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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Es zieht ein Gewitter herauf; fühlbarer wird Gottes Gegenwart:


Nun schweben und rauschen und wirbeln die Winde!
Wie beugt sich der Wald! wie hebt sich der Strom!
Sichtbar, wie du es Sterblichen sein kannst,
Ja! das bist du, sichtbar, Unendlicher! --

Ach vermocht' ich dich, Herr, wie ich dürfte zu preisen!
Immer herrlicher offenbarest du dich! --
Seht ihr den Zeugen des Nahen, den zuckenden Strahl?
Hört ihr Jehova's Donner? --

Herr! .... Herr! .... Gott! ....
Barmherzig und gnädig!
Angebetet, gepriesen
Sei dein herrlicher Name! --

Hört ihr den neuen Zeugen des Nahen, den fliegenden Strahl?
Hört ihr hoch in den Wolken den Donner des Herrn?

Er ruft: Jehova! Jehova! Jehova!
Und der zerschmetterte Wald dampft!
Aber nicht unsere Hütte!
Ach, schon rauscht, schon rauscht
Himmel und Erde vom gnädigen Regen.
Nun ist, wie dürstete sie! die Erde erquickt,
Und der Himmel der Segensfüll' entlastet!
Siehe, nun kommt Jehova nicht mehr im Wetter,
In stillem, sanftem Säuseln
Kommt Jehova,
Und unter ihm neigt sich der Bogen des Friedens.


Ein einfacher und doch mächtiger zum Herzen sprechenden Inhalt! ein
übersichtlicher, wohlgegliederter Plan: Absicht des Dichters, am Gegensatz be¬
stimmt; er will Gott singen, nicht wie er das All trägt und hält, den Gott
der Erde, der Frühlingserde will er preisen; er beugt sich vor ihm in beben¬
der unterwürfiger Demuth: wie klein und arm ist er gegen ihn, den unend¬
lich Erhabenen! Das Gefühl steigert sich unter dem großen Eindruck eines
Gewitters, dessen Ablauf in dramatischer Lebendigkeit, in malerischer Sinnlich¬
keit geschildert wird. Immer furchtbarer erscheint Jehovah, es zuckt voll Angst
des Dichters Herz. Die Schilderung ist voll Kraft und Pracht. Plötzlich ein
geistvoller Uebergang. Und die bis an die Grenze des Möglichen gesteigerte
Spannung löst sich erquickend auf in das schöne Gefühl, daß Gott doch nicht
blos der Gott der sausenden Stürme, der zuckenden Blitze und der rollenden
Donner ist, nicht blos der Gott, der Berge zerreißt und Felsen zerschmettert
(1. Kön. XIX., 11), sondern auch der Gott, der die Menschen schützt, die
Erde erquickt, der Gott des stillen, sanften Friedens. Eine wohlthuende Stu¬
fenleiter edler und reiner Gefühle!


Grenzvotm II. 1871. 68

Es zieht ein Gewitter herauf; fühlbarer wird Gottes Gegenwart:


Nun schweben und rauschen und wirbeln die Winde!
Wie beugt sich der Wald! wie hebt sich der Strom!
Sichtbar, wie du es Sterblichen sein kannst,
Ja! das bist du, sichtbar, Unendlicher! —

Ach vermocht' ich dich, Herr, wie ich dürfte zu preisen!
Immer herrlicher offenbarest du dich! —
Seht ihr den Zeugen des Nahen, den zuckenden Strahl?
Hört ihr Jehova's Donner? —

Herr! .... Herr! .... Gott! ....
Barmherzig und gnädig!
Angebetet, gepriesen
Sei dein herrlicher Name! —

Hört ihr den neuen Zeugen des Nahen, den fliegenden Strahl?
Hört ihr hoch in den Wolken den Donner des Herrn?

Er ruft: Jehova! Jehova! Jehova!
Und der zerschmetterte Wald dampft!
Aber nicht unsere Hütte!
Ach, schon rauscht, schon rauscht
Himmel und Erde vom gnädigen Regen.
Nun ist, wie dürstete sie! die Erde erquickt,
Und der Himmel der Segensfüll' entlastet!
Siehe, nun kommt Jehova nicht mehr im Wetter,
In stillem, sanftem Säuseln
Kommt Jehova,
Und unter ihm neigt sich der Bogen des Friedens.


