Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wohlbefestigten Kraft in Bewegung gesetzt würden. Werfen wir einen Blick
aus die Geschichte Oestreichs.

Seit der gewaltsamen Niederwerfung des Protestantismus im 17. Jahr¬
hundert ist dieses Reich ein Cavalier- und Jesuitenstaat geworden und ge¬
blieben. Die von den Jesuiten beherrschte Kirche und der in den Händen
eines ahnenreichen Adels befindliche Großgrundbesitz waren die ausschlaggeben¬
den Mächte im Staat, wie die vornehmsten Kräfte der Gesellschaft. Daneben
gab es einen abhängigen Bauernstand und ein Bürgerthum, das nur zer¬
streut an sehr wenigen Punkten, namentlich in der Reichshauptstadt, einiger¬
maßen Reichthum, Bildung und Bedeutung erlangte. In einem solchen
Staat mußte die Masse der nichtdeutschen Bevölkerung in naturwüchsiger
Rohheit bleiben. Die verhältnißmäßig kleine Zahl des deutschen Volkes er¬
langte keine hohe Bildung, aber die köstlichen Schätze des deutschen Gemüthes
blieben unzerstört bei einer Existenz, die wenig Schwung und großes Pflicht¬
gefühl, aber auch im Ganzen keinen harten Kampf ums Dasein forderte. Die
Cavaliere der sämmtlichen im Kaiserstaat vereinigten Nationalitäten wurden
das, was unter ähnlichen Bedingungen jede privilegirte Kaste wird. Sie
liebten so zu sagen den Staat, den sie beherrschten. Aber das war keine
Liebe voll Pflicht und Aufopferung. Man kann einen großen Besitz gebrau¬
chen und unentbehrlich finden, man respectirt ihn darum noch nicht. Der
herrschende Stand der östreichischen Monarchie waren vornehme Herren in
Europa, sie repräsentirten ein Haus, das in der neueren.Geschichte die große
Politik zuerst betrieben und seitdem ununterbrochen geübt hatte. Als Rival
des spanisch-habsburgischen Hauses war Frankreich und noch später England
langsam genug emporgekommen. Wenn die östreichischen Cavaliere vornehm
waren in Europa, so waren sie zu Hause die Einzigen. Neben ihnen gab es
nichts, unter ihnen galt nichts. Die ungarischen Edelleute bildeten ein Corps
für sich. Sie beanspruchten die ersten im Reich zu sein und neben den Pri-
vilegien der Klasse noch individuelle Privilegien zu besitzen. Das gab zu¬
weilen Hader, im ganzen vertrug man sich.

Ein solches Staatswesen kann seine Grundlage nur im Ackerbau haben
und nur auf einem gesegneten Boden werden die Mängel einer solchen so¬
cialen Cultur ein gewisses Behagen auch der unteren Klassen aufkommen
lassen. Das traf nun hier zu. Dazu aber reichen die Kräfte eines so ge¬
arteten Staatswesens nicht aus -- bei einem lange fortgesetzten Kampfe um die
Oberherrschaft des Welttheils, wenn man nach zahlreichen Unglücksschlägen
sich schließlich behauptet -- auch noch die Kosten solcher Kämpfe aufzubringen,
die man sich von keinem besiegten Feinde zurückerstatten lassen kann. Das
war nun grade der Fall. Oestreich hatte in den napoleonischen Kämpfen
eine unglaubliche Widerstandskraft entwickelt, es hatte die zerschmetterndsten


wohlbefestigten Kraft in Bewegung gesetzt würden. Werfen wir einen Blick
aus die Geschichte Oestreichs.

