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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Da aber die Mißgriffe der Regierung immer wieder neuen Zündstoff auf¬
häuften, so gelang es nicht, dem Treiben vollständig ein Ende zu machen.

Was an dem Verbindungswesen, das seine verderbliche Thätigkeit unter
Ludwig Philipps Regierung in größerem Umfang entfaltete, unsere Auf¬
merksamkeit besonders in Anspruch nimmt, das ist der verderbliche Einfluß,
den das gewohnheitsmäßige Conspinren auf den Charakter und die politi¬
schen Sitten der Franzosen ausgeübt hat. Die unterdrückte Minorität --
und die Unterdrückung der Minorität war ja die natürliche Consequenz des
französischen Staatsprincips -- gewöhnte sich daran, die Verschwörung als
ein erlaubtes Kampfmittel zu betrachten: wie nach einem bekannten Worte
in Rußland der Meuchelmord das Gegengewicht gegen den Czarendespotis-
mus war, so sah man in Frankreich in der Verschwörung und in der Revo¬
lution das, wenn nicht gesetzliche, doch natürliche Mittel, von Zeit zu Zeit
die im Staatsleben hervortretenden Gegensätze auszugleichen und die Härten
des Centralisationsprincips zu mildern. Wer nicht hervorsteht, betrachtet sich
als unterdrückt, und die Unterdrückten waren stets bereit, an die Gewalt zu
appelliren; siegten sie, so waren sie die gefeierten Helden einer glorreichen
Revolution, unterlagen sie, so machten sie in den leicht erregbaren Elementen
der großstädtischen Bevölkerung, zumal bei der gebildeten Jugend, die in
politischen Processen stets leidenschaftlich Partei ergriff für den Angeklagten,
Propaganda für ihre Ansichten und vor Allem für ihre Personen.

Die socialistisch-communistischen Bestrebungen, in die das auf
Ertödtung der individuellen Freiheit abzielende französische Staatsprincip folge¬
recht ausläuft, fanden in der Restaurationszeit zwar geringe Beachtung,
waren aber in der That in eifriger Arbeit begriffen. Bereits unter dem Di-
rectovium hatte Babeuf den Versuch gewagt, die socialen Consequenzen der
absolutistisch-demokratischen Grundsätze des Convents zu ziehen, aber in rohe-
ster Weise, durch gleiche Vertheilung des Grundbesitzes. Sein gescheitertes
Komplott hatte wesentlich dazu beigetragen, das socialistische Element, welches
in den Principien von 1793 versteckt lag, in Mißcredit zu bringen und der
Gesellschaft einen Blick in den Abgrund zu öffnen, in welchen die absolute
Demokratie sie zu stürzen drohte. Aber zu tief war der Glaube an die Alles
vermögende Kraft des Staates gewurzelt, um das Problem einer gleichmäßi¬
gen, durch Zwang zu erzielenden Vertheilung der irdischen Güter und Ge¬
nüsse nicht wenigstens zum Gegenstande metaphysischer Grübeleien zu machen.
Schon zu den Zeiten des Kaiserthums waren Fourier und der Graf Se.
Simon mit ihren Weltverbesserungsentwürfen aufgetreten, ohne indessen irgend
eine Beachtung zu finden. Nicht viel besser erging es ihnen, als sie in der
Restaurationszeit einen neuen Anlauf nahmen. Ihre Theorien, mochte auch


Da aber die Mißgriffe der Regierung immer wieder neuen Zündstoff auf¬
häuften, so gelang es nicht, dem Treiben vollständig ein Ende zu machen.

Was an dem Verbindungswesen, das seine verderbliche Thätigkeit unter
Ludwig Philipps Regierung in größerem Umfang entfaltete, unsere Auf¬
merksamkeit besonders in Anspruch nimmt, das ist der verderbliche Einfluß,
den das gewohnheitsmäßige Conspinren auf den Charakter und die politi¬
schen Sitten der Franzosen ausgeübt hat. Die unterdrückte Minorität —
und die Unterdrückung der Minorität war ja die natürliche Consequenz des
französischen Staatsprincips — gewöhnte sich daran, die Verschwörung als
ein erlaubtes Kampfmittel zu betrachten: wie nach einem bekannten Worte
in Rußland der Meuchelmord das Gegengewicht gegen den Czarendespotis-
mus war, so sah man in Frankreich in der Verschwörung und in der Revo¬
lution das, wenn nicht gesetzliche, doch natürliche Mittel, von Zeit zu Zeit
die im Staatsleben hervortretenden Gegensätze auszugleichen und die Härten
des Centralisationsprincips zu mildern. Wer nicht hervorsteht, betrachtet sich
als unterdrückt, und die Unterdrückten waren stets bereit, an die Gewalt zu
appelliren; siegten sie, so waren sie die gefeierten Helden einer glorreichen
Revolution, unterlagen sie, so machten sie in den leicht erregbaren Elementen
der großstädtischen Bevölkerung, zumal bei der gebildeten Jugend, die in
politischen Processen stets leidenschaftlich Partei ergriff für den Angeklagten,
Propaganda für ihre Ansichten und vor Allem für ihre Personen.

