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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Von den andern poetischen Richtungen der vorherderschen Zeit läßt sich
am einfachsten eine Vorstellung machen, wenn man die Betrachtung auf
Gleim richtet.

Er war zunächst "Anakreontiker".

Längst war es mit den deutschen Poeten so bestellt, daß man den spie¬
lerischen Ehrgeiz hatte, von jedem berühmten Namen der alten Literatur ein
deutsches Gegenbild darzustellen. Nirgends fehlte es mehr, sagt Lessing, an
Männern, die bei einem etwa eintretenden literarischen Schiffbruch, der alles
Außerdeutsche wegschwemmte, an die Stelle der großen Ausländer und der
noch größeren Alten treten konnten. Man hatte seine deutschen Horaze,
Theokrite, Pindare, Lucreze. Reich wucherten die Anakreons, jene Dichter,
"die bei Lieb und Wein Miltons lassen Miltons sein." Aber man sang in
jenen frostig zierlichen, französirenden Liedchen den Wein auch wohl beim
Glase Wasser und dichtete auf Asterie, Phyllis und Chloe bloß der Uebung
wegen. Auch hier Künstelei, Gelehrsamkeit, Reflexion und vielfach geistlose
Nachahmung.

Aber Gleim wußte auch, wenn wir Lessing glauben dürfen, den Volks¬
ton anzuschlagen, natürlich und frisch zu singen, just wie ein Soldat in
König Friedrich's Heer.*) Er dichtete während des siebenjährigen Krieges
Kriegslieder eines Grenadiers:


Auf, Brüder! Friedrich, unser Held,
Der Feind von fauler Frist,
Ruft uns nun wieder in das Feld,
Wo Ruhm zu holen ist.

Oder auf die Prager Schlacht:


Er ging voran, der edle Greis,
Voll Gott und Vaterland,
Sein alter Kopf war kaum so weiß,
Als tapfer seine Hand. --
Aus sieben Schanzen jagten wir
Die Mützen von dem Bär.
Da, Friedrich, ging dein Grenadier
Auf Leichen hoch umher.

Jedoch war das wirklich der echte, reine Volkston? oder affectirte ihn der
Stubengelehrte, der, an viele poetische Themata gewöhnt, sich auch einmal
vorsetzte, diese Rolle zu spielen, wie man in der Schule auch wohl nach rhe¬
torischen Anweisungen Ansprachen dieser und jener Feldherrn an ihre Sol¬
daten vor dieser oder jener Schlacht, Reden des Alexander oder des Marius



") Lessing an Gleim: Ihre Art sich zum Volk herabzulassen ist die vorzüglichste, wo nicht
die einzig wahre.

Von den andern poetischen Richtungen der vorherderschen Zeit läßt sich
am einfachsten eine Vorstellung machen, wenn man die Betrachtung auf
Gleim richtet.

Er war zunächst „Anakreontiker".

Längst war es mit den deutschen Poeten so bestellt, daß man den spie¬
lerischen Ehrgeiz hatte, von jedem berühmten Namen der alten Literatur ein
deutsches Gegenbild darzustellen. Nirgends fehlte es mehr, sagt Lessing, an
Männern, die bei einem etwa eintretenden literarischen Schiffbruch, der alles
Außerdeutsche wegschwemmte, an die Stelle der großen Ausländer und der
noch größeren Alten treten konnten. Man hatte seine deutschen Horaze,
Theokrite, Pindare, Lucreze. Reich wucherten die Anakreons, jene Dichter,
„die bei Lieb und Wein Miltons lassen Miltons sein." Aber man sang in
jenen frostig zierlichen, französirenden Liedchen den Wein auch wohl beim
Glase Wasser und dichtete auf Asterie, Phyllis und Chloe bloß der Uebung
wegen. Auch hier Künstelei, Gelehrsamkeit, Reflexion und vielfach geistlose
Nachahmung.