Seit der gewaltsamen Niederwerfung des Protestantismus im 17. Jahr¬
hundert ist dieses Reich ein Cavalier- und Jesuitenstaat geworden und ge¬
blieben. Die von den Jesuiten beherrschte Kirche und der in den Händen
eines ahnenreichen Adels befindliche Großgrundbesitz waren die ausschlaggeben¬
den Mächte im Staat, wie die vornehmsten Kräfte der Gesellschaft. Daneben
gab es einen abhängigen Bauernstand und ein Bürgerthum, das nur zer¬
streut an sehr wenigen Punkten, namentlich in der Reichshauptstadt, einiger¬
maßen Reichthum, Bildung und Bedeutung erlangte. In einem solchen
Staat mußte die Masse der nichtdeutschen Bevölkerung in naturwüchsiger
Rohheit bleiben. Die verhältnißmäßig kleine Zahl des deutschen Volkes er¬
langte keine hohe Bildung, aber die köstlichen Schätze des deutschen Gemüthes
blieben unzerstört bei einer Existenz, die wenig Schwung und großes Pflicht¬
gefühl, aber auch im Ganzen keinen harten Kampf ums Dasein forderte. Die
Cavaliere der sämmtlichen im Kaiserstaat vereinigten Nationalitäten wurden
das, was unter ähnlichen Bedingungen jede privilegirte Kaste wird. Sie
liebten so zu sagen den Staat, den sie beherrschten. Aber das war keine
Liebe voll Pflicht und Aufopferung. Man kann einen großen Besitz gebrau¬
chen und unentbehrlich finden, man respectirt ihn darum noch nicht. Der
herrschende Stand der östreichischen Monarchie waren vornehme Herren in
Europa, sie repräsentirten ein Haus, das in der neueren.Geschichte die große
Politik zuerst betrieben und seitdem ununterbrochen geübt hatte. Als Rival
des spanisch-habsburgischen Hauses war Frankreich und noch später England
langsam genug emporgekommen. Wenn die östreichischen Cavaliere vornehm
waren in Europa, so waren sie zu Hause die Einzigen. Neben ihnen gab es
nichts, unter ihnen galt nichts. Die ungarischen Edelleute bildeten ein Corps
für sich. Sie beanspruchten die ersten im Reich zu sein und neben den Pri-
vilegien der Klasse noch individuelle Privilegien zu besitzen. Das gab zu¬
weilen Hader, im ganzen vertrug man sich.

