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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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denzen gingen mit den staatlichen Interessen Hand in Hand. Mit Ernst
und Nachdruck ist damals durch die Staatsgewalt die Reformation der Kirche
in Spanien durchgeführt worden. Wer erwägt, welchen ganz gewaltigen
Einfluß die strenge Richtung der Spanier im sechszehnten Jahrhundert auf
die Aufrichtung des Katholicismus in ganz Europa ausgeübt hat, der mag
die Bedeutung jener Maßregeln für das kirchliche Leben des Abendlandes
ermessen.

In ganz ähnlicher Weise ist auch die Erneuerung der Inquisition
aufzufassen. Auch diese Einrichtung fällt gleichzeitig unter den religiös-kirch¬
lichen und den politischen Gesichtspunkt. Für die Reinheit des Glaubens
und der Kirche wurde gesorgt, und zugleich der Staatsregierung eine Maschine
zur Verfügung gestellt, mit der sie jeden Gegner erreichen, treffen und ver¬
nichten konnte.

Faßt man Alles, was wir hier nur in kurzen Umrissen skizzirt haben,
zusammen, vereinigt man alle die einzelnen Maßregeln in dem Brennpunkte
einer einheitlichen von den Königen systematisch und mit Bewußtsein geübten
Politik, so versteht man zu würdigen, welche Umgestaltung bis zum Aus¬
gang des 15. Jahrhunderts das spanische Volk erfahren hat. Der moderne
Staat mit seiner ganzen monarchischen Machtfülle war ins Leben getreten.
Jene Anarchie, welche vordem das Land zerfleischte und zerriß, war gründlich
beseitigt. Die Macht und Selbstherrlichkeit des Adels war gebrochen: von
der Krone war er abhängig, der Stand im Ganzen und jeder Einzelne.
Ueber Adel und Kirche gebot der Wille der Krone mit absolutem Worte.
Und der Bürger war geschützt, geachtet: das Fundament der königlichen Macht
bildete der Bürgerstand.

Nachdem Ruhe und Sicherheit zurückgekehrt war, entfaltete sich Handel
und Verkehr und Gewerbfleiß zu schöner Blüthe. Reichthum kehrte ins Land
ein. Der europäische Handel, in dem Barcellona und die catalonischen Städte
im Mittelalter eine erste Rolle gespielt, suchte aufs neue diesen Weg auf.
Und seit erst im fernen Westen jenseit des Oceans der Spanier seine Ent¬
deckungen und seine Eroberungen zu machen begann, schwelgte das spanische
Volk im Genusse seines neuen Reichthumes, seines lachenden Wohlstandes,
seines zunehmenden Glückes.

Wer will heute dem spanischen Patrioten verargen, wenn er jene
Jahrzehnte etwa von 1495 bis 1515 als die goldene Zeit seiner Nationalge¬
schichte feiert?

Es ist auch dieselbe Zeit, in welcher die neu gekmftigte spanische Mon-
archie die erste Großmacht des modernen Europa zu werden vermochte.




denzen gingen mit den staatlichen Interessen Hand in Hand. Mit Ernst
und Nachdruck ist damals durch die Staatsgewalt die Reformation der Kirche
in Spanien durchgeführt worden. Wer erwägt, welchen ganz gewaltigen
Einfluß die strenge Richtung der Spanier im sechszehnten Jahrhundert auf
die Aufrichtung des Katholicismus in ganz Europa ausgeübt hat, der mag
die Bedeutung jener Maßregeln für das kirchliche Leben des Abendlandes
ermessen.

In ganz ähnlicher Weise ist auch die Erneuerung der Inquisition
aufzufassen. Auch diese Einrichtung fällt gleichzeitig unter den religiös-kirch¬
lichen und den politischen Gesichtspunkt. Für die Reinheit des Glaubens
und der Kirche wurde gesorgt, und zugleich der Staatsregierung eine Maschine
zur Verfügung gestellt, mit der sie jeden Gegner erreichen, treffen und ver¬
nichten konnte.