Aber Gleim wußte auch, wenn wir Lessing glauben dürfen, den Volks¬
ton anzuschlagen, natürlich und frisch zu singen, just wie ein Soldat in
König Friedrich's Heer.*) Er dichtete während des siebenjährigen Krieges
Kriegslieder eines Grenadiers:


Auf, Brüder! Friedrich, unser Held,
Der Feind von fauler Frist,
Ruft uns nun wieder in das Feld,
Wo Ruhm zu holen ist.

Oder auf die Prager Schlacht:


Er ging voran, der edle Greis,
Voll Gott und Vaterland,
Sein alter Kopf war kaum so weiß,
Als tapfer seine Hand. —
Aus sieben Schanzen jagten wir
Die Mützen von dem Bär.
Da, Friedrich, ging dein Grenadier
Auf Leichen hoch umher.

Jedoch war das wirklich der echte, reine Volkston? oder affectirte ihn der
Stubengelehrte, der, an viele poetische Themata gewöhnt, sich auch einmal
vorsetzte, diese Rolle zu spielen, wie man in der Schule auch wohl nach rhe¬
torischen Anweisungen Ansprachen dieser und jener Feldherrn an ihre Sol¬
daten vor dieser oder jener Schlacht, Reden des Alexander oder des Marius



") Lessing an Gleim: Ihre Art sich zum Volk herabzulassen ist die vorzüglichste, wo nicht
die einzig wahre.
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[0548] Von den andern poetischen Richtungen der vorherderschen Zeit läßt sich am einfachsten eine Vorstellung machen, wenn man die Betrachtung auf Gleim richtet. Er war zunächst „Anakreontiker". Längst war es mit den deutschen Poeten so bestellt, daß man den spie¬ lerischen Ehrgeiz hatte, von jedem berühmten Namen der alten Literatur ein deutsches Gegenbild darzustellen. Nirgends fehlte es mehr, sagt Lessing, an Männern, die bei einem etwa eintretenden literarischen Schiffbruch, der alles Außerdeutsche wegschwemmte, an die Stelle der großen Ausländer und der noch größeren Alten treten konnten. Man hatte seine deutschen Horaze, Theokrite, Pindare, Lucreze. Reich wucherten die Anakreons, jene Dichter, „die bei Lieb und Wein Miltons lassen Miltons sein." Aber man sang in jenen frostig zierlichen, französirenden Liedchen den Wein auch wohl beim Glase Wasser und dichtete auf Asterie, Phyllis und Chloe bloß der Uebung wegen. Auch hier Künstelei, Gelehrsamkeit, Reflexion und vielfach geistlose Nachahmung. Aber Gleim wußte auch, wenn wir Lessing glauben dürfen, den Volks¬ ton anzuschlagen, natürlich und frisch zu singen, just wie ein Soldat in König Friedrich's Heer.*) Er dichtete während des siebenjährigen Krieges Kriegslieder eines Grenadiers: Auf, Brüder! Friedrich, unser Held, Der Feind von fauler Frist, Ruft uns nun wieder in das Feld, Wo Ruhm zu holen ist. Oder auf die Prager Schlacht: Er ging voran, der edle Greis, Voll Gott und Vaterland, Sein alter Kopf war kaum so weiß, Als tapfer seine Hand. — Aus sieben Schanzen jagten wir Die Mützen von dem Bär. Da, Friedrich, ging dein Grenadier Auf Leichen hoch umher. Jedoch war das wirklich der echte, reine Volkston? oder affectirte ihn der Stubengelehrte, der, an viele poetische Themata gewöhnt, sich auch einmal vorsetzte, diese Rolle zu spielen, wie man in der Schule auch wohl nach rhe¬ torischen Anweisungen Ansprachen dieser und jener Feldherrn an ihre Sol¬ daten vor dieser oder jener Schlacht, Reden des Alexander oder des Marius ") Lessing an Gleim: Ihre Art sich zum Volk herabzulassen ist die vorzüglichste, wo nicht die einzig wahre.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/548>, abgerufen am 25.07.2024.