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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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sondern auch den Nachmittag sein nennen kann, der macht eine Partie auf's
Land,


wo das Rauschen des Bachs,
wo der blinkende Kiesel
Tugend und Weisheit lehrt.

Und wenn das auch nicht immer der Fall ist, so herrscht doch gesunde Lust,
frisches, freies, fröhliches Jugend- und auch sittiges, gemüthvolles Familienleben
in diesen sämmtlichen Vergnügungen vor, obgleich Berlin mehr und mehr
"Weltstadt wird." Viele bezweifeln das freilich und sprechen uns jede An¬
lage für eine solche Laufbahn ab. Die Sache hat auch ihre ernste Bedeutung.
Die "Weltstadt" hängt auf das Innigste mit der Centralisation des nationa¬
len Lebens zusammen und eine solche liegt nun einmal nicht in dem deutschen
Charakter. Als die ersten Nachrichten von den Gräuelthaten der Pariser
Commune die Welt erschütterten, that ein großes, freisinniges und geistvoll
redigirtes Provinzialblatt in seinem und seiner Leser Namen ein pathetisches
Gelübde, nie zu dulden, daß Berlin ein Paris werde, und. ob laut oder nicht
laut ausgesprochen: ein ähnlicher Gedanke lebt in jeder Provinzialhauptstadt,
in Köln wie in Königsberg, in Breslau wie in Stettin. Er war vor dem
Kriege vorhanden und hat sich während des Krieges stark gesteigert, wozu
die landsmannschaftliche Zusammengehörigkeit der einzelnen Armee-Corps (auch
eine jener Institutionen, welche erst in fernen Jahrhunderten, wenn auch sie
dem Verderben anheimgefallen sein wird, das alles Bestehende bedroht, ein
Geschichtsschreiber und Philosoph erst vollständig bewundernd würdigen wird)
außerordentlich viel beiträgt. Provinzielle Selbständigkeit und einheitliche,
stramme Leitung von Oben sind niemals so wirkungsvoll und glücklich ver¬
einigt worden, als in Preußen, und wie man schon deutlich erkennen kann,
daß sich die 1866 neuerworbenen Provinzen vollkommen in den Organismus
des Ganzen einfügen, ohne der Fliehkraft ein Uebergewicht zu geben, so läßt
sich auch erwarten, daß allmälig das ganze Deutschland in ähnlicher Weise,
wie es früher Preußen'gethan hat, in seinen Gliedern selbständiges Leben be¬
wahrt, ohne die Einheit aufzugeben. Wir wollen nicht, daß Deutschlands
Kopf und Herz in einer Stadt liege, wie die Franzosen von Paris sprechen,
sondern das Leben soll überall gleich stark, gleich edel sein. Der ganze ru¬
hige, praktische, nüchterne Mechanismus der Regierung sorgt auch dafür, daß
Berlin kein nachtheiliges Uebergewicht erhält. Er erreicht, was die Amerika¬
ner dadurch erreichen, daß sie Washington zur Bundeshauptstadt machen und
was die Franzosen erreichen wollen, indem sie die Regierung gern von Paris
fern halten wollen. Aber dies ist immer nur ein Nothbehelf, denn der na¬
türliche Platz der Regierung ist da, wo die reichsten materiellen und geistigen
Mittel versammelt sind und die Gefahr liegt nur darin, daß eine große


sondern auch den Nachmittag sein nennen kann, der macht eine Partie auf's
Land,


wo das Rauschen des Bachs,
wo der blinkende Kiesel
Tugend und Weisheit lehrt.

Und wenn das auch nicht immer der Fall ist, so herrscht doch gesunde Lust,
frisches, freies, fröhliches Jugend- und auch sittiges, gemüthvolles Familienleben
in diesen sämmtlichen Vergnügungen vor, obgleich Berlin mehr und mehr
„Weltstadt wird." Viele bezweifeln das freilich und sprechen uns jede An¬
lage für eine solche Laufbahn ab. Die Sache hat auch ihre ernste Bedeutung.
Die „Weltstadt" hängt auf das Innigste mit der Centralisation des nationa¬
len Lebens zusammen und eine solche liegt nun einmal nicht in dem deutschen
Charakter. Als die ersten Nachrichten von den Gräuelthaten der Pariser
Commune die Welt erschütterten, that ein großes, freisinniges und geistvoll
redigirtes Provinzialblatt in seinem und seiner Leser Namen ein pathetisches
Gelübde, nie zu dulden, daß Berlin ein Paris werde, und. ob laut oder nicht
laut ausgesprochen: ein ähnlicher Gedanke lebt in jeder Provinzialhauptstadt,
in Köln wie in Königsberg, in Breslau wie in Stettin. Er war vor dem
Kriege vorhanden und hat sich während des Krieges stark gesteigert, wozu
die landsmannschaftliche Zusammengehörigkeit der einzelnen Armee-Corps (auch
eine jener Institutionen, welche erst in fernen Jahrhunderten, wenn auch sie
dem Verderben anheimgefallen sein wird, das alles Bestehende bedroht, ein
Geschichtsschreiber und Philosoph erst vollständig bewundernd würdigen wird)
außerordentlich viel beiträgt. Provinzielle Selbständigkeit und einheitliche,
stramme Leitung von Oben sind niemals so wirkungsvoll und glücklich ver¬
einigt worden, als in Preußen, und wie man schon deutlich erkennen kann,
daß sich die 1866 neuerworbenen Provinzen vollkommen in den Organismus
des Ganzen einfügen, ohne der Fliehkraft ein Uebergewicht zu geben, so läßt
sich auch erwarten, daß allmälig das ganze Deutschland in ähnlicher Weise,
wie es früher Preußen'gethan hat, in seinen Gliedern selbständiges Leben be¬
wahrt, ohne die Einheit aufzugeben. Wir wollen nicht, daß Deutschlands
Kopf und Herz in einer Stadt liege, wie die Franzosen von Paris sprechen,
sondern das Leben soll überall gleich stark, gleich edel sein. Der ganze ru¬
hige, praktische, nüchterne Mechanismus der Regierung sorgt auch dafür, daß
Berlin kein nachtheiliges Uebergewicht erhält. Er erreicht, was die Amerika¬
ner dadurch erreichen, daß sie Washington zur Bundeshauptstadt machen und
was die Franzosen erreichen wollen, indem sie die Regierung gern von Paris
fern halten wollen. Aber dies ist immer nur ein Nothbehelf, denn der na¬
türliche Platz der Regierung ist da, wo die reichsten materiellen und geistigen
Mittel versammelt sind und die Gefahr liegt nur darin, daß eine große


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/85>, abgerufen am 24.07.2024.