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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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verständige Leute mit Feuer und Licht umgingen. Wo dies nicht könne ge¬
ändert werden, müßten in. gu. Herren sich nach einer gelegenerer Wohnung
umsehen. -- Zum andern ist es leider mit Martino, dem Sohne, dahin ge¬
rathen, daß er in großer Armuth ist, im Hause nichts hat, weder zu essen,
noch zu trinken, sich auch sonst sehr leichtfertig hält mit Saufen und viel
loses Gesinde an sich hängt. Er war erst der Meinung, es müßte Alles
vollauf aus meiner gu. H. Küchen und Keller gehen, das ich mit nicht ge¬
ringer Beschwer und Verbitterung habe abschaffen müssen, denn sonst meinen
gu. H. ein Großes aufgehen würde. Es geschehen dennoch allerlei Unterschleif,
das ich so genau nicht warten kann. Doctor Martinus und sein Gesinde
haben zu Küchen, Keller und anderen Gemächern doppelte Schlüssel, holen
des Nachts, was ihnen gefällt; habe Alles müssen lassen umändern!"

Am 7. Aug. schon zieht Küssow mit seinen gu. Herren aus dem Kloster
in Dr. Krucigers Haus -- "ein schön verschlossen Haus, das I. F. G. allein
inne haben und von Niemand gehindert werden; habe nach vieler fleißiger
gepflogener Verhandlung diese Behausung nicht wohlfeiler als um 120 Gul¬
den jährlich bekommen können. Wenn dies auch 20 Florin mehr Miethe ist,
so wird dies in der Haushaltung drei doppelt wiederum zu erholen sein.
Denn den Winter über müßten in. gu. Herren mit Essen, Trinken. Holz und
aller Nothdurft herhalten -- Martinus Lutherus hat jetztund nichts!"

Wie bitter weh es dem ehrlichen Christian Küssow und seinen jungen
Herzögen, die von Kindheit auf in Frömmigkeit und in höchster dankbarer
Verehrung für den großen Reformator Doctor Martin Luther erzogen sind,
durch die Seele schneidet, daß sie hier dessen Lieblingskind -- sein Martinchen --
so finden: ohne Amt, ohne Thätigkeit. -- in Noth und Elend und sittlicher
Verkommenheit -- ein schmarotzender Genosse von reichen ausländischen Stu¬
denten bei ihren ausschweifenden Gelagen und nächtlichen Straßentumulten! --

Viel Sorge und Noth machen dem biederen Hofmeister auch die theuren
Zeiten in Wittenberg und -- seine ewige Geldnoth! Wo sind die goldnen
Zeiten geblieben, wo ein solider Wittenberger Studiosus das ganze Jahr
mit 8 Goldgulden trefflich auskommen und ein flotter Student mit
16 Gulden jährlich Ig,utv -- prächtig leben konnte? -- Wo ein Pfund
Fleisch 4 Pfennige, eine Mandel Eier 3 Pf., ein Scheffel Korn 3 Gro¬
schen, ein Paar Schuhe 6 Gr., eine Kanne Wein 6 Pf. und eine Kanne
Bier gar nur 2 Pf. kosteten? Und doch blühte diese goldne Zeit noch vor
kaum 20 Jahren in Wittenberg: -- Kriegsnoth und Pest und Sittenverderb-
niß haben die Blüte des Wohlstandes gebrochen.

Luther ist todt--sein liebeszorniges Donnerwort gegen die wach¬
sende Sittenverderbniß und maßlose Ueppigkeit ist verstummt!


verständige Leute mit Feuer und Licht umgingen. Wo dies nicht könne ge¬
ändert werden, müßten in. gu. Herren sich nach einer gelegenerer Wohnung
umsehen. — Zum andern ist es leider mit Martino, dem Sohne, dahin ge¬
rathen, daß er in großer Armuth ist, im Hause nichts hat, weder zu essen,
noch zu trinken, sich auch sonst sehr leichtfertig hält mit Saufen und viel
loses Gesinde an sich hängt. Er war erst der Meinung, es müßte Alles
vollauf aus meiner gu. H. Küchen und Keller gehen, das ich mit nicht ge¬
ringer Beschwer und Verbitterung habe abschaffen müssen, denn sonst meinen
gu. H. ein Großes aufgehen würde. Es geschehen dennoch allerlei Unterschleif,
das ich so genau nicht warten kann. Doctor Martinus und sein Gesinde
haben zu Küchen, Keller und anderen Gemächern doppelte Schlüssel, holen
des Nachts, was ihnen gefällt; habe Alles müssen lassen umändern!"

Am 7. Aug. schon zieht Küssow mit seinen gu. Herren aus dem Kloster
in Dr. Krucigers Haus — „ein schön verschlossen Haus, das I. F. G. allein
inne haben und von Niemand gehindert werden; habe nach vieler fleißiger
gepflogener Verhandlung diese Behausung nicht wohlfeiler als um 120 Gul¬
den jährlich bekommen können. Wenn dies auch 20 Florin mehr Miethe ist,
so wird dies in der Haushaltung drei doppelt wiederum zu erholen sein.
Denn den Winter über müßten in. gu. Herren mit Essen, Trinken. Holz und
aller Nothdurft herhalten — Martinus Lutherus hat jetztund nichts!"

