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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Der Hofmeister von Küssow entrollt das Pergament, verbeugt sich tief
vor der Herzogin-Witwe und ihren Töchtern, vor dem regierenden Fürsten
und schließlich vor seinen beiden fürstlichen Zöglingen und liest nach demüthig
erbetener Erlaubniß vor versammeltem Hofe die Instruction vor, welche er
selber für die Lebensweise und die Studien seiner Pflegebefohlenen verfaßt
hat, Sie lautet:

"Erstlich sollen sich Ihre Fürstliche Gnaden vor allen Dingen zur Got¬
tesfurcht gewöhnen, gerne beten, in heiliger Schrift sich unterweisen lassen,
des Sacraments und Abendmahls unseres Herrn Christi oft gebrauchen und
sich von solchem göttlichen Leben niemals abwenden lassen, denn sonst I, F.
G. in allen andern Handlungen und Vornehmen kein Gedeihen und Glück
haben werden. Wie die Schrift sagt: iuitium s^piontiae error cloiniui --
der Weisheit Anfang ist Gottesfurcht -- und der Psalm: nisi äorninus
euLtoäi^t eivitatsm -- wo der Herr nicht die Stadt behütet, wacht der Wäch¬
ter umsonst. Es sollen sich auch I. F. G. mit Fleiß vorsehen, daß sie bei
der reinen Lehre göttlichen Worts bleiben und von dem wahren Verstände
der augsburgischen Confession, die I. F. G. Herr Vater, christlichen Gedächt¬
nisses, amplectiret, bis in seine Grube erhalten und die man in der Kirchen¬
ordnung aufs Neue verfaßt, -- sich durch Secten und Rotten, der nun viele
sind, nicht lassen abwenden.

"Darnach sollen I. F. G. fleißig und oft bei sich bedenken, warum sie
ausgeschickt sind: nämlich darum, daß sie in guten Künsten und Sitten mögen
zunehmen, Herren und Fremden künftig sruchtdarlich dienen, auch ihren be¬
fohlenen und angeerbten Landen und Leuten mit fürstlichem, christlichem, löb¬
lichen Regimente vorstehen, auf daß sie Gottes Segen und manniglichen
Ruhm und Lob empfangen mögen. Denn wenn I. F. G. solches nicht thä¬
ten, ladeten sie den Zorn Gottes auf sich. So wäre es auch ihnen bei den¬
selben Herrn, Fremden und der Landschaft sehr schimpflich, zugeschweigen, was
sie sich selber für Schaden zufügten, wenn sie ihre blühende Jugend also lie¬
ßen verfließen, keine Frucht schafften, dessen sie künftig in bevorstehender Re¬
gierung und im Alter genießen möchten. So fügten auch I. F. G. derselben
Herren Brüder und sich selbst nicht geringen Schaden zu, daß sie solche
ansehnliche Summa Geldes, so darauf gehn wird, vergeblich und
ohne Frucht thäten verschwenden, die man sonst zur Nothdurft und I. F. G,
Regierung und zum Landes Besten anwenden könnte. Das und Anderes
werden I. F. G. oft bedenken und sich von ihren Studien durch leichtfertige



") Der Archivrath Freiherr von Medem hat das Verdienst, die für unsere Studie be¬
nutzten Original-Schriftstücke, besonders Briefe der jungen studirenden Herzöge und ihrer
Hofmeister, gesammelt und veröffentlicht zu haben.

Der Hofmeister von Küssow entrollt das Pergament, verbeugt sich tief
vor der Herzogin-Witwe und ihren Töchtern, vor dem regierenden Fürsten
und schließlich vor seinen beiden fürstlichen Zöglingen und liest nach demüthig
erbetener Erlaubniß vor versammeltem Hofe die Instruction vor, welche er
selber für die Lebensweise und die Studien seiner Pflegebefohlenen verfaßt
hat, Sie lautet:

„Erstlich sollen sich Ihre Fürstliche Gnaden vor allen Dingen zur Got¬
tesfurcht gewöhnen, gerne beten, in heiliger Schrift sich unterweisen lassen,
des Sacraments und Abendmahls unseres Herrn Christi oft gebrauchen und
sich von solchem göttlichen Leben niemals abwenden lassen, denn sonst I, F.
G. in allen andern Handlungen und Vornehmen kein Gedeihen und Glück
haben werden. Wie die Schrift sagt: iuitium s^piontiae error cloiniui —
der Weisheit Anfang ist Gottesfurcht — und der Psalm: nisi äorninus
euLtoäi^t eivitatsm — wo der Herr nicht die Stadt behütet, wacht der Wäch¬
ter umsonst. Es sollen sich auch I. F. G. mit Fleiß vorsehen, daß sie bei
der reinen Lehre göttlichen Worts bleiben und von dem wahren Verstände
der augsburgischen Confession, die I. F. G. Herr Vater, christlichen Gedächt¬
nisses, amplectiret, bis in seine Grube erhalten und die man in der Kirchen¬
ordnung aufs Neue verfaßt, — sich durch Secten und Rotten, der nun viele
sind, nicht lassen abwenden.

„Darnach sollen I. F. G. fleißig und oft bei sich bedenken, warum sie
ausgeschickt sind: nämlich darum, daß sie in guten Künsten und Sitten mögen
zunehmen, Herren und Fremden künftig sruchtdarlich dienen, auch ihren be¬
fohlenen und angeerbten Landen und Leuten mit fürstlichem, christlichem, löb¬
lichen Regimente vorstehen, auf daß sie Gottes Segen und manniglichen
Ruhm und Lob empfangen mögen. Denn wenn I. F. G. solches nicht thä¬
ten, ladeten sie den Zorn Gottes auf sich. So wäre es auch ihnen bei den¬
selben Herrn, Fremden und der Landschaft sehr schimpflich, zugeschweigen, was
sie sich selber für Schaden zufügten, wenn sie ihre blühende Jugend also lie¬
ßen verfließen, keine Frucht schafften, dessen sie künftig in bevorstehender Re¬
gierung und im Alter genießen möchten. So fügten auch I. F. G. derselben
Herren Brüder und sich selbst nicht geringen Schaden zu, daß sie solche
ansehnliche Summa Geldes, so darauf gehn wird, vergeblich und
ohne Frucht thäten verschwenden, die man sonst zur Nothdurft und I. F. G,
Regierung und zum Landes Besten anwenden könnte. Das und Anderes
werden I. F. G. oft bedenken und sich von ihren Studien durch leichtfertige



") Der Archivrath Freiherr von Medem hat das Verdienst, die für unsere Studie be¬
nutzten Original-Schriftstücke, besonders Briefe der jungen studirenden Herzöge und ihrer
Hofmeister, gesammelt und veröffentlicht zu haben.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/14>, abgerufen am 05.02.2025.