Ein solches Staatswesen kann seine Grundlage nur im Ackerbau haben
und nur auf einem gesegneten Boden werden die Mängel einer solchen so¬
cialen Cultur ein gewisses Behagen auch der unteren Klassen aufkommen
lassen. Das traf nun hier zu. Dazu aber reichen die Kräfte eines so ge¬
arteten Staatswesens nicht aus — bei einem lange fortgesetzten Kampfe um die
Oberherrschaft des Welttheils, wenn man nach zahlreichen Unglücksschlägen
sich schließlich behauptet — auch noch die Kosten solcher Kämpfe aufzubringen,
die man sich von keinem besiegten Feinde zurückerstatten lassen kann. Das
war nun grade der Fall. Oestreich hatte in den napoleonischen Kämpfen
eine unglaubliche Widerstandskraft entwickelt, es hatte die zerschmetterndsten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0558" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126834"/>
          <p xml:id="ID_1698" prev="#ID_1697"> wohlbefestigten Kraft in Bewegung gesetzt würden. Werfen wir einen Blick<lb/>
aus die Geschichte Oestreichs.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1699"> Seit der gewaltsamen Niederwerfung des Protestantismus im 17. Jahr¬<lb/>
hundert ist dieses Reich ein Cavalier- und Jesuitenstaat geworden und ge¬<lb/>
blieben. Die von den Jesuiten beherrschte Kirche und der in den Händen<lb/>
eines ahnenreichen Adels befindliche Großgrundbesitz waren die ausschlaggeben¬<lb/>
den Mächte im Staat, wie die vornehmsten Kräfte der Gesellschaft. Daneben<lb/>
gab es einen abhängigen Bauernstand und ein Bürgerthum, das nur zer¬<lb/>
streut an sehr wenigen Punkten, namentlich in der Reichshauptstadt, einiger¬<lb/>
maßen Reichthum, Bildung und Bedeutung erlangte. In einem solchen<lb/>
Staat mußte die Masse der nichtdeutschen Bevölkerung in naturwüchsiger<lb/>
Rohheit bleiben. Die verhältnißmäßig kleine Zahl des deutschen Volkes er¬<lb/>
langte keine hohe Bildung, aber die köstlichen Schätze des deutschen Gemüthes<lb/>
blieben unzerstört bei einer Existenz, die wenig Schwung und großes Pflicht¬<lb/>
gefühl, aber auch im Ganzen keinen harten Kampf ums Dasein forderte. Die<lb/>
Cavaliere der sämmtlichen im Kaiserstaat vereinigten Nationalitäten wurden<lb/>
das, was unter ähnlichen Bedingungen jede privilegirte Kaste wird. Sie<lb/>
liebten so zu sagen den Staat, den sie beherrschten. Aber das war keine<lb/>
Liebe voll Pflicht und Aufopferung. Man kann einen großen Besitz gebrau¬<lb/>
chen und unentbehrlich finden, man respectirt ihn darum noch nicht. Der<lb/>
herrschende Stand der östreichischen Monarchie waren vornehme Herren in<lb/>
Europa, sie repräsentirten ein Haus, das in der neueren.Geschichte die große<lb/>
Politik zuerst betrieben und seitdem ununterbrochen geübt hatte. Als Rival<lb/>
des spanisch-habsburgischen Hauses war Frankreich und noch später England<lb/>
langsam genug emporgekommen. Wenn die östreichischen Cavaliere vornehm<lb/>
waren in Europa, so waren sie zu Hause die Einzigen. Neben ihnen gab es<lb/>
nichts, unter ihnen galt nichts. Die ungarischen Edelleute bildeten ein Corps<lb/>
für sich. Sie beanspruchten die ersten im Reich zu sein und neben den Pri-<lb/>
vilegien der Klasse noch individuelle Privilegien zu besitzen. Das gab zu¬<lb/>
weilen Hader, im ganzen vertrug man sich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1700" next="#ID_1701"> Ein solches Staatswesen kann seine Grundlage nur im Ackerbau haben<lb/>
und nur auf einem gesegneten Boden werden die Mängel einer solchen so¬<lb/>
cialen Cultur ein gewisses Behagen auch der unteren Klassen aufkommen<lb/>
lassen. Das traf nun hier zu. Dazu aber reichen die Kräfte eines so ge¬<lb/>
arteten Staatswesens nicht aus &#x2014; bei einem lange fortgesetzten Kampfe um die<lb/>
Oberherrschaft des Welttheils, wenn man nach zahlreichen Unglücksschlägen<lb/>
sich schließlich behauptet &#x2014; auch noch die Kosten solcher Kämpfe aufzubringen,<lb/>
die man sich von keinem besiegten Feinde zurückerstatten lassen kann. Das<lb/>
war nun grade der Fall. Oestreich hatte in den napoleonischen Kämpfen<lb/>
eine unglaubliche Widerstandskraft entwickelt, es hatte die zerschmetterndsten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0558] wohlbefestigten Kraft in Bewegung gesetzt würden. Werfen wir einen Blick aus die Geschichte Oestreichs. Seit der gewaltsamen Niederwerfung des Protestantismus im 17. Jahr¬ hundert ist dieses Reich ein Cavalier- und Jesuitenstaat geworden und ge¬ blieben. Die von den Jesuiten beherrschte Kirche und der in den Händen eines ahnenreichen Adels befindliche Großgrundbesitz waren die ausschlaggeben¬ den Mächte im Staat, wie die vornehmsten Kräfte der Gesellschaft. Daneben gab es einen abhängigen Bauernstand und ein Bürgerthum, das nur zer¬ streut an sehr wenigen Punkten, namentlich in der Reichshauptstadt, einiger¬ maßen Reichthum, Bildung und Bedeutung erlangte. In einem solchen Staat mußte die Masse der nichtdeutschen Bevölkerung in naturwüchsiger Rohheit bleiben. Die verhältnißmäßig kleine Zahl des deutschen Volkes er¬ langte keine hohe Bildung, aber die köstlichen Schätze des deutschen Gemüthes blieben unzerstört bei einer Existenz, die wenig Schwung und großes Pflicht¬ gefühl, aber auch im Ganzen keinen harten Kampf ums Dasein forderte. Die Cavaliere der sämmtlichen im Kaiserstaat vereinigten Nationalitäten wurden das, was unter ähnlichen Bedingungen jede privilegirte Kaste wird. Sie liebten so zu sagen den Staat, den sie beherrschten. Aber das war keine Liebe voll Pflicht und Aufopferung. Man kann einen großen Besitz gebrau¬ chen und unentbehrlich finden, man respectirt ihn darum noch nicht. Der herrschende Stand der östreichischen Monarchie waren vornehme Herren in Europa, sie repräsentirten ein Haus, das in der neueren.Geschichte die große Politik zuerst betrieben und seitdem ununterbrochen geübt hatte. Als Rival des spanisch-habsburgischen Hauses war Frankreich und noch später England langsam genug emporgekommen. Wenn die östreichischen Cavaliere vornehm waren in Europa, so waren sie zu Hause die Einzigen. Neben ihnen gab es nichts, unter ihnen galt nichts. Die ungarischen Edelleute bildeten ein Corps für sich. Sie beanspruchten die ersten im Reich zu sein und neben den Pri- vilegien der Klasse noch individuelle Privilegien zu besitzen. Das gab zu¬ weilen Hader, im ganzen vertrug man sich. Ein solches Staatswesen kann seine Grundlage nur im Ackerbau haben und nur auf einem gesegneten Boden werden die Mängel einer solchen so¬ cialen Cultur ein gewisses Behagen auch der unteren Klassen aufkommen lassen. Das traf nun hier zu. Dazu aber reichen die Kräfte eines so ge¬ arteten Staatswesens nicht aus — bei einem lange fortgesetzten Kampfe um die Oberherrschaft des Welttheils, wenn man nach zahlreichen Unglücksschlägen sich schließlich behauptet — auch noch die Kosten solcher Kämpfe aufzubringen, die man sich von keinem besiegten Feinde zurückerstatten lassen kann. Das war nun grade der Fall. Oestreich hatte in den napoleonischen Kämpfen eine unglaubliche Widerstandskraft entwickelt, es hatte die zerschmetterndsten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/558
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/558>, abgerufen am 24.07.2024.