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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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um eine richtige Vorstellung von der Bedeutung dieses Jubeltags zu gewin¬
nen. Die Römer, welche gewohnt waren, bei großen Gelegenheiten Hunderte,
ja Tausende hochgestellter Prälaten und anderer Kirchenlichter in Rom ein¬
treffen zu sehen, lachen jetzt über den Anblick der paar tausend gläubigen
Pilger, welche die katholischen Comites in Oesterreich, Frankreich und Belgien
mit vieler Mühe zusammengetrommelt haben. Die meisten sind offenbar
bloße Bäuerlein, und es ist höchst spaßhaft, zu sehen, wie sie die Peterskirche
ohne auch nur einen Gedanken an die Schönheit dieses Bauwerks besuchen
und einfach die Menge der Kerzen zählen, die für die morgen stattfindende
gottesdienstliche Schaustellung aufgesteckt sind, oder die reichen Draperien und
die aufgehangenen. Goldsachen bewundern. Diese Pilgrime sind in regel¬
mäßigen Caravanen hierher geliefert und dann in die verschiedenen Gasthäu¬
ser, zum Theil selbst in Klöster abgesetzt worden. Sie scheinen vollständig
von ihren Führern abzuhängen, welche alles: Droschken, Hotelrechnungen
u. s. w. für sie bezahlten und ihnen zu bestimmter Stunde ihr Frühstück und
ihr Mittagsbrod gaben. Unter allen diesen Leuten findet man kaum einen
italienischen Priester, obwohl ein vom Premier in Florenz an die Präfecten
gerichtetes Rundschreiben den speciellen Befehl ertheilte, den Priestern, welche
nach Rom zu gehen beabsichtigten, nicht das geringste Hinderniß in den Weg
zu legen. Es ist nicht zu zweifeln, daß die Absicht der Jesuiten einfach dahin
ging, einen Haufen "fremder Unterthanen" in Rom zu haben, von denen sich
hoffen ließ, ihre Anwesenheit in der ewigen Stadt werde die öffentliche Ent¬
rüstung hervorrufen und vielleicht sogar Gewaltthätigkeiten zur Folge haben.
Das würde gewiß der beste Weg gewesen sein, die Aufmerksamkeit fremder
Regierungen auf die Sache zu lenken. Aber die Jesuiten haben ihre Rech¬
nung ohne den Wirth gemacht. Die gewaltthätigsten ultraradicalen Blätter,
von den gemäßigten gar nicht zu reden, haben die letzten drei Tage die Be¬
völkerung inständig gebeten, sich ganz ruhig zu verhalten und diesen fremden
Pilgern zu zeigen, daß die Achtung des italienischen Volkes vor den religiö¬
sen Gefühlen der ganzen Welt keine bloße Redensart ist.

Ich selbst war diesen Morgen in Sanct Peter und blieb etwa eine Vier-'
telstunde vor dem Thore des Baticanischen Palastes. Oben an der Treppe
waren etwa sechs oder sieben Schweizergardisten in ihrer malerischen Tracht
und zehn oder zwölf päpstliche Gendarmen, während unten am Fuße der
Treppe acht bis zehn italienische Carabiniers und Polizisten standen. Einige
zwanzig Kutschen kamen während der wenigen Minuten meines Verbleibens
hier an. Alle Damen, welche aus denselben stiegen, trugen schwarze Kleider
und weiß und gelbe Schärpen, die Wappenfarben des Papstes. Die Herren
waren schwarz gekleidet und hatten an ihren Hüten weiß und gelbe Kokarden.
Ich muß gestehen, daß ich ziemlich erstaunt war über die ausgesuchte Genero-


um eine richtige Vorstellung von der Bedeutung dieses Jubeltags zu gewin¬
nen. Die Römer, welche gewohnt waren, bei großen Gelegenheiten Hunderte,
ja Tausende hochgestellter Prälaten und anderer Kirchenlichter in Rom ein¬
treffen zu sehen, lachen jetzt über den Anblick der paar tausend gläubigen
Pilger, welche die katholischen Comites in Oesterreich, Frankreich und Belgien
mit vieler Mühe zusammengetrommelt haben. Die meisten sind offenbar
bloße Bäuerlein, und es ist höchst spaßhaft, zu sehen, wie sie die Peterskirche
ohne auch nur einen Gedanken an die Schönheit dieses Bauwerks besuchen
und einfach die Menge der Kerzen zählen, die für die morgen stattfindende
gottesdienstliche Schaustellung aufgesteckt sind, oder die reichen Draperien und
die aufgehangenen. Goldsachen bewundern. Diese Pilgrime sind in regel¬
mäßigen Caravanen hierher geliefert und dann in die verschiedenen Gasthäu¬
ser, zum Theil selbst in Klöster abgesetzt worden. Sie scheinen vollständig
von ihren Führern abzuhängen, welche alles: Droschken, Hotelrechnungen
u. s. w. für sie bezahlten und ihnen zu bestimmter Stunde ihr Frühstück und
ihr Mittagsbrod gaben. Unter allen diesen Leuten findet man kaum einen
italienischen Priester, obwohl ein vom Premier in Florenz an die Präfecten
gerichtetes Rundschreiben den speciellen Befehl ertheilte, den Priestern, welche
nach Rom zu gehen beabsichtigten, nicht das geringste Hinderniß in den Weg
zu legen. Es ist nicht zu zweifeln, daß die Absicht der Jesuiten einfach dahin
ging, einen Haufen „fremder Unterthanen" in Rom zu haben, von denen sich
hoffen ließ, ihre Anwesenheit in der ewigen Stadt werde die öffentliche Ent¬
rüstung hervorrufen und vielleicht sogar Gewaltthätigkeiten zur Folge haben.
Das würde gewiß der beste Weg gewesen sein, die Aufmerksamkeit fremder
Regierungen auf die Sache zu lenken. Aber die Jesuiten haben ihre Rech¬
nung ohne den Wirth gemacht. Die gewaltthätigsten ultraradicalen Blätter,
von den gemäßigten gar nicht zu reden, haben die letzten drei Tage die Be¬
völkerung inständig gebeten, sich ganz ruhig zu verhalten und diesen fremden
Pilgern zu zeigen, daß die Achtung des italienischen Volkes vor den religiö¬
sen Gefühlen der ganzen Welt keine bloße Redensart ist.

Ich selbst war diesen Morgen in Sanct Peter und blieb etwa eine Vier-'
telstunde vor dem Thore des Baticanischen Palastes. Oben an der Treppe
waren etwa sechs oder sieben Schweizergardisten in ihrer malerischen Tracht
und zehn oder zwölf päpstliche Gendarmen, während unten am Fuße der
Treppe acht bis zehn italienische Carabiniers und Polizisten standen. Einige
zwanzig Kutschen kamen während der wenigen Minuten meines Verbleibens
hier an. Alle Damen, welche aus denselben stiegen, trugen schwarze Kleider
und weiß und gelbe Schärpen, die Wappenfarben des Papstes. Die Herren
waren schwarz gekleidet und hatten an ihren Hüten weiß und gelbe Kokarden.
Ich muß gestehen, daß ich ziemlich erstaunt war über die ausgesuchte Genero-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/68>, abgerufen am 24.07.2024.