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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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zurück und erzählte die Dinge, welche ihr zugestoßen waren. Da eilten Rho-
danes und sein Weib und Sorächos von dannen. --

Vorher schon hatte der Goldschmidt einen Brief an Gcirmos geschickt,
daß Simonis aufgefunden sei, und hatte zur Beglaubigung die goldene von
ihm gekaufte Kette mitgesendet. --

Rhodanes küßte, bevor er wieder zur Flucht aufbrach, die Tochter des
Landmanns, worüber Simonis sehr erzürnt ward. Anfangs vermuthete sie
zwar nur, daß Rhodanes jene geküßt haben mochte. Ihr Argwohn wurde
aber zur festen Ueberzeugung, als sie von den Lippen des Rhodanes das
Blut abwischte, womit er beim Küssen der (durch den Vorfall in der Her¬
berge mit Blut bespritzten) jungen Wittwe benetzt worden war. Simonis
wollte deßhalb jene todten. Sie kehrte allein um, einer Rasenden gleich. So¬
rächos eilte ihr nach und holte sie ein. --

In einem bei Suidas erhaltenen Fragment des Romans antwortet hier
Simonis dem Sorächos, der sie beschwichtigen will:

"Lege mir keine Hindernisse in den Weg! Du weißt ja, daß ich nicht
lüge, denn ich habe Dich als Zeugen meiner Entschlossenheit. Du weißt,
daß ich ein Schwert und eine Wunde bei mir habe. Rhodanes wurde nur
an's Kreuz gehängt, ich aber habe den Tod geschmeckt und dabei gelernt, daß
Sterbende keineswegs Schmerz empfinden und daß auch der Tod nicht un¬
lieblich ist, ja daß er sogar Liebenden gar süß schmeckt. Was hältst Du
mich auf, Sorächos? Bei den Göttern! Du suchst nur die Geliebte des
Rhodanes zu retten! Drohe mir nur nicht mit Gefahren und mit Strafen!
Jetzt fürchte ich nichts mehr, denn ich habe schon den Tod, auch den gewaltsamen,
verachtet! Der, welcher den Tod verachtet, steht unter Keines Gewalt!"

Sorächos und Simonis übernachteten im Hause eines reichen Mannes
von ausschweifenden Sitten, Namens Setapos. Dieser verliebte sich in die
Simonis und versuchte ihre Keuschheit. Sie versprach seine Liebe zu erwie¬
dern; aber als er berauscht war und sie umarmen wollte, tödtete sie ihn mit
einem Schwerte. Sie befahl hierauf, das Haus zu öffnen, ließ den Sorä¬
chos, welcher von der ganzen Sache nichts wußte, in Stich und eilte fort,
um jene Tochter des Landmanns aufzusuchen und zu ermorden. "Sie war
noch voll von der vorigen Eifersucht und hatte von der eben vollbrachten
That noch Muth hinzubekommen. Als sie nun den Weg angetreten hatte,
rief sie aus: "den ersten Kampf habe ich durchgekämpft! nun so will ich mich
auch an den zweiten machen; ich habe mich ja zur rechten Zeit geübt!" (Frag¬
ment bei Suidas).

Als Sorächos ihren Weggang erfuhr, folgte er ihr mit den Sclaven des
Setapos nach und holte sie ein, nahm sie mit in seinen Wagen -- denn
auch dafür hatte er gesorgt -- und fuhr mit ihr zurück. Da aber kamen


zurück und erzählte die Dinge, welche ihr zugestoßen waren. Da eilten Rho-
danes und sein Weib und Sorächos von dannen. —

Vorher schon hatte der Goldschmidt einen Brief an Gcirmos geschickt,
daß Simonis aufgefunden sei, und hatte zur Beglaubigung die goldene von
ihm gekaufte Kette mitgesendet. —

Rhodanes küßte, bevor er wieder zur Flucht aufbrach, die Tochter des
Landmanns, worüber Simonis sehr erzürnt ward. Anfangs vermuthete sie
zwar nur, daß Rhodanes jene geküßt haben mochte. Ihr Argwohn wurde
aber zur festen Ueberzeugung, als sie von den Lippen des Rhodanes das
Blut abwischte, womit er beim Küssen der (durch den Vorfall in der Her¬
berge mit Blut bespritzten) jungen Wittwe benetzt worden war. Simonis
wollte deßhalb jene todten. Sie kehrte allein um, einer Rasenden gleich. So¬
rächos eilte ihr nach und holte sie ein. —

In einem bei Suidas erhaltenen Fragment des Romans antwortet hier
Simonis dem Sorächos, der sie beschwichtigen will:

„Lege mir keine Hindernisse in den Weg! Du weißt ja, daß ich nicht
lüge, denn ich habe Dich als Zeugen meiner Entschlossenheit. Du weißt,
daß ich ein Schwert und eine Wunde bei mir habe. Rhodanes wurde nur
an's Kreuz gehängt, ich aber habe den Tod geschmeckt und dabei gelernt, daß
Sterbende keineswegs Schmerz empfinden und daß auch der Tod nicht un¬
lieblich ist, ja daß er sogar Liebenden gar süß schmeckt. Was hältst Du
mich auf, Sorächos? Bei den Göttern! Du suchst nur die Geliebte des
Rhodanes zu retten! Drohe mir nur nicht mit Gefahren und mit Strafen!
Jetzt fürchte ich nichts mehr, denn ich habe schon den Tod, auch den gewaltsamen,
verachtet! Der, welcher den Tod verachtet, steht unter Keines Gewalt!"

