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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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wissenschaftlichen Sieg verspätete Anwaltschaft Fröbel's hat auch den prakti¬
schen Erfolg nicht gehabt, den sie beabsichtigte. Aber wer die Gründe für
den Freihandel einleuchtend und erschöpfend zusammengestellt lesen will, der
wendet sich am besten an Fröbel's Abhandlung.

Das neuere Werk ist mehr als eine klare Zusammenfassung der erreichten
Einsichten. Es fügt der gewonnenen Erkenntniß einige bedeutende Gesichts¬
punkte theils neu hinzu, theils bringt es einzelne solche, die bereits aufgestellt
waren, zum ersten Mal zur folgerichtigen Geltung.

Der Hauptgesichtspunkt ist die Einheit oder genauer die organische Ver¬
bindung der realen und der idealen Interessen. Die Darstellung dieser Ein¬
heit ist aber die Ethik. Es entsteht die Frage, wie verhält sich die Wirth¬
schaftslehre zur Ethik? Offenbar als ein Theil derselben. Die Wirthschaft
umfaßt einen Theil der technischen Mittel für die menschliche Sittlichkeit.

Da aber die organische Verbindung der realen und idealen Interessen -- wir
reden hier mit Fröbel's Ausdrücken, die wir unsererseits mit anderen tauschen
würden -- noch vielfach verkannt wird, so gibt Fröbel in seiner Darstellung
der Wirthschaftslehre wesentliche Ausführungen, die an sich in die Ethik ge¬
hören würden. Er ist dabei einer gewissen Undeutlichkeit nicht entgangen.
Es scheint nämlich hin und wieder, als sei die Wirthschaftskunst gleichbedeu¬
tend mit der menschlichen Kunst in ihrer Totalität, welche die Sittlichkeit ist.
Was die menschliche Thätigkeit von jeder Thätigkeit innerhalb der Natur
unterscheidet, ist ihr Kunstcharakter, d. i. der Charakter methodischer Absicht¬
lichkeit. Es darf als Erwerb unserer deutschen Philosophie für die Anschau¬
ung der sittlichen Welt gelten, daß die menschliche Kunst einen einheitlichen
Zweck und ein einheitliches System von Mitteln bildet, und daß es einer der
Fortschritte menschlicher Entwickelung ist, den stets, aber anfangs nur in-
stinctiv und unvollkommen vorhandenen Zusammenhang menschlicher Thätig¬
keit immer mehr zum Bewußtsein und zur Wirksamkeit zu bringen. Wie soll
nun die umfassende menschliche Kunst heißen? Ist sie die sittliche, ist sie die
Wirthschaftskunst.

Wir streiten um mehr als Worte. Die Frage heißt: welches ist der ge¬
staltende Begriff der menschlichen Thätigkeit? Die betreffende Untersuchung
kann hier nicht angestellt werden. Was Fröbel betrifft, so wäre seiner
Darstellung der Wirthschaftslehre wahrscheinlich zu Gute gekommen, wenn
er auf diese Frage nicht bloß gelegentlich, sondern mittelst einer grundlegen¬
den Untersuchung eingegangen wäre. Es würde sich vielleicht gefunden haben,
daß die menschliche Thätigkeit sich in eine Mehrheit von Sphären spaltet
und daß der Hauptbegriff jeder Sphäre sich als Mittelpunkt des ganzen Sy¬
stems ansehen läßt. Mit anderen Worten: Daß aus dem Begriff jeder be-


wissenschaftlichen Sieg verspätete Anwaltschaft Fröbel's hat auch den prakti¬
schen Erfolg nicht gehabt, den sie beabsichtigte. Aber wer die Gründe für
den Freihandel einleuchtend und erschöpfend zusammengestellt lesen will, der
wendet sich am besten an Fröbel's Abhandlung.

Das neuere Werk ist mehr als eine klare Zusammenfassung der erreichten
Einsichten. Es fügt der gewonnenen Erkenntniß einige bedeutende Gesichts¬
punkte theils neu hinzu, theils bringt es einzelne solche, die bereits aufgestellt
waren, zum ersten Mal zur folgerichtigen Geltung.

Der Hauptgesichtspunkt ist die Einheit oder genauer die organische Ver¬
bindung der realen und der idealen Interessen. Die Darstellung dieser Ein¬
heit ist aber die Ethik. Es entsteht die Frage, wie verhält sich die Wirth¬
schaftslehre zur Ethik? Offenbar als ein Theil derselben. Die Wirthschaft
umfaßt einen Theil der technischen Mittel für die menschliche Sittlichkeit.