Die socialistisch-communistischen Bestrebungen, in die das auf
Ertödtung der individuellen Freiheit abzielende französische Staatsprincip folge¬
recht ausläuft, fanden in der Restaurationszeit zwar geringe Beachtung,
waren aber in der That in eifriger Arbeit begriffen. Bereits unter dem Di-
rectovium hatte Babeuf den Versuch gewagt, die socialen Consequenzen der
absolutistisch-demokratischen Grundsätze des Convents zu ziehen, aber in rohe-
ster Weise, durch gleiche Vertheilung des Grundbesitzes. Sein gescheitertes
Komplott hatte wesentlich dazu beigetragen, das socialistische Element, welches
in den Principien von 1793 versteckt lag, in Mißcredit zu bringen und der
Gesellschaft einen Blick in den Abgrund zu öffnen, in welchen die absolute
Demokratie sie zu stürzen drohte. Aber zu tief war der Glaube an die Alles
vermögende Kraft des Staates gewurzelt, um das Problem einer gleichmäßi¬
gen, durch Zwang zu erzielenden Vertheilung der irdischen Güter und Ge¬
nüsse nicht wenigstens zum Gegenstande metaphysischer Grübeleien zu machen.
Schon zu den Zeiten des Kaiserthums waren Fourier und der Graf Se.
Simon mit ihren Weltverbesserungsentwürfen aufgetreten, ohne indessen irgend
eine Beachtung zu finden. Nicht viel besser erging es ihnen, als sie in der
Restaurationszeit einen neuen Anlauf nahmen. Ihre Theorien, mochte auch


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[0098] Da aber die Mißgriffe der Regierung immer wieder neuen Zündstoff auf¬ häuften, so gelang es nicht, dem Treiben vollständig ein Ende zu machen. Was an dem Verbindungswesen, das seine verderbliche Thätigkeit unter Ludwig Philipps Regierung in größerem Umfang entfaltete, unsere Auf¬ merksamkeit besonders in Anspruch nimmt, das ist der verderbliche Einfluß, den das gewohnheitsmäßige Conspinren auf den Charakter und die politi¬ schen Sitten der Franzosen ausgeübt hat. Die unterdrückte Minorität — und die Unterdrückung der Minorität war ja die natürliche Consequenz des französischen Staatsprincips — gewöhnte sich daran, die Verschwörung als ein erlaubtes Kampfmittel zu betrachten: wie nach einem bekannten Worte in Rußland der Meuchelmord das Gegengewicht gegen den Czarendespotis- mus war, so sah man in Frankreich in der Verschwörung und in der Revo¬ lution das, wenn nicht gesetzliche, doch natürliche Mittel, von Zeit zu Zeit die im Staatsleben hervortretenden Gegensätze auszugleichen und die Härten des Centralisationsprincips zu mildern. Wer nicht hervorsteht, betrachtet sich als unterdrückt, und die Unterdrückten waren stets bereit, an die Gewalt zu appelliren; siegten sie, so waren sie die gefeierten Helden einer glorreichen Revolution, unterlagen sie, so machten sie in den leicht erregbaren Elementen der großstädtischen Bevölkerung, zumal bei der gebildeten Jugend, die in politischen Processen stets leidenschaftlich Partei ergriff für den Angeklagten, Propaganda für ihre Ansichten und vor Allem für ihre Personen. Die socialistisch-communistischen Bestrebungen, in die das auf Ertödtung der individuellen Freiheit abzielende französische Staatsprincip folge¬ recht ausläuft, fanden in der Restaurationszeit zwar geringe Beachtung, waren aber in der That in eifriger Arbeit begriffen. Bereits unter dem Di- rectovium hatte Babeuf den Versuch gewagt, die socialen Consequenzen der absolutistisch-demokratischen Grundsätze des Convents zu ziehen, aber in rohe- ster Weise, durch gleiche Vertheilung des Grundbesitzes. Sein gescheitertes Komplott hatte wesentlich dazu beigetragen, das socialistische Element, welches in den Principien von 1793 versteckt lag, in Mißcredit zu bringen und der Gesellschaft einen Blick in den Abgrund zu öffnen, in welchen die absolute Demokratie sie zu stürzen drohte. Aber zu tief war der Glaube an die Alles vermögende Kraft des Staates gewurzelt, um das Problem einer gleichmäßi¬ gen, durch Zwang zu erzielenden Vertheilung der irdischen Güter und Ge¬ nüsse nicht wenigstens zum Gegenstande metaphysischer Grübeleien zu machen. Schon zu den Zeiten des Kaiserthums waren Fourier und der Graf Se. Simon mit ihren Weltverbesserungsentwürfen aufgetreten, ohne indessen irgend eine Beachtung zu finden. Nicht viel besser erging es ihnen, als sie in der Restaurationszeit einen neuen Anlauf nahmen. Ihre Theorien, mochte auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/98>, abgerufen am 24.07.2024.