulichen am deutlichsten Bürger und Goethe; Grenzboten II. 1871. 73
Herder s Linwirliung auf die deutsche Lyrik von 177V-1775. Von E. Laas. (Fortsetzung.) Es ist kein Wunder, wenn diese Ansichten Herders eine radikale Umänderung Die Frühlingssonne will Alles beleben, überall regt sich Streben und Fade Anakreontiker, wüthige Barden, verzückte Seraphiker, die verschie¬ Einmal aufgeweckt durch des Frühlings holden, belebenden Blick, wer Den Umschwung veranschaulichen am deutlichsten Bürger und Goethe; Grenzboten II. 1871. 73
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Herder s Linwirliung auf die deutsche Lyrik von
177V-1775.
Von E. Laas. (Fortsetzung.)
Es ist kein Wunder, wenn diese Ansichten Herders eine radikale Umänderung
des Tons und Ganges der Lyrik zur Folge hatten. Die beengenden Regeln sielen,
erlöst ward man von der schleppenden Steifheit und geschraubten Dunkelheit
der Horazischen Ode. Wenn es nun Talente gab, die dichterische Urkraft be¬
saßen, wie mußten die Blüthen keimen und aufbrechen! Und das Geforderte
und Erwartete geschah, es ging wirklich wie ein neuer Frühling durch Deutsch¬
lands Gauen.
Die Frühlingssonne will Alles beleben, überall regt sich Streben und
Bildung. Die linde, lebensträchtige Luft weckt Lerchen und Nachtigallen zu
holdem Gesänge. Die Menschen entweichen den dumpfen Gemächern; auch
Faust verläßt den tristen Bücherhaufen; unter dem Hauch der allbelebenden
Sonne wie neugeboren, jubelt die Seele mit den Vögeln um die Wette.
Fade Anakreontiker, wüthige Barden, verzückte Seraphiker, die verschie¬
densten Naturen versuchten es jetzt gleichmäßig mit seelenvollen, flugbaren
Liedern, die vielfach sofort mit der Melodie herausgesungen wurden oder bald
ihre Komponisten fanden. Da ertönten feurige, schwungvolle Hymnen, feier¬
liche und rührend ernste Romanzen. Und Alles ward gelehrter Mühsamkeit
entlastet; überall drang ein frischer, innig wahrer Naturton durch; die Sprache
ward sinnlich, lebhaft, herzig und anschaulich; die Gedichte, leichter geglie¬
dert, bewegten sich frei und keck; Alles erfreute durch einschmeichelnden, musika¬
lischen Tonfall.
Einmal aufgeweckt durch des Frühlings holden, belebenden Blick, wer
versuchte da nicht zu singen? Da ergriff es nicht bloß wirklich poetische Naturen,
wie I. G. Jacobi und den Maler Müller mit zauberischer Allgewalt,
daß sie die französirende Anakreonrik oder Klopstock'sche Grandezza aufgaben
und volksmäßig, schlicht und herzlich sangen. Auch so unpoetische und steife
Menschen wie der titanisch in die Höhe gereckte Dichter gräßlicher Sturm¬
und Drangstücke Kling er und viele schrullenhafte und aufgedunsene Klop-
stockianer, wie Fr. Stolberg und Voß, brachten es in der günstigen Mai¬
luft, die aus Herder's Schriften sie anwehte, zu innig empfundenen, liedmäßigen
Gesängen.
Den Umschwung veranschaulichen am deutlichsten Bürger und Goethe;
Bürger vorzüglich, wenn man ihn mit dem Göttinger Dichterbund vergleicht.
Bürger hatte als Göttinger Student in freundschaftlichem Verkehr mit dem
Grenzboten II. 1871. 73
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