Da aber die organische Verbindung der realen und idealen Interessen — wir
reden hier mit Fröbel's Ausdrücken, die wir unsererseits mit anderen tauschen
würden — noch vielfach verkannt wird, so gibt Fröbel in seiner Darstellung
der Wirthschaftslehre wesentliche Ausführungen, die an sich in die Ethik ge¬
hören würden. Er ist dabei einer gewissen Undeutlichkeit nicht entgangen.
Es scheint nämlich hin und wieder, als sei die Wirthschaftskunst gleichbedeu¬
tend mit der menschlichen Kunst in ihrer Totalität, welche die Sittlichkeit ist.
Was die menschliche Thätigkeit von jeder Thätigkeit innerhalb der Natur
unterscheidet, ist ihr Kunstcharakter, d. i. der Charakter methodischer Absicht¬
lichkeit. Es darf als Erwerb unserer deutschen Philosophie für die Anschau¬
ung der sittlichen Welt gelten, daß die menschliche Kunst einen einheitlichen
Zweck und ein einheitliches System von Mitteln bildet, und daß es einer der
Fortschritte menschlicher Entwickelung ist, den stets, aber anfangs nur in-
stinctiv und unvollkommen vorhandenen Zusammenhang menschlicher Thätig¬
keit immer mehr zum Bewußtsein und zur Wirksamkeit zu bringen. Wie soll
nun die umfassende menschliche Kunst heißen? Ist sie die sittliche, ist sie die
Wirthschaftskunst.

Wir streiten um mehr als Worte. Die Frage heißt: welches ist der ge¬
staltende Begriff der menschlichen Thätigkeit? Die betreffende Untersuchung
kann hier nicht angestellt werden. Was Fröbel betrifft, so wäre seiner
Darstellung der Wirthschaftslehre wahrscheinlich zu Gute gekommen, wenn
er auf diese Frage nicht bloß gelegentlich, sondern mittelst einer grundlegen¬
den Untersuchung eingegangen wäre. Es würde sich vielleicht gefunden haben,
daß die menschliche Thätigkeit sich in eine Mehrheit von Sphären spaltet
und daß der Hauptbegriff jeder Sphäre sich als Mittelpunkt des ganzen Sy¬
stems ansehen läßt. Mit anderen Worten: Daß aus dem Begriff jeder be-


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[0115] wissenschaftlichen Sieg verspätete Anwaltschaft Fröbel's hat auch den prakti¬ schen Erfolg nicht gehabt, den sie beabsichtigte. Aber wer die Gründe für den Freihandel einleuchtend und erschöpfend zusammengestellt lesen will, der wendet sich am besten an Fröbel's Abhandlung. Das neuere Werk ist mehr als eine klare Zusammenfassung der erreichten Einsichten. Es fügt der gewonnenen Erkenntniß einige bedeutende Gesichts¬ punkte theils neu hinzu, theils bringt es einzelne solche, die bereits aufgestellt waren, zum ersten Mal zur folgerichtigen Geltung. Der Hauptgesichtspunkt ist die Einheit oder genauer die organische Ver¬ bindung der realen und der idealen Interessen. Die Darstellung dieser Ein¬ heit ist aber die Ethik. Es entsteht die Frage, wie verhält sich die Wirth¬ schaftslehre zur Ethik? Offenbar als ein Theil derselben. Die Wirthschaft umfaßt einen Theil der technischen Mittel für die menschliche Sittlichkeit. Da aber die organische Verbindung der realen und idealen Interessen — wir reden hier mit Fröbel's Ausdrücken, die wir unsererseits mit anderen tauschen würden — noch vielfach verkannt wird, so gibt Fröbel in seiner Darstellung der Wirthschaftslehre wesentliche Ausführungen, die an sich in die Ethik ge¬ hören würden. Er ist dabei einer gewissen Undeutlichkeit nicht entgangen. Es scheint nämlich hin und wieder, als sei die Wirthschaftskunst gleichbedeu¬ tend mit der menschlichen Kunst in ihrer Totalität, welche die Sittlichkeit ist. Was die menschliche Thätigkeit von jeder Thätigkeit innerhalb der Natur unterscheidet, ist ihr Kunstcharakter, d. i. der Charakter methodischer Absicht¬ lichkeit. Es darf als Erwerb unserer deutschen Philosophie für die Anschau¬ ung der sittlichen Welt gelten, daß die menschliche Kunst einen einheitlichen Zweck und ein einheitliches System von Mitteln bildet, und daß es einer der Fortschritte menschlicher Entwickelung ist, den stets, aber anfangs nur in- stinctiv und unvollkommen vorhandenen Zusammenhang menschlicher Thätig¬ keit immer mehr zum Bewußtsein und zur Wirksamkeit zu bringen. Wie soll nun die umfassende menschliche Kunst heißen? Ist sie die sittliche, ist sie die Wirthschaftskunst. Wir streiten um mehr als Worte. Die Frage heißt: welches ist der ge¬ staltende Begriff der menschlichen Thätigkeit? Die betreffende Untersuchung kann hier nicht angestellt werden. Was Fröbel betrifft, so wäre seiner Darstellung der Wirthschaftslehre wahrscheinlich zu Gute gekommen, wenn er auf diese Frage nicht bloß gelegentlich, sondern mittelst einer grundlegen¬ den Untersuchung eingegangen wäre. Es würde sich vielleicht gefunden haben, daß die menschliche Thätigkeit sich in eine Mehrheit von Sphären spaltet und daß der Hauptbegriff jeder Sphäre sich als Mittelpunkt des ganzen Sy¬ stems ansehen läßt. Mit anderen Worten: Daß aus dem Begriff jeder be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/115>, abgerufen am 05.02.2025.