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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Berliner Iriefe.

S eit der Salzburger Quell versiegt ist,
hat sich des politischen Lebens Berlins wieder jener schlafähnliche Zustand
bemächtigt, welcher unmittelbar nach der Beendigung der Parlamentssession
herrschte. Um ganz aufrichtig zu sein, müßte man eigentlich sagen, daß
er felbst durch diese Zusammenkunft kaum unterbrochen worden ist. Was
ist uns Hekuba? Was ist dem Berliner Wien und ganz Deutsch-Oestreich?
Wir sind Kosmopoliten vom Scheitel bis zur Zehe--aber hinter dem Erzge¬
birge und den Sudeten hört für uns die Welt auf. Und vielleicht sind die
Berliner nicht einmal so ganz kosmopolitisch, wie sie zu sein glauben, wenig¬
stens nicht der allerdings kleine autochthone Bruchtheil. Wenn statt der Hohen-
zollern ein einheimisches Geschlecht in Brandenburg regiert hätte, so hätten
wir heute noch ein Markgrafenthum Brandenburg, das sich auf's Aeußerste
gegen jedes Annectiren und Annectirtwerden sträuben würde. Man erzählt
von einem großen Staatsmann märkischen Blutes, den Jemand für einige
Edelleute interessiren wollte, die sich in ein gewagtes Geschäft eingelassen
hatten, bei dem ihr Name auf dem Spiel stand; er habe bei dem Appell
an die Standesgenvsfenschaft ausgerufen: Weßhalb ist denn kein Märker dar¬
unter ! Das mag wahr oder erfunden sein, aber es bezeichnet diesen branden¬
burgischen Geist, der ganz gegen seinen Willen erobert. Im Jahre 1848
schlug die Kreuzzeitung wirklich eine eorcls sensible an, als sie gegen die
Kuhblume -- so hatte sie die schwarzrotgoldene Kokarde getauft -- eiferte.
Im Grunde des Herzens liebte der Preuße die einfache Mischung. Jetzt tra¬
gen sechs- oder siebenmalhunderttausend Männer, die aus Frankreich zurück¬
gekehrt sind, im Knopfloch ein dreifarbiges Bändchen, das zwar nicht schwarz¬
roth-golden ist, aber mindestens eben so schreiend, als seiner Zeit die Kuh¬
blume, und wenn die Kunstkritiker, welche sich jetzt über die Holbein'sche
Madonna in Dresden zur Genüge ereifert haben, einen Augenblick Athem
schöpfen wollten, fo könnten sie entscheiden, welche Tricolore ästhetisch gerecht¬
fertigter ist. Indessen der Brandenburger ist nicht ästhetisch und ein geist¬
reicher Abgeordneter, dessen Wiege auch nicht weit von den Ufern der Havel
stand, spricht ihm, zwar halb im Scherz und halb im Ernst, die Cultur¬
fähigkeit ab; aber die Fähigkeit zu arbeiten, zu marschiren und zu fechten hat
er immer gehabt. Und er weiß zu sterben: ils savent, mourir, hörte ich ein¬
mal einen alten französischen Militär von unsern Soldaten mit einer Andacht
und einem Respect sagen, die tief rührend waren und die in in der Schaale
der ewigen Gerechtigkeit ein paar Centner von jenen Unfläthigkeiten aufge¬
wogen haben müssen, mit denen sich die Franzosen tagtäglich besudeln. Die¬
ser stramme, militärische, pflichtgetreue Geist, der Feind aller Leichtlebigkeit,


Berliner Iriefe.

