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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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einem Wirthshaus ein. Hier ereignete sich etwas Schreckliches zwischen zwei
Brüdern: der ältere Bruder vergiftete den jüngern und klagte den Rhodanes
des Mordes an, aber Rhodanes ward für schuldlos befunden und benutzte
diese Gelegenheit, unbemerkt Gift mit fort zu nehmen. --

Hierauf geriethen sie in den Schlupfwinkel eines Räubers, welcher die
Vorüberwandernden ausplünderte und sich seiner Opfer sodann als Tische
bediente. Während sie bei diesem Räuber gefangen gehalten wurden, griffen
die Krieger des Damas denselben an. nahmen ihn fest und legten Feuer an
feine Behausung. Rhodanes und Simonis entgingen jetzt nur mit Mühe
dem Verderben: sie schlachteten ihre Esel, warfen deren Leiber in das Feuer
und schritten darüber hinweg. Es war Nacht und sie wurden von denen,
die das Feuer anlegten, gefragt, wer sie wären? Sie antworteten: "die Schat¬
ten der von dem Räuber Ermordeten". Weil ihre Gesichter bleich waren und
ihre Stimme zitterte, so glaubten es die Krieger und geriethen in Furcht. --

Sie flohen weiter und kamen gerade dazu, wie ein Mädchen zu Grabe
getragen wurde. Sie liefen hinzu, es mit anzusehen. Ein alter Chaldäer,
welcher dabei stand, verhinderte jedoch das Begrävniß, indem er sagte, das
Mädchen sei noch am Leben, und es zeigte sich, daß es so war. Derselbe
Chaldäer verkündigte dem Rhodanes, daß er einst König von Babylonien
werden würde. Das Grab des Mädchens blieb leer und es blieben daselbst
viel Gewänder, Speisen und Getränke, welche auf dem Grabe hatten ver¬
brannt werden sollen, zurück. Rhodanes und Simonis genossen reichlich von
diesen Speisen und Getränken, nahmen einen Theil der Gewänder an sich,
und schliefen dann in dem Grabe des Mädchens.

Unterdessen hatten die Krieger des Damas, welche die Behausung des
Räubers angezündet hatten, als es Tag wurde, die Fußtapfen der Entflohe¬
nen gesehen und dadurch gemerkt, daß sie getäuscht worden waren. Sie hiel¬
ten die Entflohenen für Helfershelfer des Räubers und verfolgten sie nach
der Spur der Fußtapfen bis zu dem Grabe des Mädchens. Hier sahen sie
jene schlafend im Grabe liegen. Sie glaubten abermals, Todte zu sehen,
wurden irre, ob die Fußtapfen wirklich hierher geführt hätten, und ließen sie
liegen. --

Rhodanes und Simonis begaben sich weiter und setzten über einen Fluß
von wohlschmeckendem und durchsichtigem Wasser, welches zum Trank für den
König von Babylonien aufbewahrt wurde. Simonis verkaufte hier die Klei¬
der, welche sie von dem Grabe des Mädchens mitgenommen hatten. Dabei
wurden sie ergriffen und wegen Gräberplünderung vor den Richter Sorächos
gebracht.

Sorächos führte den Beinamen: "der Gerechte". Er beschloß, Simonis
ihrer Schönheit wegen zum König Garmos zu führen. Da mischten Rho-


einem Wirthshaus ein. Hier ereignete sich etwas Schreckliches zwischen zwei
Brüdern: der ältere Bruder vergiftete den jüngern und klagte den Rhodanes
des Mordes an, aber Rhodanes ward für schuldlos befunden und benutzte
diese Gelegenheit, unbemerkt Gift mit fort zu nehmen. —

Hierauf geriethen sie in den Schlupfwinkel eines Räubers, welcher die
Vorüberwandernden ausplünderte und sich seiner Opfer sodann als Tische
bediente. Während sie bei diesem Räuber gefangen gehalten wurden, griffen
die Krieger des Damas denselben an. nahmen ihn fest und legten Feuer an
feine Behausung. Rhodanes und Simonis entgingen jetzt nur mit Mühe
dem Verderben: sie schlachteten ihre Esel, warfen deren Leiber in das Feuer
und schritten darüber hinweg. Es war Nacht und sie wurden von denen,
die das Feuer anlegten, gefragt, wer sie wären? Sie antworteten: „die Schat¬
ten der von dem Räuber Ermordeten". Weil ihre Gesichter bleich waren und
ihre Stimme zitterte, so glaubten es die Krieger und geriethen in Furcht. —

Sie flohen weiter und kamen gerade dazu, wie ein Mädchen zu Grabe
getragen wurde. Sie liefen hinzu, es mit anzusehen. Ein alter Chaldäer,
welcher dabei stand, verhinderte jedoch das Begrävniß, indem er sagte, das
Mädchen sei noch am Leben, und es zeigte sich, daß es so war. Derselbe
Chaldäer verkündigte dem Rhodanes, daß er einst König von Babylonien
werden würde. Das Grab des Mädchens blieb leer und es blieben daselbst
viel Gewänder, Speisen und Getränke, welche auf dem Grabe hatten ver¬
brannt werden sollen, zurück. Rhodanes und Simonis genossen reichlich von
diesen Speisen und Getränken, nahmen einen Theil der Gewänder an sich,
und schliefen dann in dem Grabe des Mädchens.

