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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Eigenthümlichkeiten Ranke's erhöhen den Wunsch, auch über jene Periode
sein wohl erwogenes, auf selbständiger und vielseitiger Kenntniß der Acten
beruhendes Urtheil zu vernehmen.

In dem erschienenen ersten Bande seines neuen Buches ("Die deutschen
Mächte und der Fürstenbund. Deutsche Geschichte von 1780 bis 1790.
I. Leipzig, Duncker und Humblot. 1871") knüpft Ranke zunächst an seine
frühere preußische Geschichte den Faden der Darstellung wieder an. "Friedrich
.hatte Schlesien dem Hause Oestreich abgerungen", beginnt er: "eine zweite
Absicht aber, die er hegte, das Kaisertum von diesem Hause loszureißen, und
die oberste Gewalt im Reiche auf einer breiteren Grundlage neu zu gestalten,
die hatte er nicht erreicht. Das Kaiserthum war und blieb ein Bestandtheil
der Macht von Oestreich." Der Gegensatz des östreichischen Reiches der
Maria Theresia ("in Wahrheit war sie der Kaiser") und des emporstreben¬
den preußischen Staates Friedrichs des Großen, -- dieser auf einem bleiben¬
den Antagonismus ihrer eigentlichen Lebensprinzipien beruhende Gegensatz,
hier und da seltsam durchkreuzt und gefärbt durch das Bedürfniß einer Ver¬
ständigung und den Wunsch einer solchen: das ist das Thema, das Ranke
durch eine Reihe von Jahren hindurch erörtert.

"Wie das Drama sich nicht durch lange Prologe vorbereitet, sondern
durch dramatische Scenen, so will ich den Eingang meiner Erzählung nicht
durch reflectirende Uebersicht einer früheren Epoche bilden, sondern durch Er¬
innerung an einige Ereignisse, in denen die vorwaltenden Persönlichkeiten und
Tendenzen in unmittelbarer Wirksamkeit erscheinen." Er beginnt mit den
Zusammenkünften des Königs Friedrich und des Kaisers Joseph, im August
17"9 zu Reiße, im September 1770 im Lager bei Mährisch-Neustadt. Und
die eigenthümliche Natur des östreichischen Fürsten weiß Ranke mit feiner
Berechnung und dramatischer Weschicklichkeit sofort in Scene zu setzen und
vor dem Auge des Lesers sich entwickeln zu lassen. Joseph, so führt Ranke
ihn ein, "war davon durchdrungen, daß Oestreich einer inneren Regeneration
bedürfe, um sich wieder einmal mit Friedrich zu messen. Er theilte die all¬
gemeine Bewunderung, welche der König in der Welt erweckte, aber zugleich
sah er einen allzeit gefährlichen Feind in ihm. Von seinem Beispiel dachte
er Mittel und Wege zum Kampfe gegen ihn zu entnehmen." In knappen,
stets das Einzelercigniß nur andeutenden Zügen vollzieht sich nun die Charak¬
teristik des jungen Mannes. Man muß es in dem Buche selbst nachlesen,
wie sich Joseph's Verhältniß zu seiner Mutter, zu dem großen Staatskanzler
dem Fürsten Kaunitz entwickelt, wie er Beziehungen nach Rußland hin anknüpft
und in den Angelegenheiten des deutschen Reiches immer unruhiger vorwärts
drängt. In diesen außcröstreichischen Angelegenheiten hatte Joseph schon


Grcnzlwtm U. 1871. 98

Eigenthümlichkeiten Ranke's erhöhen den Wunsch, auch über jene Periode
sein wohl erwogenes, auf selbständiger und vielseitiger Kenntniß der Acten
beruhendes Urtheil zu vernehmen.

In dem erschienenen ersten Bande seines neuen Buches („Die deutschen
Mächte und der Fürstenbund. Deutsche Geschichte von 1780 bis 1790.
I. Leipzig, Duncker und Humblot. 1871") knüpft Ranke zunächst an seine
frühere preußische Geschichte den Faden der Darstellung wieder an. „Friedrich
.hatte Schlesien dem Hause Oestreich abgerungen", beginnt er: „eine zweite
Absicht aber, die er hegte, das Kaisertum von diesem Hause loszureißen, und
die oberste Gewalt im Reiche auf einer breiteren Grundlage neu zu gestalten,
die hatte er nicht erreicht. Das Kaiserthum war und blieb ein Bestandtheil
der Macht von Oestreich." Der Gegensatz des östreichischen Reiches der
Maria Theresia („in Wahrheit war sie der Kaiser") und des emporstreben¬
den preußischen Staates Friedrichs des Großen, — dieser auf einem bleiben¬
den Antagonismus ihrer eigentlichen Lebensprinzipien beruhende Gegensatz,
hier und da seltsam durchkreuzt und gefärbt durch das Bedürfniß einer Ver¬
ständigung und den Wunsch einer solchen: das ist das Thema, das Ranke
durch eine Reihe von Jahren hindurch erörtert.

„Wie das Drama sich nicht durch lange Prologe vorbereitet, sondern
durch dramatische Scenen, so will ich den Eingang meiner Erzählung nicht
durch reflectirende Uebersicht einer früheren Epoche bilden, sondern durch Er¬
innerung an einige Ereignisse, in denen die vorwaltenden Persönlichkeiten und
Tendenzen in unmittelbarer Wirksamkeit erscheinen." Er beginnt mit den
Zusammenkünften des Königs Friedrich und des Kaisers Joseph, im August
17«9 zu Reiße, im September 1770 im Lager bei Mährisch-Neustadt. Und
die eigenthümliche Natur des östreichischen Fürsten weiß Ranke mit feiner
Berechnung und dramatischer Weschicklichkeit sofort in Scene zu setzen und
vor dem Auge des Lesers sich entwickeln zu lassen. Joseph, so führt Ranke
ihn ein, „war davon durchdrungen, daß Oestreich einer inneren Regeneration
bedürfe, um sich wieder einmal mit Friedrich zu messen. Er theilte die all¬
gemeine Bewunderung, welche der König in der Welt erweckte, aber zugleich
sah er einen allzeit gefährlichen Feind in ihm. Von seinem Beispiel dachte
er Mittel und Wege zum Kampfe gegen ihn zu entnehmen." In knappen,
stets das Einzelercigniß nur andeutenden Zügen vollzieht sich nun die Charak¬
teristik des jungen Mannes. Man muß es in dem Buche selbst nachlesen,
wie sich Joseph's Verhältniß zu seiner Mutter, zu dem großen Staatskanzler
dem Fürsten Kaunitz entwickelt, wie er Beziehungen nach Rußland hin anknüpft
und in den Angelegenheiten des deutschen Reiches immer unruhiger vorwärts
drängt. In diesen außcröstreichischen Angelegenheiten hatte Joseph schon


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[0225] Eigenthümlichkeiten Ranke's erhöhen den Wunsch, auch über jene Periode sein wohl erwogenes, auf selbständiger und vielseitiger Kenntniß der Acten beruhendes Urtheil zu vernehmen. In dem erschienenen ersten Bande seines neuen Buches („Die deutschen Mächte und der Fürstenbund. Deutsche Geschichte von 1780 bis 1790. I. Leipzig, Duncker und Humblot. 1871") knüpft Ranke zunächst an seine frühere preußische Geschichte den Faden der Darstellung wieder an. „Friedrich .hatte Schlesien dem Hause Oestreich abgerungen", beginnt er: „eine zweite Absicht aber, die er hegte, das Kaisertum von diesem Hause loszureißen, und die oberste Gewalt im Reiche auf einer breiteren Grundlage neu zu gestalten, die hatte er nicht erreicht. Das Kaiserthum war und blieb ein Bestandtheil der Macht von Oestreich." Der Gegensatz des östreichischen Reiches der Maria Theresia („in Wahrheit war sie der Kaiser") und des emporstreben¬ den preußischen Staates Friedrichs des Großen, — dieser auf einem bleiben¬ den Antagonismus ihrer eigentlichen Lebensprinzipien beruhende Gegensatz, hier und da seltsam durchkreuzt und gefärbt durch das Bedürfniß einer Ver¬ ständigung und den Wunsch einer solchen: das ist das Thema, das Ranke durch eine Reihe von Jahren hindurch erörtert. „Wie das Drama sich nicht durch lange Prologe vorbereitet, sondern durch dramatische Scenen, so will ich den Eingang meiner Erzählung nicht durch reflectirende Uebersicht einer früheren Epoche bilden, sondern durch Er¬ innerung an einige Ereignisse, in denen die vorwaltenden Persönlichkeiten und Tendenzen in unmittelbarer Wirksamkeit erscheinen." Er beginnt mit den Zusammenkünften des Königs Friedrich und des Kaisers Joseph, im August 17«9 zu Reiße, im September 1770 im Lager bei Mährisch-Neustadt. Und die eigenthümliche Natur des östreichischen Fürsten weiß Ranke mit feiner Berechnung und dramatischer Weschicklichkeit sofort in Scene zu setzen und vor dem Auge des Lesers sich entwickeln zu lassen. Joseph, so führt Ranke ihn ein, „war davon durchdrungen, daß Oestreich einer inneren Regeneration bedürfe, um sich wieder einmal mit Friedrich zu messen. Er theilte die all¬ gemeine Bewunderung, welche der König in der Welt erweckte, aber zugleich sah er einen allzeit gefährlichen Feind in ihm. Von seinem Beispiel dachte er Mittel und Wege zum Kampfe gegen ihn zu entnehmen." In knappen, stets das Einzelercigniß nur andeutenden Zügen vollzieht sich nun die Charak¬ teristik des jungen Mannes. Man muß es in dem Buche selbst nachlesen, wie sich Joseph's Verhältniß zu seiner Mutter, zu dem großen Staatskanzler dem Fürsten Kaunitz entwickelt, wie er Beziehungen nach Rußland hin anknüpft und in den Angelegenheiten des deutschen Reiches immer unruhiger vorwärts drängt. In diesen außcröstreichischen Angelegenheiten hatte Joseph schon Grcnzlwtm U. 1871. 98

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/225>, abgerufen am 06.02.2025.