S eit der Salzburger Quell versiegt ist,
hat sich des politischen Lebens Berlins wieder jener schlafähnliche Zustand
bemächtigt, welcher unmittelbar nach der Beendigung der Parlamentssession
herrschte. Um ganz aufrichtig zu sein, müßte man eigentlich sagen, daß
er felbst durch diese Zusammenkunft kaum unterbrochen worden ist. Was
ist uns Hekuba? Was ist dem Berliner Wien und ganz Deutsch-Oestreich?
Wir sind Kosmopoliten vom Scheitel bis zur Zehe—aber hinter dem Erzge¬
birge und den Sudeten hört für uns die Welt auf. Und vielleicht sind die
Berliner nicht einmal so ganz kosmopolitisch, wie sie zu sein glauben, wenig¬
stens nicht der allerdings kleine autochthone Bruchtheil. Wenn statt der Hohen-
zollern ein einheimisches Geschlecht in Brandenburg regiert hätte, so hätten
wir heute noch ein Markgrafenthum Brandenburg, das sich auf's Aeußerste
gegen jedes Annectiren und Annectirtwerden sträuben würde. Man erzählt
von einem großen Staatsmann märkischen Blutes, den Jemand für einige
Edelleute interessiren wollte, die sich in ein gewagtes Geschäft eingelassen
hatten, bei dem ihr Name auf dem Spiel stand; er habe bei dem Appell
an die Standesgenvsfenschaft ausgerufen: Weßhalb ist denn kein Märker dar¬
unter ! Das mag wahr oder erfunden sein, aber es bezeichnet diesen branden¬
burgischen Geist, der ganz gegen seinen Willen erobert. Im Jahre 1848
schlug die Kreuzzeitung wirklich eine eorcls sensible an, als sie gegen die
Kuhblume — so hatte sie die schwarzrotgoldene Kokarde getauft — eiferte.
Im Grunde des Herzens liebte der Preuße die einfache Mischung. Jetzt tra¬
gen sechs- oder siebenmalhunderttausend Männer, die aus Frankreich zurück¬
gekehrt sind, im Knopfloch ein dreifarbiges Bändchen, das zwar nicht schwarz¬
roth-golden ist, aber mindestens eben so schreiend, als seiner Zeit die Kuh¬
blume, und wenn die Kunstkritiker, welche sich jetzt über die Holbein'sche
Madonna in Dresden zur Genüge ereifert haben, einen Augenblick Athem
schöpfen wollten, fo könnten sie entscheiden, welche Tricolore ästhetisch gerecht¬
fertigter ist. Indessen der Brandenburger ist nicht ästhetisch und ein geist¬
reicher Abgeordneter, dessen Wiege auch nicht weit von den Ufern der Havel
stand, spricht ihm, zwar halb im Scherz und halb im Ernst, die Cultur¬
fähigkeit ab; aber die Fähigkeit zu arbeiten, zu marschiren und zu fechten hat
er immer gehabt. Und er weiß zu sterben: ils savent, mourir, hörte ich ein¬
mal einen alten französischen Militär von unsern Soldaten mit einer Andacht
und einem Respect sagen, die tief rührend waren und die in in der Schaale
der ewigen Gerechtigkeit ein paar Centner von jenen Unfläthigkeiten aufge¬
wogen haben müssen, mit denen sich die Franzosen tagtäglich besudeln. Die¬
ser stramme, militärische, pflichtgetreue Geist, der Feind aller Leichtlebigkeit,


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[0522] Berliner Iriefe. S eit der Salzburger Quell versiegt ist, hat sich des politischen Lebens Berlins wieder jener schlafähnliche Zustand bemächtigt, welcher unmittelbar nach der Beendigung der Parlamentssession herrschte. Um ganz aufrichtig zu sein, müßte man eigentlich sagen, daß er felbst durch diese Zusammenkunft kaum unterbrochen worden ist. Was ist uns Hekuba? Was ist dem Berliner Wien und ganz Deutsch-Oestreich? Wir sind Kosmopoliten vom Scheitel bis zur Zehe—aber hinter dem Erzge¬ birge und den Sudeten hört für uns die Welt auf. Und vielleicht sind die Berliner nicht einmal so ganz kosmopolitisch, wie sie zu sein glauben, wenig¬ stens nicht der allerdings kleine autochthone Bruchtheil. Wenn statt der Hohen- zollern ein einheimisches Geschlecht in Brandenburg regiert hätte, so hätten wir heute noch ein Markgrafenthum Brandenburg, das sich auf's Aeußerste gegen jedes Annectiren und Annectirtwerden sträuben würde. Man erzählt von einem großen Staatsmann märkischen Blutes, den Jemand für einige Edelleute interessiren wollte, die sich in ein gewagtes Geschäft eingelassen hatten, bei dem ihr Name auf dem Spiel stand; er habe bei dem Appell an die Standesgenvsfenschaft ausgerufen: Weßhalb ist denn kein Märker dar¬ unter ! Das mag wahr oder erfunden sein, aber es bezeichnet diesen branden¬ burgischen Geist, der ganz gegen seinen Willen erobert. Im Jahre 1848 schlug die Kreuzzeitung wirklich eine eorcls sensible an, als sie gegen die Kuhblume — so hatte sie die schwarzrotgoldene Kokarde getauft — eiferte. Im Grunde des Herzens liebte der Preuße die einfache Mischung. Jetzt tra¬ gen sechs- oder siebenmalhunderttausend Männer, die aus Frankreich zurück¬ gekehrt sind, im Knopfloch ein dreifarbiges Bändchen, das zwar nicht schwarz¬ roth-golden ist, aber mindestens eben so schreiend, als seiner Zeit die Kuh¬ blume, und wenn die Kunstkritiker, welche sich jetzt über die Holbein'sche Madonna in Dresden zur Genüge ereifert haben, einen Augenblick Athem schöpfen wollten, fo könnten sie entscheiden, welche Tricolore ästhetisch gerecht¬ fertigter ist. Indessen der Brandenburger ist nicht ästhetisch und ein geist¬ reicher Abgeordneter, dessen Wiege auch nicht weit von den Ufern der Havel stand, spricht ihm, zwar halb im Scherz und halb im Ernst, die Cultur¬ fähigkeit ab; aber die Fähigkeit zu arbeiten, zu marschiren und zu fechten hat er immer gehabt. Und er weiß zu sterben: ils savent, mourir, hörte ich ein¬ mal einen alten französischen Militär von unsern Soldaten mit einer Andacht und einem Respect sagen, die tief rührend waren und die in in der Schaale der ewigen Gerechtigkeit ein paar Centner von jenen Unfläthigkeiten aufge¬ wogen haben müssen, mit denen sich die Franzosen tagtäglich besudeln. Die¬ ser stramme, militärische, pflichtgetreue Geist, der Feind aller Leichtlebigkeit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/522>, abgerufen am 24.07.2024.