Unterdessen hatten die Krieger des Damas, welche die Behausung des
Räubers angezündet hatten, als es Tag wurde, die Fußtapfen der Entflohe¬
nen gesehen und dadurch gemerkt, daß sie getäuscht worden waren. Sie hiel¬
ten die Entflohenen für Helfershelfer des Räubers und verfolgten sie nach
der Spur der Fußtapfen bis zu dem Grabe des Mädchens. Hier sahen sie
jene schlafend im Grabe liegen. Sie glaubten abermals, Todte zu sehen,
wurden irre, ob die Fußtapfen wirklich hierher geführt hätten, und ließen sie
liegen. —

Rhodanes und Simonis begaben sich weiter und setzten über einen Fluß
von wohlschmeckendem und durchsichtigem Wasser, welches zum Trank für den
König von Babylonien aufbewahrt wurde. Simonis verkaufte hier die Klei¬
der, welche sie von dem Grabe des Mädchens mitgenommen hatten. Dabei
wurden sie ergriffen und wegen Gräberplünderung vor den Richter Sorächos
gebracht.

Sorächos führte den Beinamen: „der Gerechte". Er beschloß, Simonis
ihrer Schönheit wegen zum König Garmos zu führen. Da mischten Rho-


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[0213] einem Wirthshaus ein. Hier ereignete sich etwas Schreckliches zwischen zwei Brüdern: der ältere Bruder vergiftete den jüngern und klagte den Rhodanes des Mordes an, aber Rhodanes ward für schuldlos befunden und benutzte diese Gelegenheit, unbemerkt Gift mit fort zu nehmen. — Hierauf geriethen sie in den Schlupfwinkel eines Räubers, welcher die Vorüberwandernden ausplünderte und sich seiner Opfer sodann als Tische bediente. Während sie bei diesem Räuber gefangen gehalten wurden, griffen die Krieger des Damas denselben an. nahmen ihn fest und legten Feuer an feine Behausung. Rhodanes und Simonis entgingen jetzt nur mit Mühe dem Verderben: sie schlachteten ihre Esel, warfen deren Leiber in das Feuer und schritten darüber hinweg. Es war Nacht und sie wurden von denen, die das Feuer anlegten, gefragt, wer sie wären? Sie antworteten: „die Schat¬ ten der von dem Räuber Ermordeten". Weil ihre Gesichter bleich waren und ihre Stimme zitterte, so glaubten es die Krieger und geriethen in Furcht. — Sie flohen weiter und kamen gerade dazu, wie ein Mädchen zu Grabe getragen wurde. Sie liefen hinzu, es mit anzusehen. Ein alter Chaldäer, welcher dabei stand, verhinderte jedoch das Begrävniß, indem er sagte, das Mädchen sei noch am Leben, und es zeigte sich, daß es so war. Derselbe Chaldäer verkündigte dem Rhodanes, daß er einst König von Babylonien werden würde. Das Grab des Mädchens blieb leer und es blieben daselbst viel Gewänder, Speisen und Getränke, welche auf dem Grabe hatten ver¬ brannt werden sollen, zurück. Rhodanes und Simonis genossen reichlich von diesen Speisen und Getränken, nahmen einen Theil der Gewänder an sich, und schliefen dann in dem Grabe des Mädchens. Unterdessen hatten die Krieger des Damas, welche die Behausung des Räubers angezündet hatten, als es Tag wurde, die Fußtapfen der Entflohe¬ nen gesehen und dadurch gemerkt, daß sie getäuscht worden waren. Sie hiel¬ ten die Entflohenen für Helfershelfer des Räubers und verfolgten sie nach der Spur der Fußtapfen bis zu dem Grabe des Mädchens. Hier sahen sie jene schlafend im Grabe liegen. Sie glaubten abermals, Todte zu sehen, wurden irre, ob die Fußtapfen wirklich hierher geführt hätten, und ließen sie liegen. — Rhodanes und Simonis begaben sich weiter und setzten über einen Fluß von wohlschmeckendem und durchsichtigem Wasser, welches zum Trank für den König von Babylonien aufbewahrt wurde. Simonis verkaufte hier die Klei¬ der, welche sie von dem Grabe des Mädchens mitgenommen hatten. Dabei wurden sie ergriffen und wegen Gräberplünderung vor den Richter Sorächos gebracht. Sorächos führte den Beinamen: „der Gerechte". Er beschloß, Simonis ihrer Schönheit wegen zum König Garmos zu führen. Da mischten Rho-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/213>, abgerufen am 11.02.2025.