Ein einfacher und doch mächtiger zum Herzen sprechenden Inhalt! ein
übersichtlicher, wohlgegliederter Plan: Absicht des Dichters, am Gegensatz be¬
stimmt; er will Gott singen, nicht wie er das All trägt und hält, den Gott
der Erde, der Frühlingserde will er preisen; er beugt sich vor ihm in beben¬
der unterwürfiger Demuth: wie klein und arm ist er gegen ihn, den unend¬
lich Erhabenen! Das Gefühl steigert sich unter dem großen Eindruck eines
Gewitters, dessen Ablauf in dramatischer Lebendigkeit, in malerischer Sinnlich¬
keit geschildert wird. Immer furchtbarer erscheint Jehovah, es zuckt voll Angst
des Dichters Herz. Die Schilderung ist voll Kraft und Pracht. Plötzlich ein
geistvoller Uebergang. Und die bis an die Grenze des Möglichen gesteigerte
Spannung löst sich erquickend auf in das schöne Gefühl, daß Gott doch nicht
blos der Gott der sausenden Stürme, der zuckenden Blitze und der rollenden
Donner ist, nicht blos der Gott, der Berge zerreißt und Felsen zerschmettert
(1. Kön. XIX., 11), sondern auch der Gott, der die Menschen schützt, die
Erde erquickt, der Gott des stillen, sanften Friedens. Eine wohlthuende Stu¬
fenleiter edler und reiner Gefühle!


Grenzvotm II. 1871. 68
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[0545] Es zieht ein Gewitter herauf; fühlbarer wird Gottes Gegenwart: Nun schweben und rauschen und wirbeln die Winde! Wie beugt sich der Wald! wie hebt sich der Strom! Sichtbar, wie du es Sterblichen sein kannst, Ja! das bist du, sichtbar, Unendlicher! — Ach vermocht' ich dich, Herr, wie ich dürfte zu preisen! Immer herrlicher offenbarest du dich! — Seht ihr den Zeugen des Nahen, den zuckenden Strahl? Hört ihr Jehova's Donner? — Herr! .... Herr! .... Gott! .... Barmherzig und gnädig! Angebetet, gepriesen Sei dein herrlicher Name! — Hört ihr den neuen Zeugen des Nahen, den fliegenden Strahl? Hört ihr hoch in den Wolken den Donner des Herrn? Er ruft: Jehova! Jehova! Jehova! Und der zerschmetterte Wald dampft! Aber nicht unsere Hütte! Ach, schon rauscht, schon rauscht Himmel und Erde vom gnädigen Regen. Nun ist, wie dürstete sie! die Erde erquickt, Und der Himmel der Segensfüll' entlastet! Siehe, nun kommt Jehova nicht mehr im Wetter, In stillem, sanftem Säuseln Kommt Jehova, Und unter ihm neigt sich der Bogen des Friedens. Ein einfacher und doch mächtiger zum Herzen sprechenden Inhalt! ein übersichtlicher, wohlgegliederter Plan: Absicht des Dichters, am Gegensatz be¬ stimmt; er will Gott singen, nicht wie er das All trägt und hält, den Gott der Erde, der Frühlingserde will er preisen; er beugt sich vor ihm in beben¬ der unterwürfiger Demuth: wie klein und arm ist er gegen ihn, den unend¬ lich Erhabenen! Das Gefühl steigert sich unter dem großen Eindruck eines Gewitters, dessen Ablauf in dramatischer Lebendigkeit, in malerischer Sinnlich¬ keit geschildert wird. Immer furchtbarer erscheint Jehovah, es zuckt voll Angst des Dichters Herz. Die Schilderung ist voll Kraft und Pracht. Plötzlich ein geistvoller Uebergang. Und die bis an die Grenze des Möglichen gesteigerte Spannung löst sich erquickend auf in das schöne Gefühl, daß Gott doch nicht blos der Gott der sausenden Stürme, der zuckenden Blitze und der rollenden Donner ist, nicht blos der Gott, der Berge zerreißt und Felsen zerschmettert (1. Kön. XIX., 11), sondern auch der Gott, der die Menschen schützt, die Erde erquickt, der Gott des stillen, sanften Friedens. Eine wohlthuende Stu¬ fenleiter edler und reiner Gefühle! Grenzvotm II. 1871. 68

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/545>, abgerufen am 25.07.2024.