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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Der neue Föderalismus ist nichts, als die Rückkehr zu dem Gedanken der
Octoberdiplome, zu dem Föderalismus mit localen Parlamenten, deren Kom¬
petenz nicht an die Reichsangelegenheiten heranreicht. Denn der gemeinsame
Reichsrath wird bald verschwinden oder eine bloße Scheinfigur darstellen, wenn
die Pläne des jetzigen Ministeriums zur Erweiterung der Provinzialautonomie
ins Leben treten.

Wir müssen aber fragen, wie das Cavalierregiment dazu kommt, die
vor 11 Jahren eingeschlagenen und sogleich wieder verlassenen Pfade des
äiviä<z et impeig. abermals aufzusuchen. Die Antwort kann keine andere
sein als die: Weil sich die Unmöglichkeit herausgestellt hat, zuerst für den
östreichischen Gesammtstaat, jetzt auch für die cisleithanische Hälfte, das Staats¬
wesen auf parlamentarischem Wege zu centralisiren. Die Unmöglichkeit liegt
einfach darin, weil die Deutschen, die einzigen denkbaren Träger einer par¬
lamentarischen Centralisation, gegen die übrigen Völkerschaften in der Mino¬
rität sind. Die übrigen Völkerschaften, Polen, Czechen u. s. w., wollen eine
an Separatismus reichende Autonomie mit einem Minimum von Reichsge¬
meinsamkeit. Dabei will jede dieser Völkerschaften natürlich in weiteren Gren¬
zen herrschen, als ihr zukommt. Insofern handelt es sich allerdings um eine
theilweise Unterdrückung des über den ganzen Staat zerstreuten deutschen
Elementes. Aber, wie gesagt, es handelt sich nicht um eine Centralisation
Cisleirhaniens zu Gunsten irgend einer barbarischen Völkerschaft.

Wir Deutsche im Reich dürfen die Lage unserer Brüder in Oestreich von
ganzem Herzen bedauern. Aber wir kommen ganz und gar in Verlegenheit,
wenn wir ihnen helfen oder auch nur rathen sollen. Der jetzige Versuch des
Cavalierregimentes, mit Hülfe der halbbarbarischen Völkerschaften die alte
höfisch aristokratische Centralisation festzuhalten, trägt den Charakter einer
natürlichen Nothwendigkeit. Es ist das Unglück der Deutschen in Oestreich,
daß sie als Minorität auf parlamentarischem Wege keine Aussicht haben, die
Herrschaft zu behaupten. Als Werkzeug einer reactionciren Dictatur, wie
unter dem System Bach, wollen sie nicht herrschen. Eine erleuchtete Dictatur
kann ein Volk nicht schaffen, wenn sie nicht vom Himmel fällt. Deßhalb
streben die Deutschen nach dem Parlamentarismus. Dieser aber entreißt ihnen
das Heft des Reiches und führt sie in die Grenzen einer localen Autonomie,
die nur fo weit reicht, als die Deutschen compact zusammen wohnen. Darum
handelt es sich gegenwärtig, ,

Hätte das deutsche parlamentarische Ministerium, das sogenannte Bürger¬
ministerium der Giskra, Herbst u. s. w. die Folgerichtigkeit und die Kraft ge¬
habt, wie Rechbauer wollte, Galizien aus dem cisleithanischen Verband zu
entlassen und für die übrigen Länder einen Reichsrath aus directen Wahlen
zu schaffen, so hätte man der Czechen und Slovenen wohl Herr werden ton-


Der neue Föderalismus ist nichts, als die Rückkehr zu dem Gedanken der
Octoberdiplome, zu dem Föderalismus mit localen Parlamenten, deren Kom¬
petenz nicht an die Reichsangelegenheiten heranreicht. Denn der gemeinsame
Reichsrath wird bald verschwinden oder eine bloße Scheinfigur darstellen, wenn
die Pläne des jetzigen Ministeriums zur Erweiterung der Provinzialautonomie
ins Leben treten.

Wir müssen aber fragen, wie das Cavalierregiment dazu kommt, die
vor 11 Jahren eingeschlagenen und sogleich wieder verlassenen Pfade des
äiviä<z et impeig. abermals aufzusuchen. Die Antwort kann keine andere
sein als die: Weil sich die Unmöglichkeit herausgestellt hat, zuerst für den
östreichischen Gesammtstaat, jetzt auch für die cisleithanische Hälfte, das Staats¬
wesen auf parlamentarischem Wege zu centralisiren. Die Unmöglichkeit liegt
einfach darin, weil die Deutschen, die einzigen denkbaren Träger einer par¬
lamentarischen Centralisation, gegen die übrigen Völkerschaften in der Mino¬
rität sind. Die übrigen Völkerschaften, Polen, Czechen u. s. w., wollen eine
an Separatismus reichende Autonomie mit einem Minimum von Reichsge¬
meinsamkeit. Dabei will jede dieser Völkerschaften natürlich in weiteren Gren¬
zen herrschen, als ihr zukommt. Insofern handelt es sich allerdings um eine
theilweise Unterdrückung des über den ganzen Staat zerstreuten deutschen
Elementes. Aber, wie gesagt, es handelt sich nicht um eine Centralisation
Cisleirhaniens zu Gunsten irgend einer barbarischen Völkerschaft.

