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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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mentarismus hinauslief, war eine Unmöglichkeit. Denn, wären die Abge¬
ordneten aller Kronländer im Reichsparlament erschienen, so hätten die cen-
trifugalen Kräfte sogleich die Majorität gehabt. Die Ungarn zogen be¬
kanntlich vor, durch passiven Widerstand die parlamentarische Centralisation
zu lähmen. So wurde der Versuch derselben endlich aufgegeben, noch bevor
man wußte, was an die Stelle zu setzen sei.

Während die Regierung zu Wien sich vergeblich abmühte, die Elemente
des eigenen Reichs zu einigen, belud sie sich noch mit dem Versuch, die dyna¬
misch so ungleichartigen Bestandtheile Deutschlands mittels einer Reichsver-
fassung der östreichischen Führung zu unterwerfen. Dergleichen gelingt nur
dem Starken, der im vollen Besitz der eigenen Kraft ist, und es gelingt auch
nur dann, wenn das Ziel der Kraft genau angepaßt ist, über welche der
Unternehmer klug und kühn verfügt. Das Alles traf hier nicht zu. So ge¬
nügte ein von keiner Action begleitetes Veto, den Plan in das Nichts zurück¬
sinken zu lassen.

Fröbel hatte die föderative Einigung Mitteleuropa's unter der Führung
Oestreichs in dem Grade für eine Nothwendigkeit gehalten, daß er einmal
schrieb: übermächtige Thatsachen, die allein im Stande seien, den Widerstand
kurzsichtiger Doctrinen gegen die von der europäischen Lage gebotene Pflicht
zu brechen, würden nicht auf sich warten lassen. Er hatte bei diesen Worten
vielleicht an das stärkere Hervortreten der russischen Angriffspolitik gedacht.
Die Ereignisse der Jahre 1864 bis 66 zeigten indeß der erstaunten Welt,
welcher unvergleichlichen Leistungen das so lange in einer mehr als bescheidenen
Rolle zurückstehende Preußen unter der rechten Leitung sähig sei. Diese Lei¬
tung kam wie immer in dem Augenblick, wo sie am wenigsten erwartet
wurde, und wo ihr Eintreffen am Dringendsten war. Dieses Eintreffen ist
das Geheimniß der Freiheit, der höheren Leitung oder vielleicht der nach un¬
bekannten Gesetzen erfolgenden Entwickelung unbekannter Kräfte im Völker¬
leben. Auf solche Wunder vertrauen, lehrt nur der intimste Zusammenhang
mit einem Volks- und Staatswesen. Wer diesen Zusammenhang nicht be¬
sessen hat, dem kann es nicht zum Vorwurf gereichen, wenn er die Wunder,
die sich auf einem bestimmten Boden erzeugen, nicht in Rechnung gestellt hat, ehe
sie geschahen. Es gereicht ihm aber zur Ehre, wenn er sich gegen die Wunder,
die geschehen sind, nicht verstockt.

Fröbel lernte das neue Preußen in die Rechnung der europäischen Zu¬
kunft stellen. Aber er wurde seiner Idee nicht untreu. Er hielt fest an dem
Vorzug des föderativem, des zusammengesetzten Staates vor dem einfachen,
und fand diese Idee endlich durch das neue deutsche Kaiserthum der Krone
Preußen verwirklicht. Er durfte auch festhalten an der Idee der mitteleuro¬
päischen und vielleicht auch Mittel- und westeuropäischen Gemeinschaft. Aber


mentarismus hinauslief, war eine Unmöglichkeit. Denn, wären die Abge¬
ordneten aller Kronländer im Reichsparlament erschienen, so hätten die cen-
trifugalen Kräfte sogleich die Majorität gehabt. Die Ungarn zogen be¬
kanntlich vor, durch passiven Widerstand die parlamentarische Centralisation
zu lähmen. So wurde der Versuch derselben endlich aufgegeben, noch bevor
man wußte, was an die Stelle zu setzen sei.

Während die Regierung zu Wien sich vergeblich abmühte, die Elemente
des eigenen Reichs zu einigen, belud sie sich noch mit dem Versuch, die dyna¬
misch so ungleichartigen Bestandtheile Deutschlands mittels einer Reichsver-
fassung der östreichischen Führung zu unterwerfen. Dergleichen gelingt nur
dem Starken, der im vollen Besitz der eigenen Kraft ist, und es gelingt auch
nur dann, wenn das Ziel der Kraft genau angepaßt ist, über welche der
Unternehmer klug und kühn verfügt. Das Alles traf hier nicht zu. So ge¬
nügte ein von keiner Action begleitetes Veto, den Plan in das Nichts zurück¬
sinken zu lassen.

Fröbel hatte die föderative Einigung Mitteleuropa's unter der Führung
Oestreichs in dem Grade für eine Nothwendigkeit gehalten, daß er einmal
schrieb: übermächtige Thatsachen, die allein im Stande seien, den Widerstand
kurzsichtiger Doctrinen gegen die von der europäischen Lage gebotene Pflicht
zu brechen, würden nicht auf sich warten lassen. Er hatte bei diesen Worten
vielleicht an das stärkere Hervortreten der russischen Angriffspolitik gedacht.
Die Ereignisse der Jahre 1864 bis 66 zeigten indeß der erstaunten Welt,
welcher unvergleichlichen Leistungen das so lange in einer mehr als bescheidenen
Rolle zurückstehende Preußen unter der rechten Leitung sähig sei. Diese Lei¬
tung kam wie immer in dem Augenblick, wo sie am wenigsten erwartet
wurde, und wo ihr Eintreffen am Dringendsten war. Dieses Eintreffen ist
das Geheimniß der Freiheit, der höheren Leitung oder vielleicht der nach un¬
bekannten Gesetzen erfolgenden Entwickelung unbekannter Kräfte im Völker¬
leben. Auf solche Wunder vertrauen, lehrt nur der intimste Zusammenhang
mit einem Volks- und Staatswesen. Wer diesen Zusammenhang nicht be¬
sessen hat, dem kann es nicht zum Vorwurf gereichen, wenn er die Wunder,
die sich auf einem bestimmten Boden erzeugen, nicht in Rechnung gestellt hat, ehe
sie geschahen. Es gereicht ihm aber zur Ehre, wenn er sich gegen die Wunder,
die geschehen sind, nicht verstockt.

Fröbel lernte das neue Preußen in die Rechnung der europäischen Zu¬
kunft stellen. Aber er wurde seiner Idee nicht untreu. Er hielt fest an dem
Vorzug des föderativem, des zusammengesetzten Staates vor dem einfachen,
und fand diese Idee endlich durch das neue deutsche Kaiserthum der Krone
Preußen verwirklicht. Er durfte auch festhalten an der Idee der mitteleuro¬
päischen und vielleicht auch Mittel- und westeuropäischen Gemeinschaft. Aber


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[0541] mentarismus hinauslief, war eine Unmöglichkeit. Denn, wären die Abge¬ ordneten aller Kronländer im Reichsparlament erschienen, so hätten die cen- trifugalen Kräfte sogleich die Majorität gehabt. Die Ungarn zogen be¬ kanntlich vor, durch passiven Widerstand die parlamentarische Centralisation zu lähmen. So wurde der Versuch derselben endlich aufgegeben, noch bevor man wußte, was an die Stelle zu setzen sei. Während die Regierung zu Wien sich vergeblich abmühte, die Elemente des eigenen Reichs zu einigen, belud sie sich noch mit dem Versuch, die dyna¬ misch so ungleichartigen Bestandtheile Deutschlands mittels einer Reichsver- fassung der östreichischen Führung zu unterwerfen. Dergleichen gelingt nur dem Starken, der im vollen Besitz der eigenen Kraft ist, und es gelingt auch nur dann, wenn das Ziel der Kraft genau angepaßt ist, über welche der Unternehmer klug und kühn verfügt. Das Alles traf hier nicht zu. So ge¬ nügte ein von keiner Action begleitetes Veto, den Plan in das Nichts zurück¬ sinken zu lassen. Fröbel hatte die föderative Einigung Mitteleuropa's unter der Führung Oestreichs in dem Grade für eine Nothwendigkeit gehalten, daß er einmal schrieb: übermächtige Thatsachen, die allein im Stande seien, den Widerstand kurzsichtiger Doctrinen gegen die von der europäischen Lage gebotene Pflicht zu brechen, würden nicht auf sich warten lassen. Er hatte bei diesen Worten vielleicht an das stärkere Hervortreten der russischen Angriffspolitik gedacht. Die Ereignisse der Jahre 1864 bis 66 zeigten indeß der erstaunten Welt, welcher unvergleichlichen Leistungen das so lange in einer mehr als bescheidenen Rolle zurückstehende Preußen unter der rechten Leitung sähig sei. Diese Lei¬ tung kam wie immer in dem Augenblick, wo sie am wenigsten erwartet wurde, und wo ihr Eintreffen am Dringendsten war. Dieses Eintreffen ist das Geheimniß der Freiheit, der höheren Leitung oder vielleicht der nach un¬ bekannten Gesetzen erfolgenden Entwickelung unbekannter Kräfte im Völker¬ leben. Auf solche Wunder vertrauen, lehrt nur der intimste Zusammenhang mit einem Volks- und Staatswesen. Wer diesen Zusammenhang nicht be¬ sessen hat, dem kann es nicht zum Vorwurf gereichen, wenn er die Wunder, die sich auf einem bestimmten Boden erzeugen, nicht in Rechnung gestellt hat, ehe sie geschahen. Es gereicht ihm aber zur Ehre, wenn er sich gegen die Wunder, die geschehen sind, nicht verstockt. Fröbel lernte das neue Preußen in die Rechnung der europäischen Zu¬ kunft stellen. Aber er wurde seiner Idee nicht untreu. Er hielt fest an dem Vorzug des föderativem, des zusammengesetzten Staates vor dem einfachen, und fand diese Idee endlich durch das neue deutsche Kaiserthum der Krone Preußen verwirklicht. Er durfte auch festhalten an der Idee der mitteleuro¬ päischen und vielleicht auch Mittel- und westeuropäischen Gemeinschaft. Aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/541>, abgerufen am 24.07.2024.