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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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weg aus den Schwierigkeiten der Lage sei. Lebhafte Befriedigung über das
Wiedereinsetzer des alten Königsgeschlechts empfanden nur diejenigen Classen,
denen Königthum und aveiou rsgimv gleichbedeutende Begriffe waren, welche
die Bourbons für verpflichtet hielten.und dahin drängten, einen systematischen
Kampf gegen die vernünftiger Weise nicht mehr in Frage zu stellenden Er¬
gebnisse der Revolution und gegen die in den Stürmen der Nevolutionsjahre
und in den Kriegen des Kaiserreichs emporgekommenen Personen zu eröffnen.

Dessen ungeachtet lagen die Verhältnisse anfänglich keineswegs ungünstig
für eine regelmäßige und friedliche Entwickelung im Sinne des Constitutiona-
lismus. Ludwig XVIII, so empfindlich ihn auch jede verfassungsmäßige Be¬
schränkung seiner Macht berührte, beabsichtigte doch nicht, sich über die Be¬
stimmungen der Verfassung hinwegzusetzen. Seine Einsicht sagte ihm, daß
der Bestand der Dynastie an die Erhaltung der Verfassung geknüpft sei. Das
tolle Wüthen der Ultras, die unmittelbar nach der Restauration ihrer Rach¬
sucht alle Zügel hatten schießen lassen, die in Nimes den Pöbel zu Protestan-
tenhctzen aufstachelten, die vereinzelte bonapartistische und republikanische Be¬
wegungen zur Begründung eines blutigen Schreckensystems ausnützten, war
dem Könige zuwider. Ihm schwebte vielmehr eine Vermittlungspolitik vor,
deren Gelingen indessen wesentlich von der Geneigtheit der gemäßigten Royali-
sten und der gemäßigten Liberalen, sich über die sie trennenden Erinnerungen
und Traditionen hinwegzusetzen, bedingt war. Vergessen mußte man auf
beiden Seiten, wenn man zusammenwirken wollte. Die Errungenschaften von
1789 rückgängig machen zu wollen, lag nicht in der Absicht Ludwigs und der
besonnenen Royalisten. Es kam also darauf an, daß man von der einen
Seite vermied, die Liberalen durch theoretische Angriffe auf Ergebnisse, die
man praktisch doch anerkennen mußte, zu reizen, während andrerseits den Li¬
beralen die Klugheit gebot, ihren Gewinn durch organische, praktische Gesetze
sicher zu stellen, nach ihren Principien zu handeln, sie aber möglichst wenig
im Munde zu führen, wodurch sie ihren fanatischen Gegnern nur Gelegenheit
boten, dieselben in Frage zu stellen.

Leider hatten indessen die schon erwähnten wilden Ausbrüche des reali¬
stischen Fanatismus in den ersten Monaten nach der Restauration die Stim¬
mung dermaßen verbittert, daß für eine ruhige und besonnene Auffassung der
Verhältnisse wenig Raum blieb. Die Ultraroyalisten im engen Bunde mit
der klerikalen Partei, die meisterhaft verstand (wir erinnern nur an I.
de Maistre), die Sache des Thrones und Altars zu einem großen, umfassen¬
den, der herrschenden Leidenschaft der Franzosen für geistreiche Consequenzmache-
rei schmeichelnden System zusammenzufassen, hatten den großen Vortheil, sich
auf den Thronfolger, den Grafen von Artois, bald stützen, bald sich hinter ihm
verstecken und mit seiner Autorität decken zu können. Sie glaubten sich im


weg aus den Schwierigkeiten der Lage sei. Lebhafte Befriedigung über das
Wiedereinsetzer des alten Königsgeschlechts empfanden nur diejenigen Classen,
denen Königthum und aveiou rsgimv gleichbedeutende Begriffe waren, welche
die Bourbons für verpflichtet hielten.und dahin drängten, einen systematischen
Kampf gegen die vernünftiger Weise nicht mehr in Frage zu stellenden Er¬
gebnisse der Revolution und gegen die in den Stürmen der Nevolutionsjahre
und in den Kriegen des Kaiserreichs emporgekommenen Personen zu eröffnen.

Dessen ungeachtet lagen die Verhältnisse anfänglich keineswegs ungünstig
für eine regelmäßige und friedliche Entwickelung im Sinne des Constitutiona-
lismus. Ludwig XVIII, so empfindlich ihn auch jede verfassungsmäßige Be¬
schränkung seiner Macht berührte, beabsichtigte doch nicht, sich über die Be¬
stimmungen der Verfassung hinwegzusetzen. Seine Einsicht sagte ihm, daß
der Bestand der Dynastie an die Erhaltung der Verfassung geknüpft sei. Das
tolle Wüthen der Ultras, die unmittelbar nach der Restauration ihrer Rach¬
sucht alle Zügel hatten schießen lassen, die in Nimes den Pöbel zu Protestan-
tenhctzen aufstachelten, die vereinzelte bonapartistische und republikanische Be¬
wegungen zur Begründung eines blutigen Schreckensystems ausnützten, war
dem Könige zuwider. Ihm schwebte vielmehr eine Vermittlungspolitik vor,
deren Gelingen indessen wesentlich von der Geneigtheit der gemäßigten Royali-
sten und der gemäßigten Liberalen, sich über die sie trennenden Erinnerungen
und Traditionen hinwegzusetzen, bedingt war. Vergessen mußte man auf
beiden Seiten, wenn man zusammenwirken wollte. Die Errungenschaften von
1789 rückgängig machen zu wollen, lag nicht in der Absicht Ludwigs und der
besonnenen Royalisten. Es kam also darauf an, daß man von der einen
Seite vermied, die Liberalen durch theoretische Angriffe auf Ergebnisse, die
man praktisch doch anerkennen mußte, zu reizen, während andrerseits den Li¬
beralen die Klugheit gebot, ihren Gewinn durch organische, praktische Gesetze
sicher zu stellen, nach ihren Principien zu handeln, sie aber möglichst wenig
im Munde zu führen, wodurch sie ihren fanatischen Gegnern nur Gelegenheit
boten, dieselben in Frage zu stellen.

Leider hatten indessen die schon erwähnten wilden Ausbrüche des reali¬
stischen Fanatismus in den ersten Monaten nach der Restauration die Stim¬
mung dermaßen verbittert, daß für eine ruhige und besonnene Auffassung der
Verhältnisse wenig Raum blieb. Die Ultraroyalisten im engen Bunde mit
der klerikalen Partei, die meisterhaft verstand (wir erinnern nur an I.
de Maistre), die Sache des Thrones und Altars zu einem großen, umfassen¬
den, der herrschenden Leidenschaft der Franzosen für geistreiche Consequenzmache-
rei schmeichelnden System zusammenzufassen, hatten den großen Vortheil, sich
auf den Thronfolger, den Grafen von Artois, bald stützen, bald sich hinter ihm
verstecken und mit seiner Autorität decken zu können. Sie glaubten sich im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/90>, abgerufen am 24.07.2024.