Wie bitter weh es dem ehrlichen Christian Küssow und seinen jungen
Herzögen, die von Kindheit auf in Frömmigkeit und in höchster dankbarer
Verehrung für den großen Reformator Doctor Martin Luther erzogen sind,
durch die Seele schneidet, daß sie hier dessen Lieblingskind — sein Martinchen —
so finden: ohne Amt, ohne Thätigkeit. — in Noth und Elend und sittlicher
Verkommenheit — ein schmarotzender Genosse von reichen ausländischen Stu¬
denten bei ihren ausschweifenden Gelagen und nächtlichen Straßentumulten! —

Viel Sorge und Noth machen dem biederen Hofmeister auch die theuren
Zeiten in Wittenberg und — seine ewige Geldnoth! Wo sind die goldnen
Zeiten geblieben, wo ein solider Wittenberger Studiosus das ganze Jahr
mit 8 Goldgulden trefflich auskommen und ein flotter Student mit
16 Gulden jährlich Ig,utv — prächtig leben konnte? — Wo ein Pfund
Fleisch 4 Pfennige, eine Mandel Eier 3 Pf., ein Scheffel Korn 3 Gro¬
schen, ein Paar Schuhe 6 Gr., eine Kanne Wein 6 Pf. und eine Kanne
Bier gar nur 2 Pf. kosteten? Und doch blühte diese goldne Zeit noch vor
kaum 20 Jahren in Wittenberg: — Kriegsnoth und Pest und Sittenverderb-
niß haben die Blüte des Wohlstandes gebrochen.

Luther ist todt--sein liebeszorniges Donnerwort gegen die wach¬
sende Sittenverderbniß und maßlose Ueppigkeit ist verstummt!


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[0023] verständige Leute mit Feuer und Licht umgingen. Wo dies nicht könne ge¬ ändert werden, müßten in. gu. Herren sich nach einer gelegenerer Wohnung umsehen. — Zum andern ist es leider mit Martino, dem Sohne, dahin ge¬ rathen, daß er in großer Armuth ist, im Hause nichts hat, weder zu essen, noch zu trinken, sich auch sonst sehr leichtfertig hält mit Saufen und viel loses Gesinde an sich hängt. Er war erst der Meinung, es müßte Alles vollauf aus meiner gu. H. Küchen und Keller gehen, das ich mit nicht ge¬ ringer Beschwer und Verbitterung habe abschaffen müssen, denn sonst meinen gu. H. ein Großes aufgehen würde. Es geschehen dennoch allerlei Unterschleif, das ich so genau nicht warten kann. Doctor Martinus und sein Gesinde haben zu Küchen, Keller und anderen Gemächern doppelte Schlüssel, holen des Nachts, was ihnen gefällt; habe Alles müssen lassen umändern!" Am 7. Aug. schon zieht Küssow mit seinen gu. Herren aus dem Kloster in Dr. Krucigers Haus — „ein schön verschlossen Haus, das I. F. G. allein inne haben und von Niemand gehindert werden; habe nach vieler fleißiger gepflogener Verhandlung diese Behausung nicht wohlfeiler als um 120 Gul¬ den jährlich bekommen können. Wenn dies auch 20 Florin mehr Miethe ist, so wird dies in der Haushaltung drei doppelt wiederum zu erholen sein. Denn den Winter über müßten in. gu. Herren mit Essen, Trinken. Holz und aller Nothdurft herhalten — Martinus Lutherus hat jetztund nichts!" Wie bitter weh es dem ehrlichen Christian Küssow und seinen jungen Herzögen, die von Kindheit auf in Frömmigkeit und in höchster dankbarer Verehrung für den großen Reformator Doctor Martin Luther erzogen sind, durch die Seele schneidet, daß sie hier dessen Lieblingskind — sein Martinchen — so finden: ohne Amt, ohne Thätigkeit. — in Noth und Elend und sittlicher Verkommenheit — ein schmarotzender Genosse von reichen ausländischen Stu¬ denten bei ihren ausschweifenden Gelagen und nächtlichen Straßentumulten! — Viel Sorge und Noth machen dem biederen Hofmeister auch die theuren Zeiten in Wittenberg und — seine ewige Geldnoth! Wo sind die goldnen Zeiten geblieben, wo ein solider Wittenberger Studiosus das ganze Jahr mit 8 Goldgulden trefflich auskommen und ein flotter Student mit 16 Gulden jährlich Ig,utv — prächtig leben konnte? — Wo ein Pfund Fleisch 4 Pfennige, eine Mandel Eier 3 Pf., ein Scheffel Korn 3 Gro¬ schen, ein Paar Schuhe 6 Gr., eine Kanne Wein 6 Pf. und eine Kanne Bier gar nur 2 Pf. kosteten? Und doch blühte diese goldne Zeit noch vor kaum 20 Jahren in Wittenberg: — Kriegsnoth und Pest und Sittenverderb- niß haben die Blüte des Wohlstandes gebrochen. Luther ist todt--sein liebeszorniges Donnerwort gegen die wach¬ sende Sittenverderbniß und maßlose Ueppigkeit ist verstummt!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/23>, abgerufen am 05.02.2025.