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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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der Märtyrer einer bisher bekämpften Ueberzeugung zu werden. Auch die
Sache der reinen Demokratie stand damals hoffnungslos und ein scharfblicken¬
des Urtheil mochte sich sagen, daß sie nicht einmal die Zukunft für sich habe,
und daß die Martyrien, die sie ihren Anhängern bringen müsse, obendrein
Thorheiten seiend) Wir denken uns, daß Blum schweren Herzens nach Wien
gegangen ist und vielleicht eine Empfindung davon gehabt hat, daß das tra¬
gische Geschick, dem er begegnete, nicht ein grausamer Zufall, sondern der
unvermeidliche Abschluß eines Lebensganges werden sollte, dem weniger die
Natur des Mannes, als äußere Fügung den Stempel einer unverrückbaren
Parteistellung gegeben hatte. So ging eine seltene Charakterkraft, unbezwing-
licher Muth, der sich sehr wohl mit kluger Vorsicht zu paaren verstand, und
ein einziges Talent persönlicher Einwirkung auf große Volksmengen vor der
Zeit in grausamer Weise zu Grunde.

Ebenso wenig wie Blum war Fröbel in Wahrheit der Mann, eine
phantastische Revolution anzuschüren oder zu gebrauchen. Es scheint, daß
ihm an den östreichischen Zuständen viel weniger die Möglichkeit anzog, ein
radicales Ideal verwirklicht zu sehen, als die althistorische Stellung Oestreichs
in der großen Weltpolitik. Derartige Sympathien und Gesichtspunkte haben
vielleicht zu seiner Lebensrettung beigetragen.

Als die Bewegung von 1848 in ihren letzten Zuckungen auf deutschem
Boden erstickt war, ging Fröbel als Flüchtling nach Amerika. Der dortige,
fast zehnjährige Aufenthalt brachte ihm nicht sogleich eine Umbildung seiner
politischen Grundanschauung, sondern mit einer großen concreten Bereiche¬
rung derselben zunächst ihre Bestätigung. Den Unterschied der amerikanischen
Demokratie von derjenigen, wie man sie sich während der vierziger Jahre in
Europa vorzustellen Pflegte, mußte er freilich bald bemerken. Wie in Europa
strebte in Amerika die Demokratie nach einem gleichmäßigen Niveau, aber in
Amerika liegt das erstrebte Niveau auf dem Höhepunkt der Gesellschaft, des
Wohlstandes, der sorgfältig bewahrten Schicklichkeitsform und des Behagens,
während man dasselbe in Europa möglichst tief gelegt und es gleichsam als
einen Raub an der Menschheit betrachtet hatte, ein von Formen und Ge¬
schmack umgebenes Leben zu suchen. In Amerika strebt alles von unten nach
oben, während die europäische Demokratie die höheren Gesellschaftsschichten
hatte Herabdrücken und ihre Eigenart zerstören wollen. Das zeigt freilich von
einer ganz anderen Art der Lebenswürdigung, und dem europäischen Beob¬
achter konnte auch die weitere Bemerkung nicht entgehen, daß die Empor¬
kommenden in Amerika auf die Zurückbleibenden keineswegs mitleidige Blicke



Die in nicht zu langer Zeit zu erwartende Herausgabe des handschriftlichen Nachlasses
Robert Blum's wird im Wesentlichen das von dem Herrn Verfasser des obigen Artikels ent¬
H, B. worfene Charakterbild bestätigen.

der Märtyrer einer bisher bekämpften Ueberzeugung zu werden. Auch die
Sache der reinen Demokratie stand damals hoffnungslos und ein scharfblicken¬
des Urtheil mochte sich sagen, daß sie nicht einmal die Zukunft für sich habe,
und daß die Martyrien, die sie ihren Anhängern bringen müsse, obendrein
Thorheiten seiend) Wir denken uns, daß Blum schweren Herzens nach Wien
gegangen ist und vielleicht eine Empfindung davon gehabt hat, daß das tra¬
gische Geschick, dem er begegnete, nicht ein grausamer Zufall, sondern der
unvermeidliche Abschluß eines Lebensganges werden sollte, dem weniger die
Natur des Mannes, als äußere Fügung den Stempel einer unverrückbaren
Parteistellung gegeben hatte. So ging eine seltene Charakterkraft, unbezwing-
licher Muth, der sich sehr wohl mit kluger Vorsicht zu paaren verstand, und
ein einziges Talent persönlicher Einwirkung auf große Volksmengen vor der
Zeit in grausamer Weise zu Grunde.

Ebenso wenig wie Blum war Fröbel in Wahrheit der Mann, eine
phantastische Revolution anzuschüren oder zu gebrauchen. Es scheint, daß
ihm an den östreichischen Zuständen viel weniger die Möglichkeit anzog, ein
radicales Ideal verwirklicht zu sehen, als die althistorische Stellung Oestreichs
in der großen Weltpolitik. Derartige Sympathien und Gesichtspunkte haben
vielleicht zu seiner Lebensrettung beigetragen.

Als die Bewegung von 1848 in ihren letzten Zuckungen auf deutschem
Boden erstickt war, ging Fröbel als Flüchtling nach Amerika. Der dortige,
fast zehnjährige Aufenthalt brachte ihm nicht sogleich eine Umbildung seiner
politischen Grundanschauung, sondern mit einer großen concreten Bereiche¬
rung derselben zunächst ihre Bestätigung. Den Unterschied der amerikanischen
Demokratie von derjenigen, wie man sie sich während der vierziger Jahre in
Europa vorzustellen Pflegte, mußte er freilich bald bemerken. Wie in Europa
strebte in Amerika die Demokratie nach einem gleichmäßigen Niveau, aber in
Amerika liegt das erstrebte Niveau auf dem Höhepunkt der Gesellschaft, des
Wohlstandes, der sorgfältig bewahrten Schicklichkeitsform und des Behagens,
während man dasselbe in Europa möglichst tief gelegt und es gleichsam als
einen Raub an der Menschheit betrachtet hatte, ein von Formen und Ge¬
schmack umgebenes Leben zu suchen. In Amerika strebt alles von unten nach
oben, während die europäische Demokratie die höheren Gesellschaftsschichten
hatte Herabdrücken und ihre Eigenart zerstören wollen. Das zeigt freilich von
einer ganz anderen Art der Lebenswürdigung, und dem europäischen Beob¬
achter konnte auch die weitere Bemerkung nicht entgehen, daß die Empor¬
kommenden in Amerika auf die Zurückbleibenden keineswegs mitleidige Blicke



Die in nicht zu langer Zeit zu erwartende Herausgabe des handschriftlichen Nachlasses
Robert Blum's wird im Wesentlichen das von dem Herrn Verfasser des obigen Artikels ent¬
H, B. worfene Charakterbild bestätigen.
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[0536] der Märtyrer einer bisher bekämpften Ueberzeugung zu werden. Auch die Sache der reinen Demokratie stand damals hoffnungslos und ein scharfblicken¬ des Urtheil mochte sich sagen, daß sie nicht einmal die Zukunft für sich habe, und daß die Martyrien, die sie ihren Anhängern bringen müsse, obendrein Thorheiten seiend) Wir denken uns, daß Blum schweren Herzens nach Wien gegangen ist und vielleicht eine Empfindung davon gehabt hat, daß das tra¬ gische Geschick, dem er begegnete, nicht ein grausamer Zufall, sondern der unvermeidliche Abschluß eines Lebensganges werden sollte, dem weniger die Natur des Mannes, als äußere Fügung den Stempel einer unverrückbaren Parteistellung gegeben hatte. So ging eine seltene Charakterkraft, unbezwing- licher Muth, der sich sehr wohl mit kluger Vorsicht zu paaren verstand, und ein einziges Talent persönlicher Einwirkung auf große Volksmengen vor der Zeit in grausamer Weise zu Grunde. Ebenso wenig wie Blum war Fröbel in Wahrheit der Mann, eine phantastische Revolution anzuschüren oder zu gebrauchen. Es scheint, daß ihm an den östreichischen Zuständen viel weniger die Möglichkeit anzog, ein radicales Ideal verwirklicht zu sehen, als die althistorische Stellung Oestreichs in der großen Weltpolitik. Derartige Sympathien und Gesichtspunkte haben vielleicht zu seiner Lebensrettung beigetragen. Als die Bewegung von 1848 in ihren letzten Zuckungen auf deutschem Boden erstickt war, ging Fröbel als Flüchtling nach Amerika. Der dortige, fast zehnjährige Aufenthalt brachte ihm nicht sogleich eine Umbildung seiner politischen Grundanschauung, sondern mit einer großen concreten Bereiche¬ rung derselben zunächst ihre Bestätigung. Den Unterschied der amerikanischen Demokratie von derjenigen, wie man sie sich während der vierziger Jahre in Europa vorzustellen Pflegte, mußte er freilich bald bemerken. Wie in Europa strebte in Amerika die Demokratie nach einem gleichmäßigen Niveau, aber in Amerika liegt das erstrebte Niveau auf dem Höhepunkt der Gesellschaft, des Wohlstandes, der sorgfältig bewahrten Schicklichkeitsform und des Behagens, während man dasselbe in Europa möglichst tief gelegt und es gleichsam als einen Raub an der Menschheit betrachtet hatte, ein von Formen und Ge¬ schmack umgebenes Leben zu suchen. In Amerika strebt alles von unten nach oben, während die europäische Demokratie die höheren Gesellschaftsschichten hatte Herabdrücken und ihre Eigenart zerstören wollen. Das zeigt freilich von einer ganz anderen Art der Lebenswürdigung, und dem europäischen Beob¬ achter konnte auch die weitere Bemerkung nicht entgehen, daß die Empor¬ kommenden in Amerika auf die Zurückbleibenden keineswegs mitleidige Blicke Die in nicht zu langer Zeit zu erwartende Herausgabe des handschriftlichen Nachlasses Robert Blum's wird im Wesentlichen das von dem Herrn Verfasser des obigen Artikels ent¬ H, B. worfene Charakterbild bestätigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/536>, abgerufen am 25.07.2024.