Faßt man Alles, was wir hier nur in kurzen Umrissen skizzirt haben,
zusammen, vereinigt man alle die einzelnen Maßregeln in dem Brennpunkte
einer einheitlichen von den Königen systematisch und mit Bewußtsein geübten
Politik, so versteht man zu würdigen, welche Umgestaltung bis zum Aus¬
gang des 15. Jahrhunderts das spanische Volk erfahren hat. Der moderne
Staat mit seiner ganzen monarchischen Machtfülle war ins Leben getreten.
Jene Anarchie, welche vordem das Land zerfleischte und zerriß, war gründlich
beseitigt. Die Macht und Selbstherrlichkeit des Adels war gebrochen: von
der Krone war er abhängig, der Stand im Ganzen und jeder Einzelne.
Ueber Adel und Kirche gebot der Wille der Krone mit absolutem Worte.
Und der Bürger war geschützt, geachtet: das Fundament der königlichen Macht
bildete der Bürgerstand.

Nachdem Ruhe und Sicherheit zurückgekehrt war, entfaltete sich Handel
und Verkehr und Gewerbfleiß zu schöner Blüthe. Reichthum kehrte ins Land
ein. Der europäische Handel, in dem Barcellona und die catalonischen Städte
im Mittelalter eine erste Rolle gespielt, suchte aufs neue diesen Weg auf.
Und seit erst im fernen Westen jenseit des Oceans der Spanier seine Ent¬
deckungen und seine Eroberungen zu machen begann, schwelgte das spanische
Volk im Genusse seines neuen Reichthumes, seines lachenden Wohlstandes,
seines zunehmenden Glückes.

Wer will heute dem spanischen Patrioten verargen, wenn er jene
Jahrzehnte etwa von 1495 bis 1515 als die goldene Zeit seiner Nationalge¬
schichte feiert?

Es ist auch dieselbe Zeit, in welcher die neu gekmftigte spanische Mon-
archie die erste Großmacht des modernen Europa zu werden vermochte.




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[0139] denzen gingen mit den staatlichen Interessen Hand in Hand. Mit Ernst und Nachdruck ist damals durch die Staatsgewalt die Reformation der Kirche in Spanien durchgeführt worden. Wer erwägt, welchen ganz gewaltigen Einfluß die strenge Richtung der Spanier im sechszehnten Jahrhundert auf die Aufrichtung des Katholicismus in ganz Europa ausgeübt hat, der mag die Bedeutung jener Maßregeln für das kirchliche Leben des Abendlandes ermessen. In ganz ähnlicher Weise ist auch die Erneuerung der Inquisition aufzufassen. Auch diese Einrichtung fällt gleichzeitig unter den religiös-kirch¬ lichen und den politischen Gesichtspunkt. Für die Reinheit des Glaubens und der Kirche wurde gesorgt, und zugleich der Staatsregierung eine Maschine zur Verfügung gestellt, mit der sie jeden Gegner erreichen, treffen und ver¬ nichten konnte. Faßt man Alles, was wir hier nur in kurzen Umrissen skizzirt haben, zusammen, vereinigt man alle die einzelnen Maßregeln in dem Brennpunkte einer einheitlichen von den Königen systematisch und mit Bewußtsein geübten Politik, so versteht man zu würdigen, welche Umgestaltung bis zum Aus¬ gang des 15. Jahrhunderts das spanische Volk erfahren hat. Der moderne Staat mit seiner ganzen monarchischen Machtfülle war ins Leben getreten. Jene Anarchie, welche vordem das Land zerfleischte und zerriß, war gründlich beseitigt. Die Macht und Selbstherrlichkeit des Adels war gebrochen: von der Krone war er abhängig, der Stand im Ganzen und jeder Einzelne. Ueber Adel und Kirche gebot der Wille der Krone mit absolutem Worte. Und der Bürger war geschützt, geachtet: das Fundament der königlichen Macht bildete der Bürgerstand. Nachdem Ruhe und Sicherheit zurückgekehrt war, entfaltete sich Handel und Verkehr und Gewerbfleiß zu schöner Blüthe. Reichthum kehrte ins Land ein. Der europäische Handel, in dem Barcellona und die catalonischen Städte im Mittelalter eine erste Rolle gespielt, suchte aufs neue diesen Weg auf. Und seit erst im fernen Westen jenseit des Oceans der Spanier seine Ent¬ deckungen und seine Eroberungen zu machen begann, schwelgte das spanische Volk im Genusse seines neuen Reichthumes, seines lachenden Wohlstandes, seines zunehmenden Glückes. Wer will heute dem spanischen Patrioten verargen, wenn er jene Jahrzehnte etwa von 1495 bis 1515 als die goldene Zeit seiner Nationalge¬ schichte feiert? Es ist auch dieselbe Zeit, in welcher die neu gekmftigte spanische Mon- archie die erste Großmacht des modernen Europa zu werden vermochte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/139>, abgerufen am 05.02.2025.