Wir Deutsche im Reich dürfen die Lage unserer Brüder in Oestreich von
ganzem Herzen bedauern. Aber wir kommen ganz und gar in Verlegenheit,
wenn wir ihnen helfen oder auch nur rathen sollen. Der jetzige Versuch des
Cavalierregimentes, mit Hülfe der halbbarbarischen Völkerschaften die alte
höfisch aristokratische Centralisation festzuhalten, trägt den Charakter einer
natürlichen Nothwendigkeit. Es ist das Unglück der Deutschen in Oestreich,
daß sie als Minorität auf parlamentarischem Wege keine Aussicht haben, die
Herrschaft zu behaupten. Als Werkzeug einer reactionciren Dictatur, wie
unter dem System Bach, wollen sie nicht herrschen. Eine erleuchtete Dictatur
kann ein Volk nicht schaffen, wenn sie nicht vom Himmel fällt. Deßhalb
streben die Deutschen nach dem Parlamentarismus. Dieser aber entreißt ihnen
das Heft des Reiches und führt sie in die Grenzen einer localen Autonomie,
die nur fo weit reicht, als die Deutschen compact zusammen wohnen. Darum
handelt es sich gegenwärtig, ,

Hätte das deutsche parlamentarische Ministerium, das sogenannte Bürger¬
ministerium der Giskra, Herbst u. s. w. die Folgerichtigkeit und die Kraft ge¬
habt, wie Rechbauer wollte, Galizien aus dem cisleithanischen Verband zu
entlassen und für die übrigen Länder einen Reichsrath aus directen Wahlen
zu schaffen, so hätte man der Czechen und Slovenen wohl Herr werden ton-


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[0562] Der neue Föderalismus ist nichts, als die Rückkehr zu dem Gedanken der Octoberdiplome, zu dem Föderalismus mit localen Parlamenten, deren Kom¬ petenz nicht an die Reichsangelegenheiten heranreicht. Denn der gemeinsame Reichsrath wird bald verschwinden oder eine bloße Scheinfigur darstellen, wenn die Pläne des jetzigen Ministeriums zur Erweiterung der Provinzialautonomie ins Leben treten. Wir müssen aber fragen, wie das Cavalierregiment dazu kommt, die vor 11 Jahren eingeschlagenen und sogleich wieder verlassenen Pfade des äiviä<z et impeig. abermals aufzusuchen. Die Antwort kann keine andere sein als die: Weil sich die Unmöglichkeit herausgestellt hat, zuerst für den östreichischen Gesammtstaat, jetzt auch für die cisleithanische Hälfte, das Staats¬ wesen auf parlamentarischem Wege zu centralisiren. Die Unmöglichkeit liegt einfach darin, weil die Deutschen, die einzigen denkbaren Träger einer par¬ lamentarischen Centralisation, gegen die übrigen Völkerschaften in der Mino¬ rität sind. Die übrigen Völkerschaften, Polen, Czechen u. s. w., wollen eine an Separatismus reichende Autonomie mit einem Minimum von Reichsge¬ meinsamkeit. Dabei will jede dieser Völkerschaften natürlich in weiteren Gren¬ zen herrschen, als ihr zukommt. Insofern handelt es sich allerdings um eine theilweise Unterdrückung des über den ganzen Staat zerstreuten deutschen Elementes. Aber, wie gesagt, es handelt sich nicht um eine Centralisation Cisleirhaniens zu Gunsten irgend einer barbarischen Völkerschaft. Wir Deutsche im Reich dürfen die Lage unserer Brüder in Oestreich von ganzem Herzen bedauern. Aber wir kommen ganz und gar in Verlegenheit, wenn wir ihnen helfen oder auch nur rathen sollen. Der jetzige Versuch des Cavalierregimentes, mit Hülfe der halbbarbarischen Völkerschaften die alte höfisch aristokratische Centralisation festzuhalten, trägt den Charakter einer natürlichen Nothwendigkeit. Es ist das Unglück der Deutschen in Oestreich, daß sie als Minorität auf parlamentarischem Wege keine Aussicht haben, die Herrschaft zu behaupten. Als Werkzeug einer reactionciren Dictatur, wie unter dem System Bach, wollen sie nicht herrschen. Eine erleuchtete Dictatur kann ein Volk nicht schaffen, wenn sie nicht vom Himmel fällt. Deßhalb streben die Deutschen nach dem Parlamentarismus. Dieser aber entreißt ihnen das Heft des Reiches und führt sie in die Grenzen einer localen Autonomie, die nur fo weit reicht, als die Deutschen compact zusammen wohnen. Darum handelt es sich gegenwärtig, , Hätte das deutsche parlamentarische Ministerium, das sogenannte Bürger¬ ministerium der Giskra, Herbst u. s. w. die Folgerichtigkeit und die Kraft ge¬ habt, wie Rechbauer wollte, Galizien aus dem cisleithanischen Verband zu entlassen und für die übrigen Länder einen Reichsrath aus directen Wahlen zu schaffen, so hätte man der Czechen und Slovenen wohl Herr werden ton-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/562>, abgerufen am 24.07.2024.