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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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betrachten, die aus den Trümmern der alten Welt emporwachsen." Wir
wundern uns heute weniger darüber, daß solcher Unsinn vorgetragen, als
daß er angehört werden konnte, angehört bald mit ängstlicher Scheu, bald
mit halb willigem Glauben. Propheten hat der Unsinn in allen Zeiten ge¬
funden und wird ihrer immer finden. Aber die Zuhörer der Propheten sind
nicht immer gleich zahlreich. Viele, denen es damals um die Politik Ernst
war, und die mit Schrecken und Trauer gewahrten, wie hohl das Denken
der Massen sein mußte, die den Propheten des Socialismus ein ebenso williges,
übrigens für die praktische Consequenz ebenso unbedenkliches Ohr liehen, wie
den politischen Aufrüttelungsversuchen, gaben sich die undankbare Mühe, die
Sinnlosigkeit der socialistischen Phrasen zu beweisen. Fröbel suchte seinerseits
zu zeigen, daß nur die politische Demokratie im Stande sei, das sociale Pro¬
blem aufzunehmen und zu lösen, d. h. die Uebelstände der Ungleichheit des
materiellen Besitzes zu heilen. Die Mittel der Abhilfe, welche Fröbel im
Jahre 1846 vorschlug, zeugen freilich von einer mehr als mangelhaften An¬
schauung der wirthschaftlichen Vorgänge und Möglichkeiten. Indessen hat
sein System der neuen Politik doch die Wirkung gehabt, auf jeden Fall dazu
beizutragen, die Leerheit eines Socialismus, der von Staat und Politik dem
Wesen nach absieht, d. h. der die menschlichen Dinge ordnen und l.eilen will,
ohne irgendwie einen handlungsfähigen Gesammtwillen zu bilden, für immer
einzuprägen. An die Stelle der reinen Socialisten treten seitdem die Social¬
demokraten, und es ist wunderlich genug, daß Fröbel in gewissem Sinne zu
den Vätern der Socialdemokratie gehört.

Das Jahr 1848 verschaffte Fröbel einen Sitz in der deutschen Nationalver¬
sammlung. Es war natürlich, daß er nach seinen damaligen Anschauungen
ein Führer der republikanischen Partei wurde. Als solchen wählte ihn der
Kongreß der demokratischen Vereine, welcher in jenem Jahr auf einige Tage
ebenfalls in Frankfurt a. M. zusammentrat, zum Präsidenten.

In der Nationalversammlung bildete sich die Partei, welche den preußi¬
schen Staat zum institutionellen Haupt Deutschlands machen wollte. Fröbel
hat lange Zeit diese Partei mit aller Kraft der Ueberzeugung und mit allem
Aufwand seines gewandten, unterrichteten Geistes bekämpft. Die Abneigung
gegen die preußische Hegemonie hatte bei ihm andere Gründe, als bei den
meisten seiner politischen Glaubensgenossen der damaligen Zeit. Diese fürch¬
teten größtenteils die politische Ordnung überhaupt. Das tumultuarische
Treiben der Volksmassen und die Herrschaft der Demagogen war ihnen Selbst¬
zweck. Fröbel dagegen war nicht nur ein ernster Geist von vorwiegend theo¬
retischer Anlage, sondern auch eine ästhetisch feine, um es kurz zu sagen, eine
aristokratische Natur. Dabei ist sein geistiges Naturell nie der Art gewesen,
um irgend eine theoretische Krystallisation unlösbar verhärten zu lassen und


betrachten, die aus den Trümmern der alten Welt emporwachsen." Wir
wundern uns heute weniger darüber, daß solcher Unsinn vorgetragen, als
daß er angehört werden konnte, angehört bald mit ängstlicher Scheu, bald
mit halb willigem Glauben. Propheten hat der Unsinn in allen Zeiten ge¬
funden und wird ihrer immer finden. Aber die Zuhörer der Propheten sind
nicht immer gleich zahlreich. Viele, denen es damals um die Politik Ernst
war, und die mit Schrecken und Trauer gewahrten, wie hohl das Denken
der Massen sein mußte, die den Propheten des Socialismus ein ebenso williges,
übrigens für die praktische Consequenz ebenso unbedenkliches Ohr liehen, wie
den politischen Aufrüttelungsversuchen, gaben sich die undankbare Mühe, die
Sinnlosigkeit der socialistischen Phrasen zu beweisen. Fröbel suchte seinerseits
zu zeigen, daß nur die politische Demokratie im Stande sei, das sociale Pro¬
blem aufzunehmen und zu lösen, d. h. die Uebelstände der Ungleichheit des
materiellen Besitzes zu heilen. Die Mittel der Abhilfe, welche Fröbel im
Jahre 1846 vorschlug, zeugen freilich von einer mehr als mangelhaften An¬
schauung der wirthschaftlichen Vorgänge und Möglichkeiten. Indessen hat
sein System der neuen Politik doch die Wirkung gehabt, auf jeden Fall dazu
beizutragen, die Leerheit eines Socialismus, der von Staat und Politik dem
Wesen nach absieht, d. h. der die menschlichen Dinge ordnen und l.eilen will,
ohne irgendwie einen handlungsfähigen Gesammtwillen zu bilden, für immer
einzuprägen. An die Stelle der reinen Socialisten treten seitdem die Social¬
demokraten, und es ist wunderlich genug, daß Fröbel in gewissem Sinne zu
den Vätern der Socialdemokratie gehört.

Das Jahr 1848 verschaffte Fröbel einen Sitz in der deutschen Nationalver¬
sammlung. Es war natürlich, daß er nach seinen damaligen Anschauungen
ein Führer der republikanischen Partei wurde. Als solchen wählte ihn der
Kongreß der demokratischen Vereine, welcher in jenem Jahr auf einige Tage
ebenfalls in Frankfurt a. M. zusammentrat, zum Präsidenten.

In der Nationalversammlung bildete sich die Partei, welche den preußi¬
schen Staat zum institutionellen Haupt Deutschlands machen wollte. Fröbel
hat lange Zeit diese Partei mit aller Kraft der Ueberzeugung und mit allem
Aufwand seines gewandten, unterrichteten Geistes bekämpft. Die Abneigung
gegen die preußische Hegemonie hatte bei ihm andere Gründe, als bei den
meisten seiner politischen Glaubensgenossen der damaligen Zeit. Diese fürch¬
teten größtenteils die politische Ordnung überhaupt. Das tumultuarische
Treiben der Volksmassen und die Herrschaft der Demagogen war ihnen Selbst¬
zweck. Fröbel dagegen war nicht nur ein ernster Geist von vorwiegend theo¬
retischer Anlage, sondern auch eine ästhetisch feine, um es kurz zu sagen, eine
aristokratische Natur. Dabei ist sein geistiges Naturell nie der Art gewesen,
um irgend eine theoretische Krystallisation unlösbar verhärten zu lassen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/532>, abgerufen am 25.07.2024.