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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Fabrikanten und sonst sich meldende Leute mit einigen Freiheiten auf gewisse
Jahre, Allein es scheint nicht, als ob das Werk bleiben wolle. Der Ruf
von den neu angelegten Häusern, zugestandenen Freiheiten und nach Befund
der Sache wohl auch bewilligten Vorschuß zog eine Menge Handwerker aus
den benachbarten Ländern herbei. Die guten Leute, die vielleicht dort ihr
tägliches Brod mit Mühe und Arbeit verdienen mußten, glaubten hier ein
gemächlicheres Leben und vollauf zu finden; andere waren auch wohl Faul¬
lenzer und Taugenichtse; und fanden es hier wie überall. Sie zehrten also, so¬
lange der Vorschuß zum Ausdauer ihres Hauses oder wohl auch ihres Ge¬
werbes dauerte, zogen wieder ihre Straßen und ließen ihre Häuser leer und
sür andere Liebhaber stehen." Gleich dieser Colonie mißlangen auch sämmt¬
liche andere Anlagen; wie es aber in allen diesen Colonien herging, mag ein
Beispiel auf Grund mir zur Verfügung stehender Actenstücke zeigen. Unter
Anderem wurde mittelst einer von Schliessen gegengezeichneten Verfügung
vom 20. März 1778 beschlossen, in der Gemarkung der Stadt Wolfhagen
da, wo früher das Dorf Gasterfeld gelegen, eine Colonie von zehn Familien
mit Namen Philippinendorf anzulegen; es wurde die Bauart der Häuser, die
Richtung von deren Front festgestellt und angeordnet, daß kein Inländer
darin angesiedelt werden dürfe. Jeder der zehn Colonisten erhielt statt der
Baumaterialien und Baukosten 300 Thlr. aus der landesherrlichen Kriegs¬
kasse geschenkt, ferner 100 Thlr. aus der General-Depositen- und Land-
Assistenz-Kasse zur Anschaffung von Vieh gegen Verpfändung der eingegebenen
Ländereien durch jeden Colonisten und Generalverpfändung der gesammten
Colonien nach einem eigens entworfenen Hypothek'ensormular und gegen eine
Verzinsung mit 1 Procent geliehen, es wurde auf die Dauer von 3 Jahren
Freiheit von Steuern, Lasten und Diensten gewährt, und endlich wurde
die Stadt Wolfhagen, der man schon die Ländereien für diese (und noch zwei
andere in ihrer Gemarkung angelegte Colonien) abgenommen hatte, ange¬
wiesen, jedem Colonisten aus ihrer Stadtwaldung 1 Klafter Brennholz und
dem bestellten Schulmeister 4 Klafter Holz und 2 Viertel Korn als Gehalt
zu liefern. Die Stadt konnte aber hierzu, da ste gar keinen Grund für ihre
Verpflichtung zu diesen Leistungen auffinden konnte, nur durch die schärfsten
Maßregeln gezwungen werden. Die aus dem Darmstädtischen und Jsenbur-
gischen stammenden Colonisten verkauften aber sehr bald das ihnen gelieferte
Vieh oder vertauschten es gegen schlechteres; 1785 mußte einer derselben be¬
reits ein weiteres Darlehn von 20 Thlr. erhalten, um sich eine Kuh zu kau¬
fen, andere verkauften ihr geliefertes Brennholz und verbrannten ihre Garten¬
zäune; 1788 wurden sämmtliche Colonisten vorstellig, weil ihre (nach einer
darauf angestellten Untersuchung als zu rasch und schlecht gebaut befundenen)
Häuser bereits alle baufällig seien und sie selbst tief in Schulden steckten, und


Fabrikanten und sonst sich meldende Leute mit einigen Freiheiten auf gewisse
Jahre, Allein es scheint nicht, als ob das Werk bleiben wolle. Der Ruf
von den neu angelegten Häusern, zugestandenen Freiheiten und nach Befund
der Sache wohl auch bewilligten Vorschuß zog eine Menge Handwerker aus
den benachbarten Ländern herbei. Die guten Leute, die vielleicht dort ihr
tägliches Brod mit Mühe und Arbeit verdienen mußten, glaubten hier ein
gemächlicheres Leben und vollauf zu finden; andere waren auch wohl Faul¬
lenzer und Taugenichtse; und fanden es hier wie überall. Sie zehrten also, so¬
lange der Vorschuß zum Ausdauer ihres Hauses oder wohl auch ihres Ge¬
werbes dauerte, zogen wieder ihre Straßen und ließen ihre Häuser leer und
sür andere Liebhaber stehen." Gleich dieser Colonie mißlangen auch sämmt¬
liche andere Anlagen; wie es aber in allen diesen Colonien herging, mag ein
Beispiel auf Grund mir zur Verfügung stehender Actenstücke zeigen. Unter
Anderem wurde mittelst einer von Schliessen gegengezeichneten Verfügung
vom 20. März 1778 beschlossen, in der Gemarkung der Stadt Wolfhagen
da, wo früher das Dorf Gasterfeld gelegen, eine Colonie von zehn Familien
mit Namen Philippinendorf anzulegen; es wurde die Bauart der Häuser, die
Richtung von deren Front festgestellt und angeordnet, daß kein Inländer
darin angesiedelt werden dürfe. Jeder der zehn Colonisten erhielt statt der
Baumaterialien und Baukosten 300 Thlr. aus der landesherrlichen Kriegs¬
kasse geschenkt, ferner 100 Thlr. aus der General-Depositen- und Land-
Assistenz-Kasse zur Anschaffung von Vieh gegen Verpfändung der eingegebenen
Ländereien durch jeden Colonisten und Generalverpfändung der gesammten
Colonien nach einem eigens entworfenen Hypothek'ensormular und gegen eine
Verzinsung mit 1 Procent geliehen, es wurde auf die Dauer von 3 Jahren
Freiheit von Steuern, Lasten und Diensten gewährt, und endlich wurde
die Stadt Wolfhagen, der man schon die Ländereien für diese (und noch zwei
andere in ihrer Gemarkung angelegte Colonien) abgenommen hatte, ange¬
wiesen, jedem Colonisten aus ihrer Stadtwaldung 1 Klafter Brennholz und
dem bestellten Schulmeister 4 Klafter Holz und 2 Viertel Korn als Gehalt
zu liefern. Die Stadt konnte aber hierzu, da ste gar keinen Grund für ihre
Verpflichtung zu diesen Leistungen auffinden konnte, nur durch die schärfsten
Maßregeln gezwungen werden. Die aus dem Darmstädtischen und Jsenbur-
gischen stammenden Colonisten verkauften aber sehr bald das ihnen gelieferte
Vieh oder vertauschten es gegen schlechteres; 1785 mußte einer derselben be¬
reits ein weiteres Darlehn von 20 Thlr. erhalten, um sich eine Kuh zu kau¬
fen, andere verkauften ihr geliefertes Brennholz und verbrannten ihre Garten¬
zäune; 1788 wurden sämmtliche Colonisten vorstellig, weil ihre (nach einer
darauf angestellten Untersuchung als zu rasch und schlecht gebaut befundenen)
Häuser bereits alle baufällig seien und sie selbst tief in Schulden steckten, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/498>, abgerufen am 24.07.2024.