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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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die Ohren raunen. Immer weiter kommt er von Naivetät und Einfachheit
ab ; immer geschlängelter, immer gewundener und gekünstelter wird sein Gang.
Von Anfang an waren seine Oden großwortig, schwer und wuchtig; immer
mehr forcirt er diese gefährlichen Eigenschaften! Es bedarf oft andauernden
Grübelns, ja wohl peinlichen, grammatischen Construirens, fast als hätte man
es mit einer fremden Sprache zu thun, um den Sinn zu entdecken: und end¬
lich findet man vielleicht einen sehr nüchternen, geradezu unpoetischen Gedan¬
ken, ganz wie in den Dichtungen der Gottschedschen Schule, nur viel an¬
maßender und affectirter aufgeputzt. Der Dichter wird von Jahr zu Jahr
grimassirter; es wächst Unnatur und Gedunsenheit.

Kurz vor Herder's Auftreten verließ er die "höhere" Bahn und wandte
sich, angeregt durch die Lectüre des Macphersonschen Osstan und der islän¬
dischen Edda "seitwärts" zu vaterländischen Oden. Wenigstens glaubte er in
seinen "bardischen" Gesängen den Ton getroffen zu haben, der einst durch
Deutschlands Eichenwälder klang, als "teutonische" Sänger Hermann, den
Cherusker, und die deutschen Götter feierten. Stolz fühlte er jetzt in sich
das Sehnen seiner Jugend erfüllt: er war ein patriotischer Dichter, ein prie¬
sterlich ernster Volkssänger, frei von aller "Jochkriecherei" unter antike und
französische Muster und Regeln. -- Uns muthen diese dunkeln, wundersam
zerhackten, schwülstigen und aufgebauschten Gesänge fremdartig an. Das
Meiste verstehen wir nicht; Manches erscheint uns wie erkünstelte Einkleidung
eines sehr platten Gedankens; schattenhaft schweben in dem ungesunden Ne¬
bel und Dunst einer kaum durchsichtigen Sprache die Namen der dem Umge¬
kehrten nirgends mehr lebendigen nordischen Götter.

Selbst viele seiner älteren Oden, welche in harmloser Weise die seit Opitz
in der Poesie eingebürgerten griechisch-römischen Göttergestalten verwertheten,
mußten sich zu ihrem Schaden eine bardische Umformung gefallen lassen.
1771 gab er seine lyrischen Sachen mit diesen theilweisen Veränderungen
gesammelt heraus, 73 Oden und 3 Elegien.

Sie hatten früher die Nachahmung vielfach angeregt; sie wirkten in die¬
ser Sammlung mit der frischen Kraft einer neuen Erscheinung.

Schon seit Ende der 60er Jahre überall in Deutschland viel wüthig to¬
bender Bardengesang; er trägt in jeder Gestalt dieselbe affectirte Mum¬
merei, wie der des Meisters.

In der horazianischen Strophenform dichtete seit lange Ramler seine
hausbackenen Sachen, deren höchstes Ideal Gottschedische Correctheit in
Grammatik, Stil und Versbau war. Wen sollten diese Stubenpoesien er¬
wärmen, in denen der antiken Schablone so peinlich nachgezirkelt wurde, daß
fast nur für Augustus Friedrich gesetzt zu werden brauchte?


die Ohren raunen. Immer weiter kommt er von Naivetät und Einfachheit
ab ; immer geschlängelter, immer gewundener und gekünstelter wird sein Gang.
Von Anfang an waren seine Oden großwortig, schwer und wuchtig; immer
mehr forcirt er diese gefährlichen Eigenschaften! Es bedarf oft andauernden
Grübelns, ja wohl peinlichen, grammatischen Construirens, fast als hätte man
es mit einer fremden Sprache zu thun, um den Sinn zu entdecken: und end¬
lich findet man vielleicht einen sehr nüchternen, geradezu unpoetischen Gedan¬
ken, ganz wie in den Dichtungen der Gottschedschen Schule, nur viel an¬
maßender und affectirter aufgeputzt. Der Dichter wird von Jahr zu Jahr
grimassirter; es wächst Unnatur und Gedunsenheit.

Kurz vor Herder's Auftreten verließ er die „höhere" Bahn und wandte
sich, angeregt durch die Lectüre des Macphersonschen Osstan und der islän¬
dischen Edda „seitwärts" zu vaterländischen Oden. Wenigstens glaubte er in
seinen „bardischen" Gesängen den Ton getroffen zu haben, der einst durch
Deutschlands Eichenwälder klang, als „teutonische" Sänger Hermann, den
Cherusker, und die deutschen Götter feierten. Stolz fühlte er jetzt in sich
das Sehnen seiner Jugend erfüllt: er war ein patriotischer Dichter, ein prie¬
sterlich ernster Volkssänger, frei von aller „Jochkriecherei" unter antike und
französische Muster und Regeln. — Uns muthen diese dunkeln, wundersam
zerhackten, schwülstigen und aufgebauschten Gesänge fremdartig an. Das
Meiste verstehen wir nicht; Manches erscheint uns wie erkünstelte Einkleidung
eines sehr platten Gedankens; schattenhaft schweben in dem ungesunden Ne¬
bel und Dunst einer kaum durchsichtigen Sprache die Namen der dem Umge¬
kehrten nirgends mehr lebendigen nordischen Götter.

Selbst viele seiner älteren Oden, welche in harmloser Weise die seit Opitz
in der Poesie eingebürgerten griechisch-römischen Göttergestalten verwertheten,
mußten sich zu ihrem Schaden eine bardische Umformung gefallen lassen.
1771 gab er seine lyrischen Sachen mit diesen theilweisen Veränderungen
gesammelt heraus, 73 Oden und 3 Elegien.

Sie hatten früher die Nachahmung vielfach angeregt; sie wirkten in die¬
ser Sammlung mit der frischen Kraft einer neuen Erscheinung.

Schon seit Ende der 60er Jahre überall in Deutschland viel wüthig to¬
bender Bardengesang; er trägt in jeder Gestalt dieselbe affectirte Mum¬
merei, wie der des Meisters.

In der horazianischen Strophenform dichtete seit lange Ramler seine
hausbackenen Sachen, deren höchstes Ideal Gottschedische Correctheit in
Grammatik, Stil und Versbau war. Wen sollten diese Stubenpoesien er¬
wärmen, in denen der antiken Schablone so peinlich nachgezirkelt wurde, daß
fast nur für Augustus Friedrich gesetzt zu werden brauchte?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/547>, abgerufen am 25.07.2024.