Sorächos und Simonis übernachteten im Hause eines reichen Mannes
von ausschweifenden Sitten, Namens Setapos. Dieser verliebte sich in die
Simonis und versuchte ihre Keuschheit. Sie versprach seine Liebe zu erwie¬
dern; aber als er berauscht war und sie umarmen wollte, tödtete sie ihn mit
einem Schwerte. Sie befahl hierauf, das Haus zu öffnen, ließ den Sorä¬
chos, welcher von der ganzen Sache nichts wußte, in Stich und eilte fort,
um jene Tochter des Landmanns aufzusuchen und zu ermorden. „Sie war
noch voll von der vorigen Eifersucht und hatte von der eben vollbrachten
That noch Muth hinzubekommen. Als sie nun den Weg angetreten hatte,
rief sie aus: „den ersten Kampf habe ich durchgekämpft! nun so will ich mich
auch an den zweiten machen; ich habe mich ja zur rechten Zeit geübt!" (Frag¬
ment bei Suidas).

Als Sorächos ihren Weggang erfuhr, folgte er ihr mit den Sclaven des
Setapos nach und holte sie ein, nahm sie mit in seinen Wagen — denn
auch dafür hatte er gesorgt — und fuhr mit ihr zurück. Da aber kamen


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[0216] zurück und erzählte die Dinge, welche ihr zugestoßen waren. Da eilten Rho- danes und sein Weib und Sorächos von dannen. — Vorher schon hatte der Goldschmidt einen Brief an Gcirmos geschickt, daß Simonis aufgefunden sei, und hatte zur Beglaubigung die goldene von ihm gekaufte Kette mitgesendet. — Rhodanes küßte, bevor er wieder zur Flucht aufbrach, die Tochter des Landmanns, worüber Simonis sehr erzürnt ward. Anfangs vermuthete sie zwar nur, daß Rhodanes jene geküßt haben mochte. Ihr Argwohn wurde aber zur festen Ueberzeugung, als sie von den Lippen des Rhodanes das Blut abwischte, womit er beim Küssen der (durch den Vorfall in der Her¬ berge mit Blut bespritzten) jungen Wittwe benetzt worden war. Simonis wollte deßhalb jene todten. Sie kehrte allein um, einer Rasenden gleich. So¬ rächos eilte ihr nach und holte sie ein. — In einem bei Suidas erhaltenen Fragment des Romans antwortet hier Simonis dem Sorächos, der sie beschwichtigen will: „Lege mir keine Hindernisse in den Weg! Du weißt ja, daß ich nicht lüge, denn ich habe Dich als Zeugen meiner Entschlossenheit. Du weißt, daß ich ein Schwert und eine Wunde bei mir habe. Rhodanes wurde nur an's Kreuz gehängt, ich aber habe den Tod geschmeckt und dabei gelernt, daß Sterbende keineswegs Schmerz empfinden und daß auch der Tod nicht un¬ lieblich ist, ja daß er sogar Liebenden gar süß schmeckt. Was hältst Du mich auf, Sorächos? Bei den Göttern! Du suchst nur die Geliebte des Rhodanes zu retten! Drohe mir nur nicht mit Gefahren und mit Strafen! Jetzt fürchte ich nichts mehr, denn ich habe schon den Tod, auch den gewaltsamen, verachtet! Der, welcher den Tod verachtet, steht unter Keines Gewalt!" Sorächos und Simonis übernachteten im Hause eines reichen Mannes von ausschweifenden Sitten, Namens Setapos. Dieser verliebte sich in die Simonis und versuchte ihre Keuschheit. Sie versprach seine Liebe zu erwie¬ dern; aber als er berauscht war und sie umarmen wollte, tödtete sie ihn mit einem Schwerte. Sie befahl hierauf, das Haus zu öffnen, ließ den Sorä¬ chos, welcher von der ganzen Sache nichts wußte, in Stich und eilte fort, um jene Tochter des Landmanns aufzusuchen und zu ermorden. „Sie war noch voll von der vorigen Eifersucht und hatte von der eben vollbrachten That noch Muth hinzubekommen. Als sie nun den Weg angetreten hatte, rief sie aus: „den ersten Kampf habe ich durchgekämpft! nun so will ich mich auch an den zweiten machen; ich habe mich ja zur rechten Zeit geübt!" (Frag¬ ment bei Suidas). Als Sorächos ihren Weggang erfuhr, folgte er ihr mit den Sclaven des Setapos nach und holte sie ein, nahm sie mit in seinen Wagen — denn auch dafür hatte er gesorgt — und fuhr mit ihr zurück. Da aber kamen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/216>, abgerufen am 11.02.2025.