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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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können: Die Lebendigkeit und den großen Inhalt des Staates. Nicht bloß
durch seine Theilnahme an dem politischen Leben der Schweiz war Fröbel
Anhänger des Föderativstaates geworden. Die Schweiz konnte vielmehr sei¬
nem politischen Ideal nur unvollkommen genügen. Weit mehr fand er dieses
Ideal in her nordamerikanischen Union, obwohl er sie noch nicht aus eigner
Anschauung kannte.

Nichts konnte einer so beschaffenen politischen Denkungsart fremder sein,
als der Gedanke, Preußen an die Spitze Deutschlands zu stellen. Preußen
stand in dem Rufe, durch eine straffe Disciplin in Heer und Civil alle Leben¬
digkeit des Staates zu unterdrücken, und was die große Fassung der Staats¬
aufgabe betraf, so konnte man diese von Außen gesehen nur Einem oder zwei
Fürsten nachsagen und dann einigen Staatsmännern und Heerführern der
Befreiungskriege, die aber mit ihrer Sinnesart nur halb durchdrangen. Wenn
Ernst Moritz Arndt in seinem Geist der Zeit die Starrheit des preußischen
Beamtenthums, wenn der Freiherr von Stein während der Jahre des Be¬
freiungskrieges die Kleinlichkeit der in Preußen vorwaltenden Staatselemente
für unverbesserlich erklärt hatten, so dürfen wir es einem Manne, der in der
Läßlichkeit kleinstaatlicher Zustände aufgewachsen und dann sogleich von der
radicalen Strömung, welche um die Mitte unseres Jahrhunderts alle stre¬
benden Geister Europa's ergriff, fortgerissen worden, nicht verübeln, wenn
ihm der Gedanke, die Revolution von 1848 solle zur Oberherrschaft Preußens
in Deutschland führen, gothisch und überdies unmöglich vorkam.

Den Männern, welche, vom Radicalismus unberührt, damals auf die
Gründung der preußischen Hegemonie hinarbeiteten, möchte man dies gern
hoch anrechnen, und mit jeder möglichen Ehre vergelten, wenn nicht zwei der
einflußreichsten unter ihnen, Heinrich von Gagern und Gervinus, von dem
politischen Gedanken ihrer besten Zeit später so kläglich abgefallen wären, daß
man nothwendig auf die Vermuthung kommen.muß, sie haben das Richtige
nur aus Zufall eine Zeit lang verfolgt, ohne je die wahren Gründe begriffen
zu haben.

Die mangelhafte Einsicht der damaligen Anhänger Preußens mildert den
Vorwurf noch mehr, welcher sonst die Gegner treffen müßte. Es war nicht
preußische Disciplin und Aufopferungsfähigkeit für den Staat, welche ein
Gervinus oder Gagern zu Deutschlands Heil und Größe bewahren und ver¬
werthen wollten, es war -- ja wer mag errathen, was diese Männer eigent¬
lich in Preußen gesucht und von ihm erwartet haben! Als preußischer Ernst
und preußische Zucht die Bewunderung Europa's errangen, und mit der klein¬
staatlichen Zerfahrenheit aufräumten, da bekreuzigten sich jene Pseudofreunde
dieses Staates über den "Militarismus". Viele einstige Gegner Preußens
dagegen, unter ihnen Fröbel, fühlten sich freudig gehoben, als sie sahen, daß


können: Die Lebendigkeit und den großen Inhalt des Staates. Nicht bloß
durch seine Theilnahme an dem politischen Leben der Schweiz war Fröbel
Anhänger des Föderativstaates geworden. Die Schweiz konnte vielmehr sei¬
nem politischen Ideal nur unvollkommen genügen. Weit mehr fand er dieses
Ideal in her nordamerikanischen Union, obwohl er sie noch nicht aus eigner
Anschauung kannte.

Nichts konnte einer so beschaffenen politischen Denkungsart fremder sein,
als der Gedanke, Preußen an die Spitze Deutschlands zu stellen. Preußen
stand in dem Rufe, durch eine straffe Disciplin in Heer und Civil alle Leben¬
digkeit des Staates zu unterdrücken, und was die große Fassung der Staats¬
aufgabe betraf, so konnte man diese von Außen gesehen nur Einem oder zwei
Fürsten nachsagen und dann einigen Staatsmännern und Heerführern der
Befreiungskriege, die aber mit ihrer Sinnesart nur halb durchdrangen. Wenn
Ernst Moritz Arndt in seinem Geist der Zeit die Starrheit des preußischen
Beamtenthums, wenn der Freiherr von Stein während der Jahre des Be¬
freiungskrieges die Kleinlichkeit der in Preußen vorwaltenden Staatselemente
für unverbesserlich erklärt hatten, so dürfen wir es einem Manne, der in der
Läßlichkeit kleinstaatlicher Zustände aufgewachsen und dann sogleich von der
radicalen Strömung, welche um die Mitte unseres Jahrhunderts alle stre¬
benden Geister Europa's ergriff, fortgerissen worden, nicht verübeln, wenn
ihm der Gedanke, die Revolution von 1848 solle zur Oberherrschaft Preußens
in Deutschland führen, gothisch und überdies unmöglich vorkam.

Den Männern, welche, vom Radicalismus unberührt, damals auf die
Gründung der preußischen Hegemonie hinarbeiteten, möchte man dies gern
hoch anrechnen, und mit jeder möglichen Ehre vergelten, wenn nicht zwei der
einflußreichsten unter ihnen, Heinrich von Gagern und Gervinus, von dem
politischen Gedanken ihrer besten Zeit später so kläglich abgefallen wären, daß
man nothwendig auf die Vermuthung kommen.muß, sie haben das Richtige
nur aus Zufall eine Zeit lang verfolgt, ohne je die wahren Gründe begriffen
zu haben.

Die mangelhafte Einsicht der damaligen Anhänger Preußens mildert den
Vorwurf noch mehr, welcher sonst die Gegner treffen müßte. Es war nicht
preußische Disciplin und Aufopferungsfähigkeit für den Staat, welche ein
Gervinus oder Gagern zu Deutschlands Heil und Größe bewahren und ver¬
werthen wollten, es war — ja wer mag errathen, was diese Männer eigent¬
lich in Preußen gesucht und von ihm erwartet haben! Als preußischer Ernst
und preußische Zucht die Bewunderung Europa's errangen, und mit der klein¬
staatlichen Zerfahrenheit aufräumten, da bekreuzigten sich jene Pseudofreunde
dieses Staates über den „Militarismus". Viele einstige Gegner Preußens
dagegen, unter ihnen Fröbel, fühlten sich freudig gehoben, als sie sahen, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/534>, abgerufen